Katy Perry - Witness

Capitol / Universal
VÖ: 09.06.2017
Unsere Bewertung: 4/10
4/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Der Zweck und das Mittelmaß

"Purposeful pop" mache sie jetzt, sagte Katy Perry in einem Interview. Die Präsidentschafts-Kampagne von Hillary Clinton habe ihr die Augen geöffnet, sie "woke" gemacht. Schräges Narrativ? Willkommen im bizarren Rollout des neuen Katy-Perry-Albums "Witness". Die erste Single "Chained to the rhythm" prangerte die "bubble" an, in der sich die Leute befinden, wollte aufrütteln, kam aber textlich wie musikalisch etwas lauwarm daher. Nicht schlecht, aber eine Vorabsingle sollte einfach mehr Eindruck schinden. Als danach "Bon appétit" erschien, blieb nur noch Kopfkratzen. Klar, der Beat geht voll in Ordnung, eine etwas bessere Hook wäre noch wünschenswert gewesen. Aber: "Got me spread like a buffet / Bon appétit, baby"? Einen höheren Zweck sucht man vergebens, man findet nur das Trap-Trio Migos als Feature. Die fielen in letzter Zeit neben durchaus griffigen Hits auch in Interviews durch Abwesenheit von Intelligenz im Allgemeinen und latent homophobe Kommentare im Speziellen auf. Ach, Katy.

Was uns zur dritten Single "Swish swish" bringt. Vergessen sollte man das Trara um den Beef mit Taylor Swift, dass es um ausgeliehene und nicht mehr wiedergebrachte Background-Tänzer ging und dass diese Nummer eine Antwort auf Swifts "Bad blood" sein soll – auch wenn Perry stur behauptet, die Message richte sich gegen Bullying generell und niemanden persönlich. Der Track funktioniert dank seines unterkühlt funkigen Beats jedenfalls wunderbar – keine Überraschung, teilt er sich doch die Sample-Grundlage mit Nicki Minajs brillantem "Truffle butter". Die gastiert hier ebenfalls und hebt den Track noch eine Niveaustufe höher. Scheiß halt auf die "purpose". Genau wie auf das bestenfalls befremdliche Albumcover, das nur eine weitere Eisenkugel am Bein der chaotischen Vermarktung im Vorfeld der Veröffentlichung war. Denn alle Widersprüche, alle Fehltritte kann ein mit Brechern durchsetztes Album vergessen machen.

"Witness" ist leider kein solches Album geworden, Hitdichte und Klasse von "Teenage dream" und "Prism" liegen in weiter Ferne. Ja, ganz recht, der Rezensent würde die beiden Vorgänger im Vergleich zu den Wertungen auf dieser Seite im deutlich besseren Bereich einordnen. Weil sie effizient Kracher am Fließband lieferten, weil verdammt tolle Singles wie "Firework", "Teenage dream" und "Dark horse" drauf waren. "Witness" liefert zunächst nur Schatten dieser Erfolge, lediglich das schmissige "Roulette" macht vergleichbaren Radau. Ansonsten gehören die drei Singles noch zu den interessanteren Stücken. Auch, weil Perry anderweitig auf Feature-Gäste verzichtet. Der hohe Anteil an zurückhaltenden Songs sorgt zudem leider nicht für das gewünschte reifere Bild der Künstlerin, sondern hauptsächlich für Langweile und dafür, dass sich "Witness" stellenweise endlos zieht. "Déjà vu", "Miss you more" oder das von Clinton inspirierte "Bigger than me" wären früher jedenfalls nicht auf den Teller gekommen. Besonders die Refrains sind oft Schwachstelle, bei "Pendulum" wird zum Beispiel die spannungsvoll marschierende Strophe durch einen einfallslosen Chorus komplett verschenkt.

Die Platte als Gesamtes ist dabei jedoch primär das Problem. "Witness" wirkt aus der Vogelperspektive betrachtet vollkommen zusammengewürfelt und beliebig, der propagierte Wille zur Message trifft auf schwaches Fleisch. Ein Song wird nicht aussagekräftig, weil man sagt, er sei aussagekräftig, ein Album wird kein Kunstwerk, nur weil man 15 Songs einfach hintereinander presst. "So I take a deep breath / And I save as draft", heißt es gegen Ende im immerhin hübschen "Save as draft" und über den Entwurfs-Status ist diese scheinbar hastig und planlos zusammengeschusterte Platte auch nicht hinausgekommen. Wenn Perry also ihrer Konkurrentin Swift "Your game is tired / You should retire" entgegenschleudert, möchte man ihr sanft auf die Schulter tippen, mit dem Daumen Richtung Spiegel zeigen und leise flüstern: "Vorsicht."

(Felix Heinecker)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Roulette
  • Swish swish (feat. Nicki Minaj)

Tracklist

  1. Witness
  2. Hey hey hey
  3. Roulette
  4. Swish swish (feat. Nicki Minaj)
  5. Déjà vu
  6. Power
  7. Mind maze
  8. Miss you more
  9. Chained to the rhythm (feat. Skip Marley)
  10. Tsunami
  11. Bon appétit (feat. Migos)
  12. Bigger than me
  13. Save as draft
  14. Pendulum
  15. Into me you see
Gesamtspielzeit: 57:38 min

Im Forum kommentieren

hubschrauberpilot

2018-06-08 12:00:56

"Lösch dich" - Dorian-Fanboy oder was? Ultrapeinlich.

qwertz

2018-06-08 11:55:39

aber singen (...) kann sie


Gerade bei ihr heißt es doch, dass der Gesang live ziemlich schief klingen soll. Aber vielleicht hat sich das ja mittlerweile tatsächlich gebessert.

Felix H

2018-06-08 09:04:27

Habe sie Mittwoch in Berlin live gesehen.
So schnarchig ich das neue Album nach wie vor finde, die Show war dann doch ziemlich große Klasse. Und das obwohl die Hälfte der Songs von "Witness" stammte – viele davon (vor allem "Deja Vu" und "Into Me You See") haben live deutlich dazu gewonnen.
Das ganze hatte eine übertrieben bunte, aber visuell saumäßig unterhaltsame Video-/Lichtshow bekommen. Und man mag sonst von ihr halten, was man will, aber singen und performen kann sie. Das war im Kontext zum Voract Tove Styrke deutlich, die eigentlich ein viel besseres Album hatte, aber bühnentechnisch noch Ausbaupotenzial hat. (Der Vergleich ist vielleicht nicht ganz fair, schließlich hatte sie auch weniger Mittel.)

hubschrauberpilot

2017-12-21 18:55:46

Hm, Mut zur Hässlichkeit. Das Lied finde ich nicht sehr gelungen.

Felix H

2017-12-21 10:00:23- Newsbeitrag

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