Liam Gallagher - As you were

Warner
VÖ: 06.10.2017
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Mund-Harmoniker

In den Neunzigern, fucksagt Liam Gallagher bei der Sendung "Backstage Pass" der BBC, hätten ihm gleich vier Leute den Tee zubereitet. Heute müsse er den ganzen Scheiß alleine machen. Sparzwang. Niemand kaufe mehr Platten, Klugscheißer würden die verdammten Songs nur für umme runterladen und wunderten sich dann, dass es keine Rock'n'Roll-Stars mehr gebe. Weil er jetzt gezwungen sei, diesen Scheiß zu machen, klärt er auf, zeigt auf den Teebecher und rührt noch ein letztes Mal demonstrativ mit dem Rotzlöffel um. Am erstaunlichsten daran ist eigentlich, dass Liam Gallagher in den Neunzigern tatsächlich Tee getrunken haben soll.

In 2017 verwundert es umso weniger. Stand der ehemalige Oasis-Sänger, ganz allürenfrei, doch mit dem einst von ihm als Erdkundelehrer titulierten Chris Martin auf einer Bühne zu Benefiz-Zwecken für die Opfer der Terrorattacke in seiner Heimatstadt Manchester. Auf seinem Solodebüt "As you were" dankt Gallagher in "I've all I need" für den ganzen Support und holt in "For what it's worth" sogar zu einem Entschuldigungs-Rundumschlag aus. "I'm sorry for the hurt / I'll be the first to say I made my own mistakes." Der einstige Prototyp des britischen Rüpels ist nach privater Achterbahnfahrt inklusive Scheidungsheckmeck sowie dem Split seiner Band Beady Eye etwas geläutert. Etwas. Seinem Bruder Noel pisst Gallagher nach wie vor auch öffentlich ordentlich an den Karren, und sein Selbstbewusstsein hält auf einer Skala von 1 bis 10 den Pegel konstant auf 15.

Nach vierjähriger Abstinenz soll es bei Liam wieder um Musik gehen. Daher: "As you were". Frei übersetzbar: Mit mir ist wieder zu rechnen, ich bin wieder zurück auf meinen Bühnen. Deshalb dröhnt als Opener auch gleich die erste Single "Wall of glass" aus den Boxen. Satte Drums, eine Portion Groove, schnörkellose Riffs, Backing-Uuhs und das räudige Tönen der Mundharmonika: Als wäre Liam nie weg gewesen. Noch bevor die monotone Rhythmik von "Greedy soul" sich in ein dickes Soundgebilde stürzt, ertönt der Midtempo-Track "Bold". Startend als Akustiknummer, formt sich, bis auf die Mitklatsch-Bridge, aus dem wippenden Ein-Akkord-Piano, Streichern und choralen Stimmen eine elegant geschwungene Britpop-Nummer.

Letztlich erwartet niemand von Liam Gallagher experimentellen Schnickschnack oder zwischenzeitlich von der Songwriter-Muse mit Ideen überhäuft worden zu sein, sondern als Sänger den für ihn bestmöglichen Stücken seinen Stempel aufzudrücken. Wo Bruder Noel die Songs hat, besitzt Liam eben die Stimme. Und die klingt auf "As you were" besser und frischer als auf beiden Beady-Eye-Veröffentlichungen, kann bissig und soft bestens austarieren. Zwar brachte sich auch Liam Gallagher selbst löblicherweise als Songschreiber ein, Hilfe war dennoch notwendig: von Produzent Dan Grech-Marguerat (Tom Odell, The Vaccines, The Jezabels, Circa Waves) und Greg Kurstin (Sia, Adele, Lily Allen, Foo Fighters), der ja zudem unbestritten auch Popnummern schreiben kann. Wovon die Song-Längen profitiert haben dürften. Den instrumentellen Teil von "When I'm in need" hätten Oasis Ende der Neunziger wohl um gute vier Minuten verlängert.

Dennoch: Der gut informierte Pub-Bier-Sommelier erahnt bereits das bestimmende Soundbild auf Gallaghers Solowerk: Britpop und -rock, huldigenden John-Lennon- und The-Beatles-Content sowie leicht psychedelische Eingebungen. Und er behält recht. In den teils sehr dicht arrangierten Stücken finden sich neben Nostalgie-Auftritten von "Bonehead" aber auch Keyboardflächen und Brass-Elemente, letztere bewahren beispielsweise "You better run" davor, zu sehr den Kinks-Schrein zu wienern. "As you were" glänzt zwar nicht immer, verzeichnet bis auf einzelne lyrische Mittelprächtigkeiten wie die Anti-Weisheit "Only love can break my heart" in "I get by" aber auch keine Ausfälle.

Eigentlich sollte der Text ohne Noel-Vergleich auskommen. Weil beide aber nun einmal Teil einer famosen Band waren und noch aktiv sind auf den Grundfesten ebendieser, fallen Vermutungen unweigerlich anheim. So sehr sich "For what it's worth" als Post-Oasis-Ballade empfiehlt, so hartnäckig hält sich der Gedanke, dass Noel, gerade in der Hook, ein paar Prozent mehr rausgeholt hätte. Das macht den Track nicht im Geringsten schlechter, versieht ihn aber mit einem, zugegebenermaßen etwas unfairen, "Was wäre wenn"-Label. Existiert umgekehrt noch ein letzter Funken Bruderstolz, sollte Noel ihn aufsparen für "I've all I need". Das simple, infektiöse Schlussstück ist einer der Höhepunkte eines ganzen Albums voller neuer Haltungsschäden am Mikrofon. "It's not goodbye, so dry your eyes."

(Stephan Müller)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Wall of glass
  • Bold
  • I've all I need

Tracklist

  1. Wall of glass
  2. Bold
  3. Greedy soul
  4. Paper crown
  5. For what it's worth
  6. When I'm in need
  7. You better run
  8. I get by
  9. Chinatown
  10. Come back to me
  11. Universal gleam
  12. I've all I need
Gesamtspielzeit: 45:34 min

Im Forum kommentieren

Socko

2023-10-12 21:27:30

Generell finde ich beide gallagher-outputs seit Trennung recht ok. Bei Noel hielt ich gerade die experimentellen Sachen für überragend, die er mal zwis henzeitlich rausgehauen hat. War gut so. Denn Noel begann, zu langweilen. Hat er letztlich gut umschifft. Liams letztes halte ich persönlich für sein bestes und abwechslungsreichtes Leider krankt es an der wirren Produktion. Da ich aber nicht zu den audiophile gehöre, kann man getrost drüber weghören
As you were IST auch sehr überzeugend. Nur wall of glass kann ich nicht mehr hören. Ich finde den unfassbar nervig. Live ist das komischerweise wieder anders. Das Lyla - Phänomen.

Pluspuls

2023-10-12 21:08:39

Bin gerade voll im Oasis/Gallagher-Fieber...
Gleich 5 Songs, die ich vom Solodebüt richtig, richtig gut finde - das hatte mich damals total überrascht. Auch, weil ich die Beady Eye Sachen größtenteils eher nicht so gelungen fand. "I've All I Need" finde ich bis heute aber einfach unfassbar gut -> Karriere-Highlight!

(Plusoderminus)

- 01 Wall of Glass
+ 02 Bold
- 03 Greedy Soul
- 04 Paper Crown
- 05 For What It's Worth
+ 06 When I'm In Need
- 07 You Better Run
- 08 I Get By
+ 09 Chinatown
- 10 Come Back To Me
- 11 Universal Gleam
+ 12 I've All I Need (H)

Bonus:
- 13 Doesn't Have To Be That Way
- 14 All My People All Mankind
+ 15 I Never Wanna Be Like You

qwertz

2021-04-12 21:22:00

Bei Arte lief letzte Woche die Doku "As it was", die die Zeit rund um das erste Soloalbum abdeckt. Ist noch in der Mediathek verfügbar. Ganz nett, aber inhaltlich etwas redundant und nur mit wenig neuen Erkenntnissen. Für eine paar schöne Eindrücke von den Aufnahmesessions und lustige Szenen mit seinen Söhnen reicht's aber.

fuzzmyass

2020-08-19 01:58:19

Das Album hat sich erstaunlich gut gehalten... mit Ausnahme von 2-3 schwächeren Songs (Chinatown z.B.) ist das ein verdammt gutes Album mit einigen ganz großen Highlights (Bold!!!).

The MACHINA of God

2020-08-18 15:38:26

Letzteres. Das Album ist ungefähr so wie ich es erwartet habe. :)

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