Tim Kasher - No resolution

Grand Hotel van Cleef / Indigo
VÖ: 03.03.2017
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Young man yells at love

Auf dem Papier liest es sich wahrlich filmreif: Ein Paar, anfangs noch verliebt und vor lauter Glück über den Wolken schwebend, verfängt sich in den elenden Frustrationen und Irritationen des Lebens, im Druck von außen, dem Druck von innen, bis am Ende von der Liebe nicht viel übrig bleibt und man vor lauter Unglück am liebsten im Boden versinken würde. Begleitet wird diese traurige Geschichte von gar lieblicher Musik – und das gleich auch noch vom Erzähler selbst. Tatsächlich ist Tim Kashers "No resolution" Film und Album zugleich. Die Strategie, die der 42-Jährige mit beiden Produkten verfolgt, ist jeweils dieselbe: Er geht auf die Barrikaden.

Nun also gegen das alte Leid mit der Liebe. Erfreulicherweise ist der Mann hier bis auf die Zähne bewaffnet. Zu Stimme und Stift für stellenweise geradezu messerscharfe Zeilen gesellt sich ein ganzer Haufen Streicher. Das vierte Soloalbum des Frontmannes von Cursive und The Good Life ist zugleich auch sein orchestralstes, üppigstes Werk – das ist natürlich passend für einen Quasi-Soundtrack, der neben den regulären neun Stücken auch sechs Instrumentals beinhaltet, die den Film musikalisch unterstützen sollen. Am besten ist Kasher aber immer dann, wenn er sich mit allen Mitteln ausdrücken kann: "Break me open" etwa ist eine niederschmetternde, herzzerreißende Selbstanalyse, die vorm eigenen Scheitern keinen Halt macht und die das Boot vorm Kentern zu beschützen versucht, obwohl es längst am Sinken ist.

Mit Liebeskummer sollte man sich diesem Album wahrlich nur mit Vorsicht nähern: Die Verzweiflung, in die ein düsteres, fast schon post-rockiges Ungeheuer wie "Hollow" den Hörer in nur wenigen Minuten stürzen kann, tut beinahe körperlich weh. Eine helfende Hand reicht Kasher nicht, im Gegenteil: Er lässt "No resolution" in einem ewigen Schwebezustand zwischen Hell und Dunkel oder Laut und Leise. So ähnlich, wie es sich auch in einer Beziehung anfühlt, die zum Scheitern verurteilt ist und von der man sich noch nicht verabschiedet hat, steht auch "Holding out" immer an der Schwelle zur Hoffnung, ohne sie wirklich überschreiten zu können. Das stärkste Werkzeug ist die brutale Ehrlichkeit: "Who am I to make you feel so compromised / I'm here to let you know that I'm not / Holding out / So stop holding out / We're gonna go / Go on and go."

Fast schon zynisch wirkt da der Kontrast zum verspielt-romantischen "An answer for everything", das vom harmonischen Anfang der Beziehung berichtet – als morgens noch die kulleräugigen Waldtiere ins Schlafzimmer stürmten, um beim Anziehen zu helfen und überhaupt alles viel toller und bunter und schöner war. Das Erwachen kommt, und das heftig: "Post script" haut in verschiedenen Geschwindigkeiten links und rechts auf die gerade noch verknallte Fresse, die bittere Abrechnung "No secret" legt ungebremst nach und landet einen Treffer in der Magengrube, das abschließende "Not over you" hingegen spricht aus, was irgendwie immer am meisten weh tut: "I am not over you / Being over me." Am Ende spielen sich Kasher und sein Orchester in schwindelerregende Höhen, bis nur eines übrig bleibt: pure Leere. Und selten war man jemandem so dankbar dafür.

(Jennifer Depner)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Break me open
  • Holding out
  • Not over you

Tracklist

  1. Not over you prelude
  2. Runts
  3. Break me open
  4. No secret
  5. An answer for everything prelude: Jean kills the party
  6. Holding out
  7. Runts reprise: Wandering eyes
  8. Hollow
  9. No secret reprise: Meet Shawna and Tracy
  10. Messes
  11. An answer for everything
  12. Holding out reprise: Heading out
  13. Post script
  14. Hollow: Kyle's smoke
  15. Not over you
Gesamtspielzeit: 45:41 min

Im Forum kommentieren

Hasan

2017-03-02 10:25:25

Sehr schöner Bericht.

Jennifer

2017-03-01 22:33:59

Schon, ja. Das hatte ich in einer ersten Version der Rezension auch vermerkt, der Beginn des zweiten Absatzes blieb davon übrig. Der lautete ursprünglich "Nun also wieder das alte Leid mit der Liebe."

Gelassen hab ich es dann doch, weil "No resolution" rein vom melodischen Teil her viel üppiger ist als The Good Life und das Thema Liebe bzw. Liebeskummer an sich ja nicht unbedingt neu , weder im Kasher-Universum noch generell. Ich wollte mich also eher darauf konzentrieren, dass das Album auch ohne den Film für sich selbst stehen kann und wie die emotionale Wirkung davon ist, unabhängig vom bisherigen oder andernweitigen Schaffen von Tim Kasher.

SimonP

2017-03-01 22:22:22

Hmm hört sich vom Thema sehr nach "Album of the Year" von Good Life an...

Armin

2017-03-01 20:50:47- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

Meinungen?

Armin

2017-01-12 19:18:24

Wer sich auch nur im Ansatz für amerikanischen Indie-Rock interessiert, kennt Tim Kasher natürlich, liebt ihn höchstwahrscheinlich sogar. Er ist Frontmann von den legendären Cursive, deren Spin-Off Band The Good Life und Urgestein im Saddle Creek Kosmos. Darüberhinaus wird ihm auch nachgesagt, Conor Oberst in die hohe Kunst des Songwriting eingeweiht zu haben. Im März erscheint nun Kashers neues Solo-Album "No Resolution" mit dem er auch in Deutschland endlich wieder auf Tour kommt. Zur ersten Single "An Answer For Everything" gibt es bereits ein Musikvideo.

Das Album erscheint erstmals auf dem Hamburger Independent Label Grand Hotel van Cleef, das den US-Songwriter in ihrer Pressemitteillung einen ihrer "absoluten musikalischen Helden" nennt. "No Resolution" ist Tim Kashers insgesamt viertes Solo-Album, und gleichzeitig auch der Soundtrack zu einem Spielfilm gleichen Namens, bei dem er Regie führte. Doch dazu später mehr.

Die erste Single aus dem Album heißt "An Answer For Everything" und ist eine klassische Kasher-Storytelling-Ballade mit tollen Melodien, wie immer perfekt arrangierten Streichersätzen und Kashers unverwechselbarem Gesang. Im Musikvideo zu "An Answer For Everything" sind auch Szenen aus dem kommenden Spielfilm zu sehen.

Tim Kasher - "An Answer For Everything" (Musikvideo)




Vom 09. - 21.03. ist Tim Kasher mit "No Resolution" auf Tour in Deutschland, mit einer Abschluß-Show in der Schweiz. Die Shows bestreitet Tim mit Unterstützung eines Cellos. Neben den neuen Songs werden sicherlich auch Lieder der großen Diskographie seiner anderen Bands zu hören sein.


Tim Kasher - Live 2017
Tickets: http://bit.ly/TimKasher_Tour2017

09.03. Hamburg, Kleiner Donner
10.03. Bremen, Karton
11.03. Osnabrück, Glanz & Gloria
12.03. Berlin, Monarch
13.03. Göttingen, Dots
14.03. Köln, Weltempfänger
15.03. Wiesbaden, Walhalla
16.03. Saarbrücken, Mauerpfeiffer
17.03. Schweinfurt, Ostentorkino
18.03. München, Cord
19.03. Regensburg, Alte Mälzerei
20.03. Freiburg, Samp
21.03. CH - Winterthur, Kraftfeld

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