
Threshold - Legends of the shires
Nuclear Blast / WarnerVÖ: 08.09.2017
Nationales Geheimnis
Vorsicht ist geboten, wenn Progressive-Metal-Bands Konzeptalben im XXL-Format veröffentlichen. Nicht selten resultieren zu hohe Ambitionen in einem technisch exzessiven oder inhaltlich fragwürdigen Machwerk. Zuletzt verdeutlichte Dream Theaters "The astonishing" den Unterschied zwischen "gut gemeint" und (wirklich) "gut gemacht". Doch Threshold verfolgen eine andere Philosophie als die Genre-Mitbegründer aus New York. Hier steht das Können voll und ganz im Dienst der Songs und des puren Hörvergnügens. Trotz eines "Album des Monats"-Abonnements in einschlägigen Fachmagazinen und einer auch schon fast 30 Jahre langen Karriere müssen sich die Briten aber immer noch mit einer Art besseren Geheimtippstatus abfinden. Und die Vorzeichen, dass die neue Scheibe daran etwas ändert, standen nicht besonders gut.
Denn neben den großen Ambitionen boten auch bandinterne Veränderungen und das letzte Album keinen Anlass für allzu viel Optimismus. So wurde erst im März Sänger Damian Wilson überraschend vor die Tür gesetzt, angeblich stimmte die Chemie nicht mehr. Der neue Mann am Mikrofon ist jedoch kein Unbekannter, da Glynn Morgan bereits auf dem eher wenig beliebten Zweitwerk "Psychedelicatessen" von 1994 zu hören war. In der Fangemeinde sind die Sympathien für die Sänger entsprechend klar verteilt: Die Plätze 1a und 1b gehen an die beiden langjährigen Shouter Andrew McDermott und Wilson. Für Glynn Morgan hält sich der Zuspruch bis dato in Grenzen. Und so mag sich zwar unweigerlich die Frage stellen, welchen Eindruck "Legends of the shires" mit einem der bekannteren Vokalisten hinterlassen hätte, doch ändert das nichts daran, dass die vermeintlich dritte Wahl hier eine absolut überzeugende Leistung zeigt.
Wie erwähnt überschattet aber auch das bisher letzte Studioalbum die nach ihrer Bestimmung suchende Nation, um die es hier entgegen des an Tolkien erinnernden Titels und Covers unter anderem geht. Denn "For the journey" von 2014 war gerade auch im Vergleich mit dessen überzeugendem Vorgänger "March of progress" eine nicht mehr als solide Fingerübung. Entsprechend kritisch merkte Keyboarder Richard West an, dass "For the journey" weniger komplex und weniger tiefgründig war, als das bei Threshold normalerweise der Fall ist. Konsequenterweise wollten die Briten wieder progressivere Wege beschreiten, wieder dramaturgisch ehrgeizigere Töne anschlagen. Dass das die Band am besten kann, zeigen vor allem die drei zu Beginn des Jahrtausends erschienenen Alben.
Gesagt, getan: Bereits das vorab veröffentlichte, zehnminütige "Lost in translation" dürfte die meisten Sorgenfalten geglättet haben. Das sind die Threshold, wie sie eigentlich schon viel größer sein müssten: einfallsreich, mitreißend, extrem kurzweilig. Und gerade hier macht Glynn Morgan eine ausgezeichnete Figur. Dessen nicht allzu voreingenommene Kritiker dürften sich ohnehin nicht erst beim abschließenden, hinreißend gesungenen "Swallowed" versöhnlich zeigen, da spätestens nach ein paar Durchgängen Songs wie "Stars and satellites" ohne dessen leidenschaftliche Darbietung kaum noch vorstellbar sind. Morgan fügt sich zudem wunderbar in die Musik ein, die wie gewohnt nicht den Eindruck erweckt, als hätten beim Songschreiben Maßband und Wasserwaage bereitgelegen. Zwar klingen Threshold seit jeher auch nicht unbedingt innovativ, doch wer nach einer technisch virtuos aufspielenden Band sucht, deren Liedgut unprätentiös, greifbar und energiegeladen rüberkommt, dürfte mit dem vorliegenden Blockbuster endgültig fündig werden.
Denn "Legends of the shires" ist großformatiges Eventkino mit Anspruch und hohem Unterhaltungswert. Mit ihrer lässigen Prog-Metal-Attitüde bieten Threshold gleichermaßen Spektakel wie Seriosität, sind ebenso wenig komplexitätsversessen wie kitschverdächtig, gehen direkt ins Ohr, ohne sich anzubiedern oder gar in Melodic-Power-Metal-Territorium abzudriften. Einmal mehr bieten die Briten eine Fülle an unbeugsamen Refrains und eindringlichen Gänsehautmomenten. Dabei gilt: Die Hymne macht den Hit, die Melodie die Meisterschaft. Das schmissige "Small dark lines", das kraftvolle "Snowblind" und das kaum mehr fassbare "Superior machine" sind dabei nur drei von zahlreichen Höhepunkten in diesem so aufregenden wie abwechslungsreichen Abenteuer, dem seine Ambitionen nie zum Verhängnis werden und das auch nach längerer Zeit keine Abnutzungerscheinungen zeigt. Umso erstaunlicher ist es da, dass das Niveau über die gesamte Dauer gehalten, ja sogar gesteigert werden kann, denn besonders die zweite Hälfte ist eine große, prächtige Melodic-Prog-Metal-Party.
Und obwohl hier bereits das elfte Studioalbum vorliegt und sich Fans trotz personeller Veränderungen sofort heimisch fühlen dürften, vermeidet die Band offensichtliche Wiederholungen. In dieser Hinsicht dürfte es sogar ein Glücksfall sein, dass mit Morgan ein Mann am Mikro steht, der bisher wenige und nicht besonders tiefe Spuren hinterließ. Der erneute Sängerwechsel war vielleicht genau die Veränderung, die die Band nach dem eher gewöhnlichen "For the journey" gebaucht hat. Vielleicht ist "Legends of the shires" aber auch genau das Album, das die Briten insgeheim schon seit Jahren mit Morgan geplant hatten. Und vielleicht wird 2017 das Jahr, in dem Threshold endlich die Schwelle vom ewigen Geheimtipp hinter sich lassen können.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Small dark lines
- Stars and satellites
- State of independence
- Superior machine
- Lost in translation
- Swallowed
Tracklist
- CD 1
- The shire (part 1)
- Small dark lines
- The man who saw through time
- Trust the process
- Stars and satellites
- On the edge
- CD 2
- The shire (part 2)
- Snowblind
- Subliminal freeways
- State of independence
- Superior machine
- The shire (part 3)
- Lost in translation
- Swallowed
Im Forum kommentieren
Superhelge
2018-08-21 21:51:37
@Helvi: who?
HELVETE II
2018-08-19 22:45:58
8/10
Teilweise schrecklich dumme Kommentare.
Superhelge
2017-09-28 20:27:01
@Onkelz: Scherzkeks...
Bei Wounded Land geht es um die Zerstörung und Ausbeutung der Natur durch den Menschen an sich, Threshold waren immer etwas ökölastig. Frage mich, wie man da auf Zuwanderung o.ä. kommt...
FakeEmpire
2017-09-26 19:16:08
Die instrumentalen und etwas härteren Passagen kann ich mir ganz gut anhören. Aber andere Lieder, wie z.B. Small Dark Lines sind mir von der Struktur viel zu poppig und ausgelutscht. Das habe ich schon Tausendmal gehört.
Und Swallowed finde ich so unendlich schmalzig, dass ich mir das kein zweites Mal anhören kann.
Onkelz4Ever
2017-09-24 00:07:34
Ein paar Momente sind ganz gelungen, aber die
bereits angesprochenen rechtspopulistischen Texte bereiten mir ebenfalls Bauchschmerzen, auch wenn diese weitaus weniger radikal als noch zu früheren Zeiten auf ihrem Debut "Wounded Land" sind, wo Threshold offensiv das ihres Erachtens durch Zuwanderung verwundete Land ("Wounded Land") besangen.
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