Tristan Brusch - Das Paradies

Downbeat / Warner
VÖ: 08.06.2018
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Chanson-Bonbon

Vielleicht war es ja genau so nötig. Vollblut-Musiker Tristan Brusch konnte sich auf einer gemeinsamen Tour mit Rapper Maeckes neu justieren. Das Vertrauen in die eigene Vision von deutschsprachigem Pop kommt bestimmt nicht über Nacht. Die "Fisch EP" und ein Sample für den Orsons-Song "Jetzt" legten die Grundlage für jene enge Live-Verbundenheit mit Maeckes samt stattgefundenem Sprachwechsel. "Das Paradies" ist nämlich keineswegs das Debütalbum des Gelsenkirchners. Die Vita offenbart so einige Versuche, als Musiker Fuß zu fassen. Mit dem universellsten Wortarsenal des Pops veröffentlichte er schon diverse Alben, wobei vielleicht "My ivory mind" die Glocken der Kenner am ehesten klingeln lässt. Nach der Mitarbeit an dem melancholischen Schwergewicht "Tilt" und der eingangs erwähnten Deutschlandreise nahm Tristan Brusch also sein Talent in beide Hände und liefert ein Feature-loses Panorama mit den allergrößten menschlichen Verlockungen. Die Zuckerschicht glänzt nicht von ungefähr auf dem symbolreichen Cover, während sich die Schlange an den Nacken schmiegt.

Dabei lockt die Vorabsingle "Hier kommt Euer bester Freund" mit schwungvollen Twin-Shadow-Anleihen à la "Five seconds". Rastloser New Wave mit permanent durchgedrücktem Gaspedal verrät wenig über den Rest der Platte. Dort sind es die Themenkreise aus dem oberen Regal unserer Existenz, die Tristan Brusch umtreiben. Ohne Angst vor zu viel Theatralik gleitet der Sänger durch die großen Fragen des Lebens. In das Mutterland des Chansons geht es auch direkt zum Auftakt mit einer Portion "Zuckerwatte". "Avec plaisir" wendet sich der Sänger einer Liebschaft zu. Die Jahrmarktgeräusche sorgen für die spielerische Komponente, die das Ringen mit der Verzückung ausmacht. Der Aufstieg aufs "Karussell" kommt schnell und gelingt anstandslos. "Die Liebe ist ein seltsames Spiel / Sie kommt und geht von einem zum anderen", sang einst Connie Francis in den Sechzigern. Tristan Brusch knüpft an diese Zeit der vor allem auch Hildegard Knefschen Herzenslieder an. Weil allerdings kaum etwas so ist, wie es scheint, erfolgt prompt die Zäsur. "Trümmer" schreit die Selbstbestimmung ins Mikrophon und erinnert an Caspers "Lang lebe der Tod" und an jugendliches Chaos wie in " A clockwork orange". Nachdem der Künstler genug marodiert hat, folgen weitere Varianten eines Pop-Entwurfs, der den neckischen Schlager eines Dagobert aufgreift. Stücke wie "Lass Dich nie los" bedienen sich so stark an Elementen der deutschen Schlagerseele, dass es fast wehtut.

Das ist alles herrlich wild und zutiefst eigen. Aus der Ferne tönt mal ein "gefickt" durch den "Neujahrsschnee" und erinnert daran, dass hier niemand eine Ochsentour vor klebrigen Sitzbänken anpeilt. Die protzige Gitarre hat in all dem genauso einen Platz und eine Berechtigung wie das gehauchte Säuseln über die eigene Erbärmlichkeit. Besonders diese leisen Momente markieren eine zerzauste Künstlergestalt, die sich fern ab von einer bierernsten Schmonzetten-Industrie bewegt. Schlechte Ernährungsgewohnheiten und Proletentum bevölkern in fast schon grotesker Art und Weise "Das Paradies". "Die fetten Jahre" schwinden jedoch, und das gefräßigste "Tier" überhaupt stapft noch in das Kuriositätenkabinett. In einem derart pompös verschunkelten Swingerclub fühlt der Mensch sich wohl. Wer diese Anordnung von zuckrigen Melodien, knackigen Haken und Koketterie mit den Showtauglichkeit einer Florian-Silbereisen-Gala albern findet, der nimmt sich im Zweifel zu ernst. Das "Fischgesicht" mit "Riesen-Unterkiefer" tut das nämlich nicht und erschafft so eine Welt, die "Nicht mehr zuhaus" ist und in der es alles kann, aber nichts muss.

(Michael Rubach)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Zuckerwatte
  • Loch
  • Tier

Tracklist

  1. Zuckerwatte
  2. Karussell
  3. Trümmer
  4. Loch
  5. Ich lass Dich nie los
  6. Neujahrsschnee
  7. Die fetten Jahre
  8. Dispoqueen (feat. Charlotte Brandi)
  9. Nicht mehr zuhaus
  10. Pustefix
  11. Hier kommt Euer bester Freund
  12. Tier
Gesamtspielzeit: 39:58 min

Im Forum kommentieren

Ituri

2024-05-03 17:16:41

Absolut. Es ist grandios und Kunst. Kann aber gleichzeitig irrerweise nachvollziehen, wenn es vielen nicht zusagt. Aber ich finde es tatsächlich fantastisch!

Mister X

2018-07-03 00:04:39

Tolles Album. Bekommt leider nicht die Aufmerksamkeit das es verdient.

Armin

2018-05-31 17:55:12- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

Meinungen?

Armin

2018-03-29 19:30:55- Newsbeitrag

TRISTAN BRUSCH

Sein am 08.06. erscheinendes Debütalbum “Das Paradies” könnte einen Wendepunkt in der deutschsprachigen Musiklandschaft markieren. Das Erstlingswerk des deutschen Pop-Phänomens Tristan Brusch gleicht einem Gewitter aus heiteren Amüsements, höchst erwachsenen Liebeserklärungen und hitzigen Kampfansagen – ein Meisterwerk des Chanson-Pop.


Am vergangenen Freitag kündigte er die ungeduldig erwarteten, im Herbst anstehenden, Live-Termine seiner “Die Paradies Tour 2018” an, die in Gänze hier zu finden sind. Zuvor ist Tristan Brusch noch am 21.04. beim Record Store Crawl in Berlin, anschließend beim Maifeld Derby in Mannheim (15.06.-17.06.) sowie auf dem Haldern Pop Festival (09.08.-11.08.) live zu erleben.

http://tristanbrusch.de/?eml=2018March29/4286205/6133929&etsubid=40704777#live

Hier gibt es die kürzlich veröffentlichte Live-Session zu seiner fiebrigen New-Wave-Single “Hier kommt euer bester Freund” zu sehen.



Armin

2018-03-25 18:19:05

Schon eine Weile im Geschäft, inzwischen singt er aber Deutsch. Und das Song hier ist klasse:


Album am 8.6.

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