Alexa Feser - Zwischen den Sekunden

Warner
VÖ: 21.04.2017
Unsere Bewertung: 3/10
3/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Eines Schlagers, Baby

Kein ernstzunehmender Künstler möchte das dumm-dusselige Schlageretikett aufgedrückt bekommen. Casper wollte es nicht, als er vor Jahren in einem semi-witzigen Online-Test des Jugendmagazins der Süddeutschen mit Roland Kaiser gemein gemacht wurde, und Alexa Feser will es in keinem der vielen Momente, in denen sie ihre Stimme ambitioniert zu allen Seiten presst. Selbst der Echo 2015 und seine kruden Kategorisierungen standen ihr Pate, um dem Generalverdacht des stumpf-deutschen Liedgutes zu entkommen. "Rock/Pop national" hieß es da. Nun gut, das Debüt der ehemaligen Backgroundsängerin, "Gold von Morgen", konnte weitaus besser kaschieren, was zwischen den und über die Sekunden hinweg kaum noch zu leugnen ist: Der Unterschied zwischen einer inbrünstigen Powerballade von Michelle und dem Werk von Alexa Feser ist verschwindend gering. Diese Musik ist ein Symptom dieser Zeit und die erste Single "Medizin" schonmal mitnichten die passende Arznei.

Unter dauerrotierenden "Ohh"s und "Ahh"s, die von Castingshow-Kandidaten wohl mit geschlossenen Augen und nervös zuckenden Armen interpretiert würden, hält das Album eine schiere Masse an Songs bereit, die sich gegenseitig in dem Glauben an die Kraft der Sentimentalität bestärken. Vielleicht rührt es ja den Premium-Intellektuellen Til Schweiger erneut zu Tränen, wenn eine blonde Frau von der Schwermut erzählt, die sie so umgibt. Die Emotionen springen direkt aus der Retorte. Jener unheilige thematische Dreiklang aus genormten Liebeskonzepten, Selbstverwirklichungsfantasien und rührseliger Empathie zieht unverkennbar und unverhältnismäßig bohrend seine Bahnen. Eventuell ist es eine mittelschwere Ungerechtigkeit, nüchtern und oberschlau aus dem gemütlichen Stuhl heraus über die von Herzen kommende Poesie herzuziehen. Aber bitte: Wie kann ein Mensch das ertragen?! Der Refrain in "Straßenkind" lautet schlicht: "Straßenkind bleibt Straßenkind / Auch wenn da keine Straßen sind." Der Chorus in Wunderfinder: "Bist Du ein Wunderkind oder vor Wundern blind?" Gleiches Schema. Gleiche Reaktion: Herrje!

Viele Streicher- und Klavierpassagen inmitten der pompösen Arrangements untermalen diese neue deutsche Biederkeit. Für die richtige Portion Coolness in "Wunderfinder" soll ein Vertreter aus der größten Jugendkultur sorgen. Wer heutzutage diese gefährlichen Rapper auf seine Major-Alben holt, der kann sich schließlich als aufgeschlossen bezeichnen. Und dann kommt ausgerechnet der frisch ausgebildete System-Coach Curse und liefert eine seiner typisch gähnigen Curse-Strophen. Alles gut, solange es harmlos ist. Es liegt vollkommen auf der Hand, dass der Teil der Bevölkerung, der sich beim Stadtfest Finsterwalde zu "Mensch unter Menschen" in den Armen liegt, auch aus voller Kehle die Erkenntnis "Du bist ein Mensch unter Menschen" samt diversen Vokallauten mitjolt. Doch etwas drückt die Krokodilstränen aus dem Knopfloch. Für ein dringend benötigtes Tänzchen ist die eigentliche Retterin des Abendlandes ins CD-Deck zu schieben. Eine atemlose Nacht steht kurz bevor. Ein amtliches High-Five für echte Gefühle. Nächste Woche DVD-Abend mit allen Schweiger-Classics.

(Michael Rubach)

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Highlights & Tracklist

Highlights

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Tracklist

  1. Intro - Zwischen den Sekunden
  2. Leben
  3. Medizin
  4. Straßenkind
  5. Wunderfinder (feat. Curse)
  6. Inventur
  7. Paradies im Kopf
  8. Herz aus zweiter Hand
  9. Linie 7
  10. Mensch unter Menschen
  11. Rückwärtstag
  12. Interlude - Zwischen den Sekunden
  13. Nach Norden
Gesamtspielzeit: 46:33 min

Im Forum kommentieren

Markus F.

2017-05-19 22:46:59

Nachdem ich das Album das erste Mal gehört habe, habe ich sofort Karten für die Tour bestellt. Habe gerade diese pseudointellektuelle Rezension gelesen und kann Alexa nur Recht geben: "Herz geht vor..." (Aus "Nach Norden")

Fanatic

2017-05-15 15:37:19

@Benzo

Menschen Leben tanzen Welt

trifft schon zu. Aber wenn wir ehrlich sind, liegt da mehr Herzblut drin als bei Adel Tawil Oder helene fischer.

Zuhörerin

2017-05-15 12:27:59

Selten so eine schlechte Bewertung zu einem grandiosen Album gelesen - diese Rezension wird dem Album wirklich nicht gerecht. Leider.

W.-Werner

2017-05-08 14:20:21

Schon das Album „Gold Von Morgen“ hat fasziniert. Noch mehr die live Konzerte der Sängerin. Unvergessen die im Hamburger Mojo Club und beim NDR Foyerkonzert.
Noch mehr das im Berliner C-Club Februar 15 wovon es auch eine live CD gibt.
Lange erwartet und einfach schön ist „Zwischen Den Sekunden“ Songs wie "Inventur", „Paradies Im Kopf“, "Rückwärtstag", mit anspruchsvoller Lyric, kaum in eine Schublade zu stecken. Schon darum hörenswert und besonders. Auch sie selbst nur am Piano verzaubert. Besonders wenn man es live erleben kann. Weiter Alexa.... genau so, auch wenn es nicht der Mainstream ist oder gerade deshalb. Ganz viel Erfolg wünscht der W.-Werner der sich auf
sich auf die live Konzerte freut. Sicher auch darüber schreibt

Bonzo

2017-04-19 21:09:02

Menschen Leben Tanzen Welt.

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