The War On Drugs - A deeper understanding

Atlantic / Warner
VÖ: 25.08.2017
Unsere Bewertung: 10/10
10/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

A runaway American Dream

Drei Jahre später begegnen sie mir also wieder, diese letzten Sätze aus meiner Rezension zu "Lost in the dream": Mit jenem Album "lässt sich eine Zukunft vor Augen führen und noch kommende Augenblicke herbeisehnen, die man jetzt noch nicht kennt, aber an die man sich schon bald gern erinnern wird. Zumindest mit etwas Glück." Wer hätte das gedacht? Adam Granduciel und seine Kollegen haben es schon wieder getan, da darf ich meine eigenen Worte wohl auch getrost wiederholen. Zudem sie auch zu "A deeper understanding", dem neuen Werk von The War On Drugs, bestens passen. Kann diese immer noch so junge Band überhaupt etwas falsch machen? Vier Alben hat sie nun im Repertoire, ohne einen einzigen Ausfall, im Gegenteil – sie wird immer besser, die Zukunft mit ihr schöner, die erwähnten noch kommenden Augenblicke berührender.

Mehr noch: Die Musik des Sextetts aus Philadelphia ist wie ein andauernder Rauschzustand, der mit jeder verstrichenen Minute intensiver wird. Dieser Höhenflug ist auch 2017 noch nicht vorbei und ein Ende nicht mal ansatzweise in Sicht. So sehr sich dabei auch der Vergleich zum Vorgänger aufdrängt, desto unnötiger erscheint er bei jedem weiteren Hördurchgang. "A deeper understanding" geht den Weg von "Lost in the dream" konsequent weiter, verzichtet im Mittelteil jedoch auf die mitnichten weniger schönen, aber zumindest etwas gleichförmigeren Verschnaufpausen, wie sie etwa "Disappearing" oder "The haunting idle" darstellten. Stattdessen bewegt sich das Album stetig mehr auf die Sonne zu, ohne sich zu verbrennen und lässt von Stück zu Stück die Wellen höherschlagen, ohne unterzugehen. Und obwohl der von Fuzz-Gitarre und Computer-Beats durchzogene Opener "Up all night" gut zweieinhalb Minuten kürzer ist als "Under the pressure", sein Pendant von 2014, stößt er die Tür zu dieser weiten, ungewissen und doch faszinierenden Welt noch ein bisschen weiter auf.

Zeit und Geduld waren die Schlagworte, die The War On Drugs vorab zu "A deeper understanding" in den Raum warfen. Erstere nehmen sie sich, Zweitere fordern sie ein: "Thinking of a place" ist mit über elf Minuten Spielzeit wahrlich kein kleiner Happen für zwischendurch, schon gar nicht als erster Vorbote, überraschte und überzeugte trotz – oder wegen? – seiner Länge aber auf ganzer Linie. Classic Rock meets Americana, von Synthies untermalt, mit Granduciels immer noch irgendwie nach Springsteen und Dylan klingender Stimme, das vermeintlich alte Konzept eben. Dennoch kommt dieser vertonte uramerikanische Traum genau zur rechten Zeit, entführt er an schönere Orte, beruhigt er die aufgebrachten Gemüter. Und obgleich Granduciel "A deeper understanding" als "LA record" bezeichnet, spaziert er vor dem inneren Auge über die Straßen seiner Wahl-Heimat Philadelphia, genau so, wie es schon ein gewisser anderer Musiker getan hat.

Überhaupt sind die zehn neuen Songs mehr als Musik, sie vermitteln Atmosphäre, lesen sich wie ein Buch – und lassen tief blicken: So groß die Gesten hier oft auch sein mögen, enthüllt Granduciel sein Innenleben auf derart offene Weise, dass es fast schon wieder intim wirkt. In "Pain" erzählt der Frontmann von Dämonen, Ängsten und gebrochenen Männern, sieht er sich selbst umzäunt und eingesperrt, fleht er "Give me a deeper understanding of who I am" und fürchtet die Antwort mutmaßlich mehr als alles andere. Und doch ist er mit Selbstfindung beschäftigt. "The truth is in the dark", weiß auch "In chains" und bringt alsbald Licht ins Dunkel, windet sich, kämpft sich durch den Tunnel und befreit sich aus seiner misslichen Lage. Und freilich liegt "Knocked down" nicht wirklich am Boden, sondern ruht sich nur aus, nah am wärmenden Lagerfeuer, über sich leuchtende Sterne, wie man es schon so oft in romantisch anmutenden Western-Streifen gesehen hat. Hier schaut man nicht nur zu, sondern empfindet mit. Man spürt den Sand unter sich, den Staub in den Augen, die trockene Luft im Hals. Und könnte sich trotz des unterschwelligen Herzwehs kaum noch besser aufgehoben fühlen.

Etwas südlicher, direkt in die Magengrube, haut hingegen "Holding on", eine unter Strom stehende und ohne Pause nach vorne marschierende Hymne, die alle Abenteuerlustigen und Außenseiter genau dort abholt, wo "Burning" sie 2014 abgesetzt hat. Es geht nach Hause, im Autoradio läuft "Strangest thing" und gibt die Richtung vor: "I wanna run home", ruft Granduciel aus, Melancholie macht sich breit, das verflixte Heimweh liefert sich einen bombastischen Kampf mit dem Drang nach Neuem – er endet unentschieden. Oder lassen The War On Drugs ihrer Hörerschaft einfach nur freie Wahl? Zum Schluss ist die Antwort eigentlich klar. Sicher nicht ohne Grund heißt das Finale "You don't have to go", und während Granduciel tröstet, fleht und argumentiert, ist er doch selbst schon mit einem Fuß aus der Tür. Auch uns hält hier eigentlich nichts mehr. Die Zukunft wartet, Augenblicke müssen erlebt und Erinnerungen geschaffen werden. Mit The War On Drugs scheint all das möglich – und wie immer auch mit etwas Glück.

(Jennifer Depner)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Up all night
  • Holding on
  • Strangest thing
  • Knocked down

Tracklist

  1. Up all night
  2. Pain
  3. Holding on
  4. Strangest thing
  5. Knocked down
  6. Nothing to find
  7. Thinking of a place
  8. In chains
  9. Clean living
  10. You don't have to go
Gesamtspielzeit: 66:20 min

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2024-01-07 02:08:04

Spaß hat er, aber passieren tut halt oft nicht so viel.

VelvetCell

2024-01-07 00:41:39

Ich hasse Beckengewitter!

Außer bei Kyuss.

Pluspuls

2024-01-06 16:36:10

Kann die Kritik am Drumming auch nicht so ganz nachvollziehen - passt immer perfekt zum Song und nur darum geht es meiner Meinung nach.

Außerdem finde ich es ausgesprochen gut, dass er sich nicht ständig mit irgendwelchen Soli aufdrängt, und, dass es bei ihm kaum Beckengewitter gibt. Ich hasse Beckengewitter!

Yersinia

2024-01-06 15:01:41

Charlie Hall ist ein Gott.

Ende.

Blanket_Skies

2024-01-06 12:56:38

Wenn man allerdings live sieht, wie viel Spaß der Drummer hat, da möchte man es ihm gar nicht schwerer machen.

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