Declan McKenna - What do you think about the car?
Columbia / SonyVÖ: 21.07.2017
Reifeprüfung bestanden
Der erste Kuss, die ersten Erfahrungen mit Alkohol, der erste Festivalbesuch – all das sind Momente, die das Leben eines jungen Menschen prägen können und noch weit über die Adoleszenz hinaus im Gedächtnis bleiben. Ob das Glastonbury 2015 das erste Festival des damals 16-jährigen Declan McKenna war, ist nicht bekannt, wohl aber, dass es für ihn ein noch sehr viel einschneidenderes Erlebnis war als für die meisten seiner Altersgenossen. Er gewann die jährlich vom Festival organisierte "Emerging talent competition", was ihm nicht nur einen eigenen Auftrittsslot zwei Jahre später bescherte, sondern ihn auch über Nacht zur nächsten blutjungen Musikhoffnung des Vereinigten Königreichs machte. Eine enorme Bürde für einen Jungen seines Alters, doch sein nun erschienenes, überraschend erwachsenes Debüt beweist, dass er sie mühelos schultern kann.
Diese Reife ist aufs erste Ohr noch nicht unbedingt ersichtlich, klingt "What do you think about the car?" über weite Strecken so, als hätte Jake Bugg ein paar Stunden mit den Jungs von MGMT verbracht, bevor er nicht nur von einem neugewonnenen Kreativgeist berauscht ins Studio getorkelt wäre. McKenna macht astreinen Pop, der jedoch immer genug Haken schlägt, um niemals zu glatt zu wirken, und der seinen Weg stets durch ein unheimlich dichtes Synthie- und Gitarrengeflecht schlagen muss. Was das Werk des jungen Briten so erstaunlich macht, sind im Grunde genommen zwei Dinge: Zum einen ist es eine für sein Alter unübliche Gesetztheit, seine Songs strahlen weniger juvenile Hibbeligkeit und mehr altersweise Souveränität aus, sind näher an Altmeistern wie Jeff Buckley als an aktuellen Weltstars wie Ed Sheeran. Zum anderen sind es seine Texte, die in ihrer Ernsthaftigkeit im Kontrast zum euphorisch schillernden Sound stehen und mit ihrer Sozialkritik an McKennas Landsmann Jamie T erinnern.
Mit "Humonguos" gibt es direkt zu Beginn einen Beweis für das herausragende, dynamische Songwriting des jungen Briten. Zunächst nur mit hallender Akustikgitarre und Piano startend, öffnet sich der Song für einen überwältigenden Refrain, nur um mit einem unerwarteten Tempowechsel in ein treibendes Finale zu münden. Darauf folgt seine schon seit zwei Jahren bekannte Debütsingle "Brazil", ein unverschämt eingängiger Jangle-Pop-Hit, der sich kritisch zur WM-Vergabe 2014 äußert. In eine ähnliche Kerbe schlägt "Isombard", der im Vergleich zum Rest des Albums ungewohnt offensiv und hektisch daherkommt und thematisch um die "Black Lives Matter"-Bewegung kreist. "Bethlehem" gibt sich religionskritisch, während es in "Paracetamol" um den Suizid der Transgender-Teenagerin Leelah Alcorn und die generelle Repräsentation von LGBT-Menschen in den Medien geht. Ja, McKennas Gesellschaftskritik stürzt sich auf viele, nur peripher zusammenhängende Themen, anstatt sich einen Einzelaspekt herauszupicken und dort differenzierter in die Tiefe zu gehen. Vorwürfe einer fehlenden Fokussierung greifen hier jedoch nicht, vielmehr machen McKennas Lyrics die Reizüberflutung deutlich, mit der Teenager in der heutigen Zeit konfrontiert werden und spiegeln deren Versuch wider, die zunehmende Ungerechtigkeit in der Welt in einen sinnvoll scheinenden Gesamtzusammenhang zu bringen.
Dieses Vorhaben zeigt sich am deutlichsten im wohl besten Song der Platte, "The kids don't wanna come home". Hier offenbart sich mit einem erhabenen Refrain und dem zarten Ansatz einer "Heroes"-Gitarre nicht nur McKennas Liebe zu David Bowie, es geht auch explizit um jugendliche Hilflosigkeit im Angesicht der Grausamkeiten der modernen Welt: "I don‘t know what I want, if I'm completely honest / I guess I could start a war, I guess I could sleep on it." Ähnliche Unsicherheiten machen sich im hell funkelnden "Make me your queen" breit, auch wenn es hier ausnahmsweise mal nicht um Weltpolitik, sondern um die im Vergleich banal wirkenden Irrungen unerwiderter Teenieliebe geht. McKennas Debüt ist ein Album der Kontraste, und genau das macht es so faszinierend. Er stellt seine musikalische wie lyrische Reife nicht aufgesetzt zur Schau, sondern behält stets ein Bewusstsein dafür, dass er sich mit seinen 18 Jahren erst am Anfang seiner persönlichen wie künstlerischen Identitätsentwicklung befindet. Bleibt zu hoffen, dass dieser hochtalentierte junge Mann die richtigen Karriereschritte gehen wird und einer Vermarktung als nächster alternativer Posterboy widerstehen kann.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Humonguos
- Brazil
- The kids don't wanna come home
- Make me your queen
Tracklist
- Humonguos
- Brazil
- The kids don't wanna come home
- Mind
- Make me your queen
- Isombard
- I am everyone else
- Bethlehem
- Why do you feel so down
- Paracetamol
- Listen to your friends
Referenzen
Spotify
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