Xiu Xiu - Forget

Altin Village & Mine / Indigo
VÖ: 24.02.2017
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Gerade noch diesseits

Salopp gesagt hat Jamie Stewart einen Hau. Seit fünfzehnJahren veröffentlicht er mit wechselnder Begleitbesetzung unter dem Namen Xiu Xiu Alben, die sich kunstvoll jeglicher Einordnung entziehen. Seine Lyrik ist dabei wie seine Musik: zügellos, exzentrisch, teils ziemlich irre. Und doch versprüht sein Werk einen Charme, der Huldigung einfordert. Es gibt zahllose Bands, die von Xiu Xiu beeinflusst wurden – doch niemand klingt wie das Original. Auch nicht im Jahr 2017. Nachdem die Band im Vorjahr dem Twin-Peaks-Soundtrack Tribut zollte, kehrt sie nun zu ihrem Kerngeschäft zurück. Zehn neue Songs enthält "Forget". Zehn Tracks, die Stewarts Status als Unikat alternativer Musik untermauern.

Wie es sich für einen latent Wahnsinnigen geziemt, fällt der Künstler direkt mit der Tür ins Haus. "The call" eröffnet das Album mit hektischem Sprechgesang und quietschenden Geräuschen, bevor er die Ausfahrt in Richtung Synthiepop nimmt. "Clap, bitches!", faucht der Sänger. Eine Aufforderung, der Folge geleistet werden muss. "Wondering" schlägt in eine ähnliche Kerbe: Der Midtempo-Song verbindet im Refrain grummelnde Analog-Synthies mit jauchzenden Chören, sodass er beinahe hoffnungsvoll daherkommt. Wohlgemerkt: beinahe. Die mögliche Erlösung kommt, aber erst eines Tages. Vielleicht. In der Welt des Jamie Stewart ist nur die Unsicherheit gewiss.

Doch der US-Amerikaner kann es auch subtil: "Get up" lässt sich viel Zeit. Zu unaufdringlichen Feedback-Schwaden meditiert Stewart über die Wechselwirkung von Liebe und Unglück. "You're the only reason I was born", lautet sein Fazit – und ein grandioses Finale sorgt für ergriffenes Schweigen. Der Grat zwischen großer Geste und übertriebenem Pathos ist schmal. Auf diesem wandelt auch das zerrissene "Hay choco bananas". Es knarzt und ächzt gewaltig im Gebälk, doch gelingt es dem Musiker, gerade noch diesseits der Psychose aus dem Chaos zu stolpern.

Die Lage ändert sich dramatisch in der zweiten Hälfte des Albums: Immer zerklüfteter werden die Arrangements, immer instabiler die Songstrukturen. "At last, at last" wartet beispielsweise mit genug Dissonanzen für eine neue Persönlichkeitsstörung auf. Dass auf die Eskalation der Crash folgt, ist nur folgerichtig. Er lautet "Petite", ist eine zappendustere Ballade mit Akustikgitarren und Streichern und zieht einem den Boden unter den Füßen weg. "Forget" ist ein Album über das Fallen. Konzeptionell folgt es einem klaren Spannungsbogen, der im Abgrund endet. In der Welt des Jamie Stewart besteht dieser aus Glockengeläut und einem Monolog über das Ich: "It doesn't matter what you think / You can do anything you like / 'Cause I was born dead / And I was born to die", lauten die letzten Worte. Clap, bitches.

(Christopher Sennfelder)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • The call
  • Wondering
  • At last, at last
  • Faith, torn apart

Tracklist

  1. The call
  2. Queen of the losers
  3. Wondering
  4. Get up
  5. Hay choco bananas
  6. Jenny GoGo
  7. At last, at last
  8. Forget
  9. Petite
  10. Faith, torn apart
Gesamtspielzeit: 43:53 min

Im Forum kommentieren

AVMsterdam

2017-06-23 14:50:11

Kaputter Noise Pop steht ihnen sehr gut, dabei sollten sie bleiben.

Ede

2017-02-23 14:54:15

Fantastische Band,im April auch auf Tour.

Armin

2017-02-22 21:20:13- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

Meinungen?

GV

2017-01-16 01:37:19

Großartige Band. Bin extrem auf's neue Album gespannt.

Hier gibt's schon mal das erste Video:
https://www.youtube.com/watch?v=WMT6MsA3ut8

Klingt recht vielversprechend.

Armin

2017-01-15 16:29:53

Xiu Xiu — »Forget«
Format: LP/CD/Digital
Releasedate: 24. Februar 2017
Cat.-Nr.: AVM 061

»Forget«, aufgenommen in einer Phase unglaublicher Produktivität: Xiu Xiu — noch im Prozess des neuen Albums — veröffentlichten nebenbei das hoch gelobte »Xiu Xiu Plays the Music of Twin Peaks«, arbeiteten mit Mitski an einem Song für den nächsten John Cameron Mitchell Film, komponierten Musik für Kunstinstallationen von Danh Vo, nahmen ein Album mit Merzbow auf und erarbeiteten eine experimentelle Version von Mozarts Zauberflöte.

Das Album wurde von John Congleton (Blondie, Sigur Ros), Greg Saunier von Deerhoof und Xiu Xiu-Mitglied Angela Seo produziert. Es zeichnet sich besonders durch Gastauftritte des minimalistischen Komponisten Charlemagne Palestine, dem Kommentator der L.A. Banjee Ball-Showreihe Enyce Smith, Swans Gitarrenvirtuose Kristof Hahn und legendäre Drag-Queen und persönliche Heldin von Xiu Xiu, Vaginal Davis, aus.

»Wondering«, als hervorstechendster Track des Albums, ist wohl eine der eingängigsten Boogiepop-Juwelen im Xiu Xiu Katalog. Aber auch dieser Titel verbirgt, wie viele andere bei »Forget«, eine darunterliegende Spannung, die sich in jedem Stück anders manifestiert: Beim mysteriösen Gitarrenduett »Petite«, dem heiter doch nervenaufreibenden Text von »Get Up«, den fortschrittlich industriellen Klängen von »Jenny GoGo« und der experimentellen Gothexplosion »Faith, Torn Apart«. Auf ihre eigene Art und Weise werden sie gemeinsam zu einem Geschwür des entschwindenden Schicksals.

Wörtlich bedeutet die Kalligraphie auf dem Cover »Wir vergessen«. Es verweist zugleich auf die Universalität von allem und die zwangsläufige Vergänglichkeit jedes Menschen. In Bezug auf den Albumtitel sagte Xiu Xiu Sänger Jamie Stuart: »Forget beinhaltet die unkontrollierbare Dualität menschlicher Zerbrechlichkeit. Es ist eine Wiedergeburt, eine partielle Erneuerung aber es verstümmelt und ertränkt den Versuch, uns an dem festzuhalten was uns lieb ist.« »Forget« ist einerseits das erlösende Verschwinden der Vergangenheit des Traumatisierten und andererseits der pulsierende Schmerz der Verwesung des Schönen.

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