Kala Brisella - Endlich krank
Späti PalaceVÖ: 19.05.2017
Band ohne Band
Heute schon Zähne geputzt und dabei dunkelweiße Flecken entdeckt? Seid froh. Geht man mit Kala Brisella im Drogeriemarkt einkaufen, sieht man weitaus Schlimmeres. Wenn auch nur vor dem geistigen Auge. Das Trio um Jochen Haker abstrahiert nämlich viel zu gern, um in Rechtsruck-Zeiten den Markennamen "Oral Braun" nicht in Zeilen wie "Bitte erschrecken Sie nicht beim kurzen Blick in den Spiegel / Die braunen Stellen lassen sich beim genaueren Betrachten nicht mehr verstecken / Jede Aussage wird hierdurch verfärbt und ist für Ihr Gegenüber unerträglich / Wir empfehlen deswegen einfach und vielleicht auch für immer, die Fresse zu halten" umzudeuten. Zornige Riffs rücken die Möbel schief und weichen nach einem minimalistischen Break pointierten Leads, bevor der Song wieder mahlend Fahrt aufnimmt. Keine Frage: Die Berliner sind sauer.
Einerseits ob der Gesamtsituation, andererseits vermutlich ob der Querelen um ihren ursprünglichen Namen Das Band, an dem eine nicht eben bekannte Münchener Kapelle ältere Rechte anmeldete. Also benannte sich der ursprünglich aus dem Theater-Umfeld stammende Dreier leicht speziell in Kala Brisella um – was eher Schuhmode von der Stiefelspitze Italiens denn wuchtigen Post-Punk suggeriert. Preist Frontmann Haker im Opener die Vorzüge der elektrischen Zahnbürste, gemahnt er zuweilen an die stimmliche Aufgedrehtheit von Schorsch Kamerun und Mediengruppe Telekommander beim gemeinsamen Haushalts-Shopping. Und auch das zerdehnte Skandieren des Mutter-Sängers Max Müller schwebt unsichtbar im Raum – obwohl der es auf seinem Soloalbum "Endlich tot" noch eine Spur konsequenter trieb als Kala Brisella auf "Endlich krank".
Seine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hat sich das Titelstück als scharfes, heiseres Punkrock-Monster also redlich verdient und liegt direkt die ganze Woche flach, während Schlagzeugerin Anne Müller im Hintergrund die Werktage runterzählt. Krankheit als Weg zur wirksamen Verweigerung einer auf unbedingtes Funktionieren ausgelegten Leistungsgesellschaft, Gelber Schein und grimmiger Spaß dabei. Ebendiesen macht auch "Immer neu immer fresh", die Hymne für alle, die ihre ambitionierten Projekte gründlich vor die Wand gefahren haben und nun schief grinsend die Bühne der jüngsten Fuckup-Night entern: "Ich will scheitern / Und Euch gefallen." Und Letzteres gelingt diesem schlanken Uptempo-Hit, der sich vor allem bassig Dead Kennedys' "California über alles" vorknöpft, tatsächlich auf Anhieb.
Wobei Kala Brisella während ihres selbstauferlegten Siechtums auch das eine oder andere Mal kräftig in den Seilen hängen. "In meinem Innern" dürfte es zu deprimiert kreisender, erst verspätet eindrucksvoll aufbegehrender Gitarre jedenfalls ebenso trostlos aussehen wie "Im Quartier", das sich nachdrücklich wimmernd um ansatzweise Post-Rock-Weihen bewirbt. Und das Fieber steigt weiter: "Alles zerreißt" präsentiert sich mit brisantem Ungleichgewicht aus pointierten Leads und verkomplizierter Drum-Figur in der Tat bis zum Bersten gespannt, und zum roh teufelnden Zweiminüter "Planet" ist ähnlich "Peinlich tanzen" angesagt wie beim ungemütlichen "Wellness"-Album von Storno. aus Duisburg. Und so gibt "Endlich krank" einen trübsinnigen, aber äußerst packenden Ausblick auf ein (Berufs-)Leben, wie es nicht sein soll: mit dem grauen Band der Lethargie.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Braun Oral
- Endlich krank
- In meinem Innern
- Immer neu immer fresh
Tracklist
- Braun Oral
- Flächen
- Endlich krank
- In meinem Innern
- Im Quartier
- Planet
- Immer neu immer fresh
- Der Schlaf auf meinen Augen
- Alles zerreißt
- Kids
- Wenn Du sprichst
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Master
2017-06-11 12:32:49
Gefällt gut. Insbesondere die Instrumentierung ist wirklich toll, leider kann ich meist mit dem "Gesang" wenig anfangen. Mal schauen...
Armin
2017-06-07 22:00:46- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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