Schrottgrenze - Glitzer auf Beton
Tapete / IndigoVÖ: 20.01.2017
Villa Kunterbunt
Ganz schön grell und pink schaut das aus, was einem da an einem trüben Januarmorgen des noch frischen Jahres 2017 aus dem Promo-Schuber entgegenflattert. Zeit, sich freizumachen von einem Jahr 2016, das gesellschaftlich viel mehr Schatten als Licht mitbrachte, diffuse Ängste säte und befeuerte, statt Mut und Gemeinschaftssinn zu stiften. Ein Jahr, in dem mitten in Europa auch Homosexuelle und Transsexuelle wieder zur Zielscheibe des Hasses wurden, weil sie für die offene Gesellschaft eintreten. "Wir fallen runter / Wie Glitzer auf Beton / Und malen die Stadt so bunt / Wie wir eben sind", entgegnen Schrottgrenze im eröffenden Titelsong ihrer neuen Platte "Glitzer auf Beton" und machen klar: Für rückständigen Geist sollte im 21. Jahrhundert kein Platz mehr sein.
Als ersten unerwarteten Streich erlebt das neue Musikjahr also die Wiederauferstehung der seit 2010 stillgelegten Power-Pop-Band Schrottgrenze – Gitarren und Kajalstift inklusive, und mit Hauke Röh, Ex-Frau-Potz-Mann, am Bass. "Glitzer auf Beton" proklamiert die freie Liebe: Es geht um oktroyierte Rollenbilder und Geschlechtergrenzen. Und um die Freiheit, sie hinter sich zu lassen. "Weil Geschlechter konstruiert sind / Wir sie nicht leben müssen / Weil Leute irritiert sind, wenn sich Männer küssen." Sänger Alex Tsitsigias, der sich auch erst mit Ende 20 outen konnte, möchte den Hörern Mut machen, sich selbst wiederzufinden und dazu zu stehen: "Lieb' doch einfach, wen du willst", macht die Vorabsingle "Sterne" unmissverständlich klar. Ein großes Anliegen von Tsitsigias, ist der Frontmann inzwischen selbst regelmäßig als Saskia Lavaux in der Hansestadt unterwegs.
Doch auch in sozial kalten Zeiten greift das Schrottgrenze-Comeback nicht explizit zur Moral-Keule oder schwingt die verbale Abrissbirne, wie das in der punkigen Frühzeit der Truppe wohl der Fall gewesen wäre. Das Album weckt den Hörer in subtiler, bejahender Manier. Gießt nicht explizit Öl ins lodernde Feuer, sondern betont die Werte der freien Gesellschaft, die offensiver gepflegt werden müssen. Dabei erreicht die Platte das Niveau des Flagschiffs "Château Schrottgrenze" nicht über die gesamte Spielzeit, macht das uninspirierte "Schrottism" aber vor allem durch ein durchweg positives Aus-dem-Bauch-Gefühl vergessen: "Glitzer auf Beton" ist eine kurzweilige Schnitzeljagd durch Schrottgrenzes neue Villa Kunterbunt.
Denn nicht nur bei "Ostern", zum Besuch in der ländlichen Provinz, die einst Heimat war, haben die Hamburger gewohnt zuckersüße Power-Pop-Perlen mit feinen Melodien im Gepäck, bei denen die Snare auch mal wieder ordentlich scheppern darf – wie etwa beim auf "Denglisch" vorgetragenen Stampfer "Lashes to lashes" und dem Pop-Punk-Ohrwurm " Zeitmaschinen", der schon 2015 auf der Werkschau "Fotolabor" zu finden war. Enttäuschte Liebe gibt's unabhängig von Geschlecht oder Identität, und so schwingt "Januar Boy*" und "Spuren von Dir" auch Melancholie mit. Doch ein altbewährtes Hausrezept haben Schrottgrenze natürlich auch für solche Nächte parat: "Schlaf die Schmerzen einfach weg." Muss ja.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Glitzer auf Beton
- Sterne
- Lashes to lashes
- Zeitmaschinen
Tracklist
- Glitzer auf Beton
- Sterne
- Januar boy*
- Lashes to lashes
- Ostern
- Halbfrei
- Schlaf die Schmerzen weg
- Dulsberg
- Seit gestern
- Zeitmaschinen
- Spuren von Dir
- Christiane
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Armin
2017-01-20 19:40:59
Heute erscheint das neue SCHROTTGRENZE-Album »Glitzer auf Beton« // neues Video online
So freut sich eine Band, die richtig Bock hat:
"GLITZER AUF BETON ist da!
Tränen, Sekt und Freudenschrei! Wir hätten nicht gedacht, dass wir das nochmal schreiben, aber: unser siebtes Studioalbum ist ab heute als LP/CD/DL erhältlich! Sportliche 3655 Tage nach unserer letzten Album-VÖ. Wahnsinn. Besonderer Dank gilt unserem Produzenten Kristian Kühl, unserem Label Tapete Records, Sebastian Tim und allen, die uns auf unserem Weg begleitet haben und nicht müde wurden, uns immer wieder anzustacheln. Hat geklappt!"
Nach langer Auszeit waren Schrottgrenze 2015 mit zwei Compilations und drei ausverkauften Konzerten wieder zurückgekehrt – da gab's immerhin schon einen neuen Song zu hören, "Zeitmaschinen", wieder mal so eine unverschämt eingängige Indiepophymne wie man sie schon von den Hits wie "Am gleichen Meer" oder "Lila will heim" kannte.
Den Sommer 2016 hat die Band dann bei Kristian Kühl von Findus im Studio verbracht, dort wurde Hit um Hit geschrieben, getextet über die bunten Seiten Hamburgs, über die Queer Community, in der sich Sänger Alex Tsitsigias mittlerweile zuhause fühlte, über Geschlechterrollen und Toleranz. Entstanden sind 12 Songs zwischen mitreißendem Indierock und umwerfendem Pop.
Wie das klingt, davon konnte man sich schon in der ersten Single "Sterne" überzeugen. Seit heute steht nun das Album im Handel, als CD, LP, ltd LP und digital. Und es gibt ein neues Video, das gerne verbreitet werden darf – hier ist die neue Single, der Titeltrack "Glitzer auf Beton":
"Wir fallen runter / Wie Glitzer auf Beton /
Und malen die Stadt so bunt / Wie wir eben sind."
Tourdaten:
präsentiert von Ox-Fanzine, livegigs.de und ByteFM
23.02.17 Hannover – Faust
24.02.17 Essen – Zeche Carl
25.02.17 Münster – Gleis 22
02.03.17 Leipzig – Naumanns
03.03.17 Mainz – Schon Schön
04.03.17 Bielefeld – Nr. z. P.
09.03.17 Köln – Underground
10.03.17 Hamburg – Molotow
11.03.17 Berlin – Musik & Frieden
16.03.17 Nürnberg – MUZclub
17.03.17 Karlsruhe – KOHI
18.03.17 München – Milla
Tickets: http://bit.ly/2fdIX9C
Prof Dr. Dr. Dr. habil. ing. med. Dipl.
2017-01-12 20:19:30
Nicht "Geschlechter sind konstruiert", sondern GeschlechterROLLEN und die damit verbundenen Klischeevorstellungen. Völlig korrekt, DIESE in Frage zu stellen und bei Bedarf zu "dekonstruieren". Es ist ebenfalls völlig korrekt, das einfach sein zu lassen. Es ist himmelschreiender Blödsinn, die faktische Existenz der Eigenschaften "männlich" & "weiblich" in Frage stellen zu wollen und derlei Schwachsinn auch noch den Anschein vermeintl. "Wissenschaftlichkeit" zu verleihen.
Matthias
2017-01-12 17:14:24
Bin nach der Rezention sehr gespannt. Zeitmaschinen fand ich Super und der neue Song Sterne finde ich als Song eigentlich sehr schön, auch wenn die Thematik mich eigentlich nicht interessiert und das textliche in den hintergrund rückt. Generell hab ich mit Gender Themen und grundsätzlichen Problemen von Homosexuellen Menschen wenig berührungspunkte. Ich hoffe das Album ist thematisch nicht zu eindimensional und funktioniert auch bei Heten.
Großer Schock
2017-01-12 16:52:50
Dann waren die Texte auf ihrem (bis heute unerreichten) Debutalbum "Auf die Bärte, fertig, los!!!" alle etwa nur falscher Schein?
Was mich das nervt
2017-01-12 16:36:53
Heinz-Gunther vom Stammtisch hat mir übrigens Recht und die neue Amigos- sowie eine Helene Fischer-CD gegeben.
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