Eels - The deconstruction

E Works / [PIAS] Cooperative / Rough Trade
VÖ: 06.04.2018
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Yes, he can

Mark Oliver Everett möchte etwas verändern. Ob sich selbst, die Welt oder das eine als Folgeschluss des anderen, in einem unverkennbar selbstgeschriebenen Promo-Text deklariert er "Change" zum großen Leitmotiv seines mittlerweile zwölften Studioalbums "The deconstruction". Es ist die Rede davon, wie man in einer immer mehr vor die Hunde gehenden Welt noch immer Schönheit finden kann, wie auch die größten Veränderungen immer erst im eigenen Vorgarten anfangen oder wie wir alle mal schlechte Zeiten haben, die uns aber nicht von einem freundlichen und hilfsbereiten Umgang mit unseren Mitmenschen abhalten sollten. Würde man Everett nicht besser kennen, man könnte das alles als die abgedroschensten Plattitüden aus dem billigsten aller billigen Selbsthilfe-Ratgeber abtun, doch gibt es nur wenige Künstler, die mit von Krebs und Suizid geprägten Trauerbewältigungs-Alben wie "Electro shock blues" einen so blanken Seelen-Striptease vollzogen haben wie der bärtige Kalifornier. Wenn jemand mit seiner Lebenserfahrung und Leidensgeschichte nicht glaubhaft vermitteln kann, dass man, egal, wie scheiße es gerade läuft, noch immer die Möglichkeit hat, etwas zu verbessern, wer dann?

Ohne diesen Kontext kann auch das vorab veröffentlichte "Today is the day" schnell zum fröhlich-platten Gitarrenpop-Hit verkommen, doch einem Everett, der den Tod so ziemlich jedes seiner Familienmitglieder überlebt hat, sei so ein bisschen naiver Optimismus mehr als vergönnt. Jener Song gibt sowieso auch nicht die musikalische Marschrichtung des Albums vor, auch wenn dieses dennoch ungleich eklektizistischer und beschwingter daherkommt als sein gesetzter Vorgänger "The cautionary tales of Mark Oliver Everett". Der eröffnende Titeltrack weckt mit seiner Kombination von Streichern und programmierten Beats Erinnerungen an "Tomorrow morning", setzt einen interessanten Kontrastpunkt zwischen sanfter Instrumentierung und Everetts lebensgegerbter Stimme. Mit Sanftheit ist dann schon im direkt folgenden, perfekt betitelten "Bone dry" nicht mehr viel, Gitarren und Bläser akzentuieren eine minimalistische, arschtretende Klage-Hymne, die großartiger wohl niemand anderes hätte schreiben können. Mit seiner Lakonie und Destruktivität steht der Song zunächst etwas im Kontrast zum Weltverbesserungs-Ethos des Albums, doch das heißt ja auch nicht umsonst "The deconstruction": Wo etwas Neues aufgebaut werden will, muss das Alte schließlich erst einmal in seine Einzelteile zerlegt werden.

Textlich bewegt sich Everett leider meilenweit weg von der kaum auszuhaltenden Intimität seiner früheren Großtaten, was aber okay ist, nicht nur, weil die abstrakteren Botschaften gut zum universellen Charakter der Platte passen, sondern auch, weil die Musik hier so durchweg stark ist, dass sie sowieso in den Hintergrund rücken. "Premonition" und "There I said it" fangen den Geist von "Electro shock blues" so ein wie lange nichts mehr, vermitteln diese bei Eels so eigene Art von leisen Hoffnungsschimmern in tiefster Depression durch herzzerrreißend schöne Gitarren- und Pianoballaden. An anderer Stelle machen TripHop-Beats und Chor-Samples aus dem eigentlich simplen Indie-Pop von "Rusty pipes" eine hochspannende Angelegenheit, während man wohl nicht liebevoller über ein postapokalyptisches Szenario singen kann, als Everett es in "Sweet scorched Earth" tut. Am meisten Aufmerksamkeit beansprucht "You are the shining light" für sich, ein polternder Classic-Rock-Song mit Vintage-Synthie-Solo, irgendwie cheesy, aber auch ungemein spaßig. Es gibt nur wenige Momente, in denen man sich den 54-Jährigen mit einem breiten Grinsen bei Musizieren vorstellen kann, das – ebenso wie das bereits erwähnte "Today is the day" – ist einer davon.

Der sprunghafte Wechsel zwischen Balladen und Uptempo-Tracks führt, in Kombination mit einigen Interludes, allerdings auch dazu, dass sich bei "The deconstruction" nie so recht ein wirklicher Albumfluss einstellen will. Das ist schade. Einerseits, weil die fast immer großartigen Songs in ihrer Summe dadurch etwas schwächer wirken, andererseits, weil vielversprechende Ansätze wie das nicht mal einminütige Schlaflied "Archie goodnight" oder das zu einem orchestralen Freudentaumel anschwellende "The unanswerable" gerne auch zu vollwertigen Songs hätten ausformuliert werden dürfen. So beschließt die zarte Realitätsflucht von "In our cathedral" mit Streichern, Flöten und Orgeln ein Eels-Album so versöhnlich und verständnisvoll wie seit "P.S. you rock my world" nichts mehr, lässt einen ob der Zerfahrenheit des Gesamtwerks aber auch ein bisschen ratlos zurück. Vielleicht ist "The deconstruction" aber auch einfach kein Album für uns als Rezipienten, sondern das, was Everett selbst brauchte, der Selbstbeweis, auch nach einem so von Entbehrungen und Schicksalsschlägen geplagten Leben noch ein Statement für Veränderungswillen, Inspiration und Optimismus absetzen zu können. Darüber, wie er selbst die Welt verbessern könne, braucht er sich auf jeden Fall nicht mehr den Kopf zerbrechen, das haben er und seine Band mit ihrer bloßen Existenz nämlich schon längst getan.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Bone dry
  • Premonition
  • There I said it
  • In our cathedral

Tracklist

  1. The deconstruction
  2. Bone dry
  3. The quandary
  4. Premonition
  5. Rusty pipes
  6. The epiphany
  7. Today is the day
  8. Sweet scorched Earth
  9. Coming back
  10. Be hurt
  11. You are the shining light
  12. There I said it
  13. Archie goodnight
  14. The unanswerable
  15. In our cathedral
Gesamtspielzeit: 42:19 min

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