Lee Ranaldo - Electric trim

Mute / PIAS / Rough Trade
VÖ: 15.09.2017
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Der ewig Junggebliebene

Freitag, der 8. September 2017. Während der gewaltige Hurrikan Irma auf der anderen Seite des Atlantischen Ozeans Angst und Schrecken in gleich mehreren Ländern verbreitet, ärgern sich viele Menschen in hiesigen Breitengraden über kalte Luft und ein wenig Nieselregen. Und versuchen dann doch, den vielen dicken Wolken am Himmel trotzend, einen Blick auf die angekündigten Polarlichter zu werfen. Nun ja. Auch von erfolglosen Unternehmungen soll man sich nicht unterkriegen lassen, zumal der Soundtrack für diesen ungemütlichen Abend kaum passender hätte ausfallen können: Lee Ranaldos neues Studiowerk "Electric trim" ist nämlich auch so eine merkwürdig-heimelige Mischung aus Leichtigkeit und Schwere. Fast wie ein dämliches buntes Licht, das sich hinter ein paar doofen Wolken versteckt. Pah!

Glücklicherweise blitzt Ranaldos seit Jahrzehnten eh längst bekanntes Talent ungleich öfter durch. Zudem erstaunt es einmal mehr, dass das einstige Gründungsmitglied der bandgewordenen New Yorker Gottheit Sonic Youth mit seinen stolzen 61 Jahren auf dem Buckel noch immer dermaßen frisch klingt. Das anfänglich sanft groovende "Let's start again" etwa schafft zum genau richtigen Zeitpunkt den Absprung in elektronische Gefilde, Störgeräusche und Rumpelrhythmen aus der Drum-Machine inklusive – all das, noch bevor man Ranaldo vorwerfen könnte, sich auf alten Lorbeeren auszuruhen. Auch der Abschlusstrack "New thing" experimentiert mit verspielten, computergenerierten Klängen, die sich immer wieder gekonnt mit den beinahe folkigen Untertönen des Albums verbinden. Dennoch wartet man auf ein typisches Sonic-Youth-Gitarren-Gewitter so vergeblich wie auf Polarlichter über deutschen Städten.

Wie passend jedoch, dass "Electric trim" nicht nur als Untermalung für im Nachhinein irgendwie reichlich albernes Himmelgeglotze taugte, sondern gar die waschechte musikalische Begleitung für eine Lee-Ranaldo-Doku ist, die im Mai 2017 Premiere in den USA feierte. Darin taucht auch der ehemalige Bandkollege Steve Shelley an den Drums auf, der mittlerweile hauptberuflich für Sun Kil Moon unterwegs ist – viel wichtiger aber ist das Mitwirken der hinreißenden Sharon Van Etten, die sich auf dem Album ebenfalls die Ehre gibt. Deren Beitrag in "Last looks" verhilft der Nummer geradeweg zum Platz auf dem Treppchen, obgleich der durchaus überraschende Tempo- und Stimmungswechsel in der zweiten Hälfte auch einen zumindest kleinen Teil dazu beiträgt.

Ansonsten ist "Electric trim", trotz seiner Güte, trotz seinen kleinen Experimente ein eher überraschungsarmes Album geworden – und nicht mal das verblüfft wirklich, waren schon Ranaldos letzte Werke weit entfernt von den unberechenbaren Ausbrüchen, für die man Sonic Youth schätzte und manchmal auch ein bisschen fürchtete. Ist am Ende aber nicht weiter dramatisch: Der schunkelige Road-Trip-Rock von "Circular (Right as rain)" weckt ebenso schöne Erinnerungen an bessere und wärmere Zeiten wie das augenzwinkernde Fuzz-Tanzmonster "Uncle Skeleton", und mit "Thrown over the wall" gibt es kurz vor Schluss sogar doch noch so etwas wie eine zur EVOLution aufrufende Protestballade. Wer braucht da schon ein paar bunte Lichter am Himmelszelt, wenn man sich gleich hier unten, auf der Erde, an etwas so Einfachem, so Schönem erfreuen kann?

(Jennifer Depner)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Let's start again
  • Last looks (with Sharon Van Etten)
  • New thing

Tracklist

  1. Moroccan mountains
  2. Uncle Skeleton
  3. Let's start again
  4. Last looks (with Sharon Van Etten)
  5. Circular (Right as rain)
  6. Electric trim
  7. Purloined
  8. Thrown over the wall
  9. New thing
Gesamtspielzeit: 55:05 min

Im Forum kommentieren

Kyuss

2017-11-21 17:33:26

Hm, alle 3 Alben vom ihm bei euch ne 6? Ne, ne die beiden ersten waren ne 7,5 mindestens - die neue kenne ich noch nicht, scheint aber das gleiche Niveau wie die ersten beiden zu haben.

2plus2gleich5

2017-09-21 14:39:36

Schönes Album geworden, wahrscheinlich das markanteste in Lees Post-SY-Phase. Die Lieder mäandern sehr stark zwischen Wilco, klassischem Songwriting, Spoken Word und dezenten Noise-Elementen. Die teils elektronischen Beats haben mich anfangs irritiert, mittlerweile gefällt mir aber ihr Wechselspiel mit Steve Shelley. Sind schon ein paar Überraschungen dabei.

Erwähnenswert sicher auch, dass Jonathan Lethem an den Lyrics mitgeschrieben hat.

(Was das Album mit Polarlichtern zu tun haben soll, ist mir in der Rezension jedoch schleierhaft geblieben.)

Armin

2017-09-20 21:16:49- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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