Camp Cope - How to socialise & make friends
Run For Cover / WarnerVÖ: 06.04.2018
Goodnight, male pride
Während ihres Auftritts beim australischen Falls-Festival im Januar 2018 entschied sich Camp-Cope-Frontfrau Georgia "Maq" McDonald kurzerhand dazu, die Lyrics ihres Songs "The opener" zu ändern. Aus "It's another man telling us to book a smaller venue" wurde "It's another fucking festival booking only nine women". Das abstrakte Anklagen von Geschlechterdiskriminierung in der Musikindustrie konkretisierte sich in einem mutigen Schlag ins Gesicht einer ganz speziellen, Frauen unterrepräsentierenden Festival-Organisation. Dass dieser durchaus berechtigt war, zeigte sich nicht zuletzt im darauffolgenden Statement einer Falls-Betreiberin, die mit ihrer ignoranten "Macht's-selbst-besser-wenn's-euch-nicht-gefällt"-Haltung Maqs Vorwürfen mehr Bestätigung gab, als es jedes Abstreiten hätte tun können. Camp Copes feministische Botschaften mögen in Zeiten von #MeToo eine größere öffentliche Bühne gewonnen haben, doch im Grunde erzählen sie nichts, was nicht schon bei Bikini Kill und Co. vor fast 30 Jahren ein Thema war. Es ist bloß ein Jammer, dass sich in dieser Zeitspanne offenbar nicht allzu viel geändert hat.
Besagtes "The opener" ist ein sogenannter "circle song", er wiederholt durchgehend eine bestimmte Akkordfolge ohne irgendeine Form von Bridge oder Hook. Das ist allerdings weniger ein Zeichen für faules Songwriting, vielmehr liefert dieses stoische, frustriert-resignierte Gitarre-Bass-Schlagzeug-Konstrukt die perfekte Basis für Maqs entfesselten Protest. Camp Cope geht es nicht um instrumentales Mackertum, sie wollten aus ihrem Zweitling "How to socialise & make friends" auch genauso wenig ein eingängiges Hitalbum machen. Die Musik ist hier ausschließlich Trägermedium für Inhalte und Emotionen, so roh, aufrichtig und unmittelbar wie bei kaum einer anderen Genre-Band. Damit agieren sie auch viel näher am Emo der frühen Nullerjahre als am klassischen Riot-Grrrl-Punk, klingen wie aus einem Paralleluniversum gerissen, in dem Courtney Barnett und Katie Crutchfield als Frontfrauen von Jimmy Eat World und Taking Back Sunday ihre Verzweiflung in die Welt schreien.
"The face of God" thematisiert Maqs sexuellen Missbrauch durch einen Musiker-Kollegen, lässt sich mit Zeilen wie "You couldn't do that to someone / Not you, nah, your music is too good", zynisch über heuchlerische Apologeten aus, gibt sich aber gleichzeitig zutiefst verletzlich mit Selbstzweifeln und dem Hinterfragen der eigenen Schuld: "Now you've got me questioning everything I did / Or what would've happenend if I'd done one thing different." Es ist genau dieser Spagat zwischen persönlicher Ebene und gesellschaftlicher Relevanz, der "How to socialise & make friends" so ungemein wirkungsvoll macht und mit dem Maq jeden Vorwurf der Phrasendrescherei mühelos abwendet. Das hier ist keine monothematische Female-Empowerment-Liedersammlung, sondern ein emotional komplexes, individuelles Werk tiefster Intimität, bei dem die Australierin mit sich selbst mindestens genauso sehr ringt wie mit der Welt um sie herum. "Anna" heißt das zentrale Monument der Einfühlsamkeit, es geht um eine Freundin, deren Wegzug und das danach klaffende Loch, ist gleichzeitig Ode an die menschliche Liebe und Klagelied über ihr Abhandensein. Eine absolut überwältigende Breitseite, die sich kaum aushaltbar immer weiter steigert und dann in ihren Schwestersong "Sagan-Indiana" übergeht, in dem Maq schließlich erlöst konstatieren kann: "I found me."
Ähnlich euphorisch besang sie zuvor das Ende einer einengenden Beziehung im Titeltrack und zelebrierte ihre neugewonnene Freiheit: "I've been riding my bike with no handlebars / Through empty streets in the dark / And I think I'm getting pretty good." Das kann sie deshalb so sorgenlos machen, weil sie hier, wie in jedem anderen der neun Songs, so wundervoll von ihren beiden Bandkolleginnen und Freundinnen flankiert wird. Im Gegensatz zum selbstbetitelten Debüt ist "How to socialise & make friends" nämlich im Kollektiv entstanden, Drummerin Sarah Thompson und Bassistin Kelly-Dawn Hellmrich waren von Beginn an am Kompositionsprozess beteiligt, und das hört man zu jeder Sekunde heraus. Thompsons Schlagzeug ist zurückhaltend, aber bestimmt, setzt immer wieder markante Reizpunkte, wie wenn sie in "UFO lighter" ansatzlos ihre Beckenschläge durch Tom-Toms ersetzt, um bestimmten Versen damit mehr Nachdruck zu verleihen. Hellmrich geht sogar noch weiter: Ihr Bassspiel gehört zum Spannendsten, was im Indie-Kosmos in jüngerer Vergangenheit passiert ist, ist anmutig und verspielt, bildet nicht das rhythmische, sondern das melodische Grundgerüst fast jedes Songs und schafft damit das eigentlich Unmögliche: Einen gleichwertigen Partner zu Maqs mal geschrienen, mal zerbrechlichen Gesangslinien darzustellen. Gemeinsam haben die drei Frauen ein enorm fokussiertes Soundbild geschaffen, bewegen sich stilsicher im Spannungsfeld zwischen schrammeligem Punk und Emo, arbeiten mit Folk- und Jangle-Pop-Ansätzen, ohne je zu glatt zu sein, und ergehen sich nie in sinnlosen Noise- oder Solo-Eskapaden.
Diese musikalische Selbstsicherheit ist deshalb erstaunlich, weil der Fokus so offensichtlich auf etwas ganz anderem liegt. Im Grunde ist "How to socialise & make friends" eine einzige Katharsis, es ist die Art von Musik, die in manchen Momenten monoton und langweilig an einem vorbeizieht, in anderen aber zu einem der intensivsten Sinneserlebnissen wird, die Kunst überhaupt erzeugen kann. Passenderweise sticht dann auch der Song am tiefsten ins Herz, der auf das allermeiste Drumherum verzichtet: "I've got you" ist nur eine Frau und ihre Akustikgitarre, die entwaffnend offen zurückgedrängte Erinnerungen hochholt, Krebserkrankung und Tod ihres Vaters betrauert. Maq trägt das Patriarchat zu Grabe im wortwörtlichsten aller möglichen Sinne, doch sie weint dabei. Weil dieser spezielle Mann ihr unheimlich viel bedeutet hat, weil Kritik an geschlechterdiskriminierenden Strukturen eben nicht mit einer prinzipiellen Ablehnung jedes männlichen Individuums einhergeht. Deshalb sollte Mann sich auch nicht gleich in seiner Ehre verletzt fühlen, wenn Maq auf Twitter schreibt, ihr Album sei nicht für "cis white men", sondern das stattdessen als Einladung verstehen, auch mal eine andere Perspektive einzunehmen – wenn die Bereitschaft dazu da ist, empfangen Dich Camp Cope mit offenen Armen. Und wenn Du diesen radikal intimen Ausflug in nicht die, sondern eine weibliche Gefühlswelt als unberechtigtes Geflenne eines weinerlichen Femi-Nazi abstempelst, danach noch immer eine Welt sehen willst, die auf einer systemischen Ebene komplett unproblematisch mit ihren Frauen umgeht, ja, dann ist dieses Album wirklich nicht für Dich.
Highlights & Tracklist
Highlights
- The opener
- How to socialise & make friends
- Anna
- I've got you
Tracklist
- The opener
- How to socialise & make friends
- The face of God
- Anna
- Sagan-Indiana
- The omen
- Animal & real
- UFO lighter
- I've got you
Im Forum kommentieren
Kai
2024-01-30 15:49:32
Die Band die lange Zeit auf dem letzten Platz in den Lesercharts war gibt es leider nicht mehr.
Ihr letztes Konzert kann man sich aber online anschauen.
Camp Cope - Live at Sydney Opera House (2023)
saihttam
2020-05-05 16:45:30
Das hier ist immer noch so gut. Diese unbedingte Dringlichkeit und Emotionalität in der Stimme und den Texten, das supermelodiöse, melancholische Bassspiel und diese Songs, die tagelang im Gedächtnis bleiben, ohne dafür einen großen Refrain zu brauchen. Das Debüt steht dem eigentlich in nichts nach. Ich hoffe da kommt bald mal wieder was neues.
Feststellungsmän
2018-07-11 13:54:51
Forderung nach Gleichberechtigung ist für mich Diskriminierung. Meine weiße Männlichkeit ist in Gefahr!
Feststellungsmän
2018-07-11 13:53:03
— You're NOT welcome if you're racist, sexist, homophobic or otherwise discriminating!
Dann muss sich diese "Band" konsequenterweise ja selbst den Einlass verbieten. Wäre für alle Beteiligten das beste.
Mein Scherz
2018-07-11 13:44:19
Ich bin ein weißer Cis-Mann, esse gerne Fleisch und zu meinen Top 3 Bands gehören Foo Fighters, Radiohead und The Cure. Mein Hobby ist Rumopfern.
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