Rolo Tomassi - Time will die and love will bury it

Holy Roar / Al!ve
VÖ: 02.03.2018
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Auf hoher See

Es gibt keine Grenzen mehr. Diese Behauptung ist zwar sicherlich bestenfalls postfaktisch, gerade in einer Zeit, in der doch arg viele Blicke im Rückspiegel verhaftet sind und allerorten über Zäune, Mauern und andere Formen der (Selbst-)Beschränkung sinniert wird. Für Rolo Tomassi gilt der Satz allerdings vollumfänglich. Und zwar nicht erst seit ein paar Minuten. Wenn das Quintett aus Sheffield mit einem neuen Album anrollt, kann man sich im Vorfeld so ziemlich auf Alles und Nichts gefasst machen. Weil trotz der zweifelfreien Verortung im weiten Core-Feld zwischen abgedrehtem Nintendo-Gedudel, Pop und gnadenlosen Grindcore-Abfahrten ganz genau alles möglich ist bei Rolo Tomassi. Würde Eva Spence sich von nun am Kehlkopfgesang versuchen und die Band das Ganze mit Mongolischen Pferdekopfgeigen begleiten, es wäre niemand so wirklich überrascht. Ohne Witz.

Doch keine Sorge: Zu solch radikalen Stilbrüchen haben sich Rolo Tomassi auf "Time will die and love will bury it" nicht hinreißen lassen, auch wenn die Band die eigene Narrenfreiheit merklich genießt. Das beginnt schon beim Entstehungsprozess, an dessen Startpunkt nach eigener Aussage der Albumtitel stand. Die Band hat also mit "Time will die and love will bury it" eine optimistische Losung ausgegeben und im Anschluss versucht, ein dazu passendes Album zu schreiben. Die Variante, den bisweilen zappendusteren Weg des furiosen Vorgängers "Grievances" weiter zu gehen, wäre auch zu offensichtlich gewesen. Zumindest für Rolo Tomassi. Folgerichtig lassen einen Spence und Co. dann auch zum Auftakt genüsslich in der Luft hängen. Weil "Towards dawn" sich knapp drei Minuten voller Hingabe weigert, einen Hinweis zu geben, wohin die Reise nun gehen soll und auch danach nur ein paar harmoniebedürftige Klavierakkorde in den Raum wirft. Dennoch ist der Weg bereitet. Für ein Album, das vage in helleren Farben malt, als das noch zuletzt der Fall war. Für "Aftermath", das mit seiner luftigen Instrumentierung den Raum anrichtet, für Eva Spences glasklaren Vortrag und eine ungewohnte Nähe zu geradezu poppigen Gefilden.

So zugänglich wie zum Auftakt dieses Albums klangen Rolo Tomassi wohl nie. Und doch lässt erwähntes "Aftermath" nicht nur jederzeit durchblicken, dass da im Hintergrund eine Band werkelt, die bei Bedarf auch ganz andere Saiten aufziehen kann, sondern übergibt zum Schluss mit einem subtilen Schlenker auch gleich den Staffelstab an das vorab veröffentlichte "Rituals", das jeglichem Schönklang den Garaus macht. Einfach so, im fließenden Übergang und ohne in irgendeiner Form den Stilbruch zu üben. Das ist dann nicht nur irgendein Song, vielmehr gerät "Rituals" zur Demonstration. In drei Minuten und zwanzig Sekunden machen Rolo Tomassi klipp und klar, was sie so auszeichnet und für was sich die Leute so bescheuerte Ausdrücke wie "Flagschiff", oder "top-notch" ausgedacht haben. Das ist meterdick, versiert, vielschichtig und exakt auf den Punkt geprügelt. In einem Wort: Genial. Und weil es so schön ist, treibt "The hollow hour" das Spielchen munter weiter. Bedächtig baut sich das Stück auf, metert dann bis hin zur völligen Raserei und findet nach wildem Hin und Her doch den Weg zum strahlend schönen Schlussakkord. Die Zuhörer: Willenlos.

Zu diesem Zeitpunkt folgt man der Band nämlich fast blind, weil die eben weiß, was sie tut. Ob nun "Alma Mater" im auffalend harten Mittelteil des Albums völlig unvermittelt das Tempo anzieht, "Whispers among us" die fiesen Growls auspackt oder das wahrhaft sensationelle "Contretemps" kur vor Schluss nicht nur eine willkommene Pause einlegt, sondern auch eine ganze Menge Licht herein lässt – man geht mit. Weil Rolo Tomassi all die Freiheiten, die sie sich im Laufe der Jahre erspielt haben, fulminant zu nutzen wissen. Auf "Time will die and love will bury it" gibt es kein hart oder weich, kein laut oder leise, kein hell oder dunkel. Ein "Oder" kennt diese Platte grundsätzlich nicht, genausowenig wie ein Nebeneinander. Vielmehr gelingt Rolo Tomassi hier tatsächlich alles zur gleichen Zeit. Dieses Album schafft es, den luftigen Titel musikalisch Umzusetzen, bleibt aber zugleich ein widerspenstiges Biest, das die Backpfeifen am laufenden Band verteilt. Genauso verhält es sich mit Melodie und Komplexität. Dieses Album bringt alles unter, ohne den Überblick zu verlieren. Ohne Grenzen eben. So unterstreichen Rolo Tomassi einmal mehr ihre Ausnahmestellung. Die dürfen nicht nur alles, sie können auch alles.

(Martin Smeets)

Bei Amazon bestellen / Preis prüfen für CD, Vinyl und Download
Bei JPC bestellen / Preis prüfen für CD und Vinyl

Highlights & Tracklist

Highlights

  • Aftermath
  • Rituals
  • The hollow hour
  • Contretemps

Tracklist

  1. Towards dawn
  2. Aftermath
  3. Rituals
  4. The hollow hour
  5. Balancing in the dark
  6. Alma Mater
  7. A flood of light
  8. Whispers among us
  9. Contretemps
  10. Risen
Gesamtspielzeit: 53:04 min

Im Forum kommentieren

Bonzo

2021-03-15 18:14:06

"Aftermath" vom Spotify-Algorithmus serviert bekommen, Album ausgewählt, schöne Wall of Sound. Dann "Rituals": reingefallen.

Trotzdem gutes Zeug.

Affengitarre

2021-03-03 14:36:11

Ja, tolles Ding einer tollen Band. Wirkt für mich noch etwas runder als der Vorgänger, gleichzeitig aber auch schwerer greifbar. Oceantoolhead beschreibt das alles ganz wunderbar, da kann ich wenig hinzufügen.

The MACHINA of God

2021-03-03 14:18:55

Schon echt ein tolles Album, was ich mehr hören sollte. Gerade den epischen Einschlag der zweiten Hälfte mag ich sehr.

Oceantoolhead

2020-04-04 21:14:31

Grade mal wieder durchgelaufen. Meine Fresse - was für ein Album. Bettet einen zunächst mit dem Towards Dawn und Aftermath ein als ob alles in Ordnung und Friede wäre - bis mit Rituals die Hölle hinein bricht. Danach wird man komplett durch die Gegend geworfen und ausgespuckt nur um die letzten 10 Minuten so tun als wenn nichts gewesen wäre.
9/10

Armin

2019-04-25 18:45:09- Newsbeitrag

ROLO TOMASSI
Im Juli 2019 in Wiesbaden und Köln

Nach 2 Shows in Berlin und Hamburg im März 2018, sind ROLO TOMASSI mit ihrem aktuellen Album „Time Will Die and Love Will Bury It“ im Juli 2019 zurück in Deutschland. Das Quintett um Ausnahmesängerin Eva Spence wird dabei Wiesbaden und Köln einen Besuch abstatten.

ROLO TOMASSI gehören seit Ihrer Gründung in 2005 zu den wahrscheinlich ungewöhnlichsten, aber innovativsten Bands im Bereich der progressiven Rockmusik. Die aus dem Geschwisterpaar, Sängerin Eva und Keyboarder James Spence, dem Gitarristen Chris Cayford, Bassiten Nathan Fairweather und Drummer Tom Pitts, bestehende Band, verdankt Ihren Namen einer Figur aus dem Film „L.A. Confidential“

Wenn es um den Stil der Band geht, scheiden sich die Geister – beeinflusst durch Bands wie Converge, King Crimson, aber auch dem Saxophonisten John Coltrane, ist der Stil der Band schwierig zu beschreiben. Für die einen ist es eine Mischung aus Mathcore, Acid Jazz und progressivem Hardcore Punk, so ist es für viele andere ein Mix aus Grindcore und Spazzcore.
Aber auch der vielseitige Gesang von Frontfrau Eva Spence, lässt diese Diskussion nicht einfacher werden.

ROLO TOMASSI werden mit Ihren beiden Shows auch hier wieder keine Einigkeit unter den Kritikern herbeirufen können, aber das ist auch nicht nötig, denn die Band weiß mit ihrer Vielschichtigkeit und ihrem Abwechslungsreichtum zu überzeugen, wovon man sich bei einem der Termine im Juli 2019 dringendst überzeugen sollte


ROLO TOMASSI

16.07.2019 - Kesselhaus - Wiesbaden
30.07.2019 - MTC - Köln

Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.

Spotify

Weitere Rezensionen im Plattentests.de-Archiv

Threads im Forum