
Justin Timberlake - Man of the woods
RCA / SonyVÖ: 02.02.2018
The 3/10 experience
"Habt Ihr wirklich geglaubt, ich mache ein Country-Album?" Nun ja, Justin, Dein Zurückrudern zwei Tage vor Release in allen Ehren, aber wenn man seine Platte "Man of the woods" nennt und sich dazu im schnee- und waldbedeckten Niemandsland ablichten lässt, weckt man eben Assoziationen und Erwartungen. Ob es unbedingt gleich das Gitarren-Schrammel-Ding sein muss, sei dahingestellt. Letztlich soll der Titel allerdings an Timberlakes Sohn Silas angelehnt sein, dessen Name eben "of the woods" bedeute. Doch der fünfte Longplayer des Tausendsassas will dann doch ein bisschen mehr als den Country nur andeuten. Überall tauchen plötzlich Slide-Gitarren und Galopp-Rhythmen auf, auch wenn darüber die Beats der Marke Timbaland und The Neptunes liegen. Ein neuer Ansatz recht und schön, aber "Man of the woods" krankt daran, dass dieser zum einen nicht zu Ende gedacht und zum anderen vollkommen uninspiriert umgesetzt wird. Da spiegelt das chaotische Marketing eben nur das chaotische Album dahinter wider.
War womöglich der schwache Nachklapp "The 20/20 experience – 2 of 2" doch kein größenwahnsinniger Ausrutscher, sondern das erste Anzeichen einer Schieflage? Das Stottern und Furzen der eröffnenden Vorabsingle "Filthy" ist nur ein müdes Echo eines weit zurückliegenden "SexyBack". Ohne dessen Zackigkeit, dafür mit komplett deplatzieren Bombasteinschüben. "If you know what's good!", ruft Timberlake immer wieder in den Song und weiß es offenbar selbst nicht mehr. Die Nachfolgesingle "Supplies" versucht sich an Trap – nur echt mit den von Future geklauten "Brrr"-Einschüben – aber warum man diese maue Pastiche hören sollte, wenn Migos so was meist deutlich besser hinbekommen, bleibt unklar. Zumal im sensationell dummen Video noch halbherzig die Wokeness-Bewegung und #MeToo als reine Fußnote abgeholt werden mussten. Tendenziell irreführend sind diese beiden elektrolastigen Songs in Bezug auf "Man of the woods" ohnehin, denn ansonsten strebt Timberlake durchaus an, mehr ländliche Atmosphäre in den Sound einfließen zu lassen.
"The hard stuff" ist reiner, harmloser Gitarrenpop, wie er auf einem Ed-Sheeran-Album nicht fremd wäre. Nicht nur dieser Song krankt jedoch an übertrieben vielen Wiederholungen, welche die ohnehin schon dünnen Hooks zusätzlich nervig machen und selbst die Songs unter der Fünf-Minuten-Grenze ewig erscheinen lassen. "Wave" hätte aus seinem zackigen Country mehr machen können, geht aber durch die Repetition sehr schnell auf den Zeiger. "Midnight summer jam" schlägt sich ebenfalls wacker mit Bongos und Streichern, verpasst jedoch auch den rechtzeitigen Ausstieg. Nicht einmal die launige E-Gitarre aus "Sauce" kann darüber hinweg täuschen, dass die erste Hälfte trotz ihrer Beatlastigkeit kein einziges Tanzbein zucken lässt. Ganz zu schweigen von Lyrics wie "I like your pink / You like my purple", die man auf vergangenen Alben aufgrund des Grooves noch besser überhören konnte.
Ab dem absurden Heile-Welt-Duett mit Alicia Keys nimmt die Platte eine ruhigere, organischere Richtung an, und man erinnert sich noch rechtzeitig an die Klischeeäußerung von "persönlichsten Album" – hier durchaus als Drohung zu verstehen. Denn Timberlake preist die Familienharmonie und die Ruhe des Landlebens in einer so klischeebehafteten Weise an, dass sich echte Landleute davon beleidigt fühlen müssten. "Sunday you go to church / Back on your knees and you're tryin' to soul search." Dazu heißen vier Titel in Folge "Flannel", "Montana", "Breeze off the pond" und "Livin' off the land". Ein Wink mit dem ganzen Zaun. "Flannel" ist tatsächlich so irre beschissen als kitschige Ode an das Bekleidungsstück, dass es schon wieder hörenswert ist. "Give me a reason to be here / With my flannel on" presst den Stoff schon arg ins lyrische Korsett, "It's been with me many winters / It will keep you warm" lässt dann in seiner Hemdsärmeligkeit beinahe Trolling vermuten. "Haters gon' say it's fake", stichelte er noch im Opener, aber seine Hinterwäldler-Masche wirkt nun einmal schlichtweg aufgesetzt.
Abgesehen vom groovigen "Breeze off the pond" und Ehefrau Jessica Biels schickem kleinem Spoken-Word-Interlude "Hers" verlieren sich Timberlake und seine Helfer in seichtestem Vanilla-Pop, der lange nicht so innovativ ist, wie sie es gerne hätten. Man höre Madonnas "Don't tell me" oder gleich das von Timbaland selbst produzierte "Deliverance" von Bubba Sparxxx, die eine solche Mischung früher und besser hinbekommen haben. Zu allem Überfluss schleudert das eigentlich ganz okaye Chris-Stapleton-Duett "Say something" im pathetischen Höhepunkt den Rat "Sometimes, the greatest way to say something / Is to say nothing at all" heraus. Sicher gut gemeint, aber im aktuellen musikkulturellen Klima eine vollkommen irritierende und deplatzierte Aussage. "Man of the woods" – es wirkt so, als hätte der sonst sich immer so treffsicher inszensierende Timberlake die letzte Zeit wirklich im Hinterland verbracht und wäre dabei vollkommen aus dem Tritt mit der Welt gekommen. Ironischerweise gibt Timberlake seinem Sohn im furchtbar klischeebehafteten Ratschlagskatalog "Young man" mit auf den Weg: "Young man / You gonna have to stand for something." Wofür der Papa im Jahr 2018 steht, bleibt nach "Man of the woods" indes völlig unklar.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Hers (Interlude)
- Breeze off the pond
Tracklist
- Filthy
- Midnight summer jam
- Sauce
- Man of the woods
- Higher higher
- Wave
- Supplies
- Morning light (feat. Alicia Keys)
- Say something (feat. Chris Stapleton)
- Hers (Interlude)
- Flannel
- Montana
- Breeze off the pond
- Livin' off the land
- The hard stuff
- Young man
Im Forum kommentieren
Felix H
2024-06-24 12:05:31
Finally! Werd ich mir heute Abend reinziehen
Affengitarre
2024-06-24 11:43:04
Yeah!
tja...
2019-04-13 00:58:57
Borcholte
07.02.2018 - 16:19 Uhr
"Timberlake hätte sich auch politisch äußern können(...) zu #MeToo (...)"
da hat der herr borcholte wohl nicht das video zu "supplies" gesehen...seltsam!
Still asleep? Wake up
2019-04-12 19:54:51
Das Video zu "Supplies" ist ja wohl eindeutig gegen die Illuminati-Eliten und ihren satanischen Frauen- und Kinderausbeutungswahnsinn gerichtet. Der Song selbst ist leider schlecht gemacht.
Wie also kann man das in der Rezi nur "sensationell dumm" nennen, Felix?
Manno Meter
2018-02-20 01:46:38
Doch, die Art, wie Herr B. schreibt, ist spiessig. Als ob es eine bestimmte Richtung gaebe, in die sich ein Kuenstler zu entwickeln hat. Timberlys neues Album ist eine kunzteristische Version gigantesken Ausmasses.
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