Love A - Nichts ist neu

Rookie / Indigo
VÖ: 12.05.2017
Unsere Bewertung: 9/10
9/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Im Zweifel für die Anderen

"9/10 gab es im Punk-Rock-Sektor bisher nur für Fucked Ups Meisterstück", warnte Kollege Eric Meyer, als der Rezensent ihn im Überschwang nach den ersten Durchläufen der neuen Love A anschrieb. Die Bewertung für "Nichts ist neu" aber nochmals zu überdenken, war und ist keine Option: Das neue Love-A-Werk ist vielleicht die bestorchestrierte und bissigste Indie-Punk-Platte des aktuellen Jahrzehnts. Für viele Leser von Plattentests.de wie auch für den Rezensenten selbst gab es noch nie eine gesellschaftspolitische Phase wie die derzeitige. Fakt ist: Es war schon lange nicht mehr – sagen wir mal 1945 – so scheiße wie jetzt. Und wenn Musik als Ausdruckform größer sein kann als die alleinige Aneinanderreihung von Tönen, dann ist es ihre Pflicht mit der ihr verliehenen Kraft Protest auf aktuelle Strukturen umwälzen. Zwischen Adam Angst mit den plakativen Parolen ihres gleichnamigen Debüts und dem abstrakten Flucht-Epos "Abalonia" von Turbostaat findet das vierte Album des Quartetts genau das richtige Maß zwischen Auf-die-Fresse-Polemik und empathischem Storytelling. Der Spannungsbogen, der sich dabei durch die zwölf Titel des Albums zieht, durchlebt von tränenreichen Tälern bis strahlender Siegerpose fast alles, und skizziert den Weg eines Individuums im Spannungsfeld von Innen- und Außensicht bis hin zur Haltung.

Am Anfang steht indes die Ernüchterung. "Niemand hat auf uns gehört.", bedauert "War klar". Denn wer zuvor warnte, wurde oft ausgelacht. Als der Rezensent 2009 einem seiner besten Freunde ein paar politische Zeilen von "Sexismus gegen Rechts" von K.I.Z. präsentierte, meinte jener erstaunt: "Das letzte Problem, das wir in Deutschland haben, sind Nazis." Heute ist braunes Gedankengut wieder in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Unter dem Schall zweier geachtelter Gitarren fordern Love A daher: "Mach die Augen auf", und erklären die Mission als längst noch nicht gescheitert. Das folgende "Die Anderen" stellt dabei aber politische Richtung zurück und erklärt vielmehr die Menschlichkeit zur obersten Direktive: Nicht mal unbedingt links, sondern "im Zweifel für die Anderen" müsse es heißen. Ungläubig den Kopf schütteln dürfte Johnny Marr, sollte er den Track jemals zu Gehör bekommen, weil ihm die eröffnende Gitarrenlinie nicht selbst einfiel.

"Nachbarn II" behandelt die alltägliche Missgunst in diesem Land, die in Wahrheit weit größere Wellen schlägt, als man es dem Gerede lila-gefärbter Omis aus Stuttgart-Vaihingen an sich zutrauen würde. Das Quartett verpasst dem Track "Nachbarn" vom Debüt "Eigentlich" einen würdigen Nachfolger. Nach dem Ableben des Protagonisten heißt es da: "Die Nachbarn waren froh, denn er war immer 'ne Sau." Man gönnt jemandem den Tod, weil er nicht geltendem Stereotyp entsprach, sich nicht an die Regeln hielt, oder im schlimmsten Falle sogar schwul war. Das ist natürlich pointiert, der Titel schöpft aber seine herzbrechende Erbarmungslosigkeit gerade hieraus. Der Beginn des Stücks scheint dabei Tomtes "Küss mich wach Gloria" von "Heureka" entliehen, nur dass das Erwachen hier ein böses, der Sound entsprechend in Moll gehalten ist. Genau an dieser Stelle findet sich nicht nur ein Indiz, sondern vielmehr der Beweis, dass es Love A wie keine andere Band im Deutsch-Punk-Zirkus verstehen, gefällige Indie-Klänge in fiese Zweiviertel-Prügler mit Aussage zu transformieren. Das Flucht-Drama "Weder noch" und das tragisch-komische "Verlieren" liefern weitere Beispiele für die Liaison von Eingängigkeit und Aufs-Maul-Instrumentierung.

"Unkraut" zeigt Deutschtümelei, ach was, gleich dieser ganzen hochstilisierten, angeblich genetisch bedingten deutschen Tugendhaftigkeit den ausgestreckten Mittelfinger. Ins Post-Punk-Gewand gehüllt, zwischen düsteren Drones und dreckiger Joy-Division-Gitarre, könnten etwa Messer neidisch werden, ob der Durchschlagskraft des Tracks. Jörkk Mechenbier spricht mehr, als dass er singt, aber weniger, wie man es von Jens Rachut oder Jan Windmeier kennt, sondern ungleich abgehackter und mithin fataler, markerschütternder, kompromissloser. "Angst 1, Mitleid 0, Weltmeister, Kartoffelland / Wochenende, hoch die Hände, ist der Leitkultur Unterpfand", bringt es der Vierer auf den Punkt. Der Adressat wird direkt gesucht: "Arschlochmensch, hörst Du das auch?" Mit dem Takt marschiert Mechenbier ins Festzelt ein, macht Tabula rasa. Als klassischer Neo-Punk-Brecher folgt "Treeps" und erklärt sogleich wie man den Schemata des Deppen-Daseins entflieht. Es gilt "die Fragen, auf die es keine Antwort gibt" zu suchen, an ihnen bis zur Einsicht zu verzweifeln und sich dabei immer wieder in die Lage eines Fremden zu versetzen.

Kaum verwunderlich erscheint es, wenn man angesichts der beschriebenen Zustände auch mal zynisch wird. Deutsche Beschwerde-Mentalität wird in "Löwenzahn" sarkastisch quittiert, während das alldurchdringende Kraut seinen Kopf weiter durch den Asphalt hackt. Am Ende ist es die Natur, die sich durchsetzt, wenn Love A mit Tempiwechseln spielen und den Mitkeif-Refrain immer wieder neu entfesseln, während der Deutsche sich über das Wetter beklagt, sodass Mechenbier schließlich der hämische Urschrei entfährt: "Mensch Rommel, wärst Du doch zuhaus' geblieben!" Das Schicksal der Truppe scheint in "Sonderling" vorgezeichnet, der sein Anderssein als Zwang des klugen Kopfes auslebt. Der Track trägt eine gehörige Portion Stolz in sich, denn die "eigene kleine Nische" offenbart sich als Platz an der Sonne. Dass der Beat dabei in den Strophen durchaus funky daherkommt, steht im starken Kontrast zu den Bridges, welche wieder die sirenenhaften Gitarren einfallen lassen. Musikalisch ist es vielleicht das ausgefeilteste Stück der Truppe, und auch ansonsten haben Mechenbier und Co. in Sachen instrumenteller Ausarbeitung seit "Jagd und Hund" noch mal einen erheblichen Sprung gemacht. Love A verlassen immer wieder die eigenen, vormals engen Grenzen und liefern einen abgefuckten Punk-Pop-Bastard, wie er aufregender nicht erscheinen könnte.

"Nichts ist neu" ist schon allein deswegen programmatisch, weil Zeitgeschichte scheinbar zyklisch zu verlaufen scheint, weil Idiotie offenbar nie ein Ende finden möchte. Freilich ist das Auflehnen und Aufstehen, das Anprangern und Angehen nicht die Innovation einer Punkband aus Trier, doch die Notwendigkeit desselben erscheint heute ungleich gegeben. Eben dieser Unerlässlichkeit haben Love A mit "Nichts ist neu" ein schallendes Ausrufezeichen verpasst, dessen Gefühl für den Zeitgeist nur vom Empfinden für den eigenen Nächsten übertroffen wird.

(Pascal Bremmer)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Nachbarn II
  • Die Anderen
  • Unkraut
  • Sonderling
  • Löwenzahn

Tracklist

  1. Nichts ist leicht
  2. Nachbarn II
  3. War klar
  4. Die Anderen
  5. Unkraut
  6. Treeps
  7. Sonderling
  8. Löwenzahn
  9. Kanten
  10. Monaco
  11. Weder noch
  12. Verlieren
Gesamtspielzeit: 41:22 min

Im Forum kommentieren

Kai

2022-06-30 14:20:09

^Gibt schon ein Topic dazu: hier

Argh

2022-06-30 14:17:09

Neue Platte kommt im August, hier die beiden ersten Vorabsingles:

https://www.youtube.com/watch?v=6EF6o38fn5o

https://www.youtube.com/watch?v=AKoB27xvLcw

BVBe

2019-11-13 11:04:20

Oder LÖWENZAHN!

Und ihr Sound gefällt mir. Nennt man das Post-Punk? Ich finde es jedenfalls gut, dass die E-Gitarre(n) nur angezerrt sind.

Die (weiter oben diskutierte) Diskrepanz zwischen Strophen und Refrain bei NACHBARN II finde ich öfter bei LOVE A wieder. Wahrscheinlich wären die Texte leichter zu goutieren, wenn sie eindeutiger (schwarz-weiß) und dass mein Hirn auch beim zehnten Hören noch mal angestoßen wird und sich an den Texten reiben kann - sei es wegen gewisser Widersprüchlichkeiten, dichterischer Unsauberheiten oder wegen unklarer Räume zwischen den Zeilen.

BVBe

2019-11-13 10:52:49

Ihr bisher bestes - das mir auf Grund der Rezension hier zu Recht empfohlen wurde. Allein NACHBARN II ist der Hammer!

MartinS

2019-11-12 17:19:56

Heute morgen wieder ausgegraben. Knallt bei dem tristen Wetter draußen voll rein. Großartiges Album!

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