
Sohn - Rennen
4AD / Beggars / IndigoVÖ: 13.01.2017
Skelett me entertain you
Ein bisschen wie gefährlich dünne Laufstegmodels sind sie, die Songgerippe des britischen Tüftlers Christopher Taylor – besser bekannt als Sohn. Auf gewisse Weise elegant und unnahbar, aber irgendetwas Merkwürdiges und Zerbrechliches schwingt mit. Eine trügerische Hülle der Schönheit, welche die Abgründe dahinter überdeckt. Schon das Debüt "Tremors" hatte kaum Fett am Leib, dafür eine Menge clevere Ideen und sich festsetzende Hits. Sohns zweites Album "Rennen" – sprachlich von der Wahlheimat Wien beeinflusst – tut sich allerdings um einiges schwerer, die oberflächliche Fassade der Perfektion aufrecht zu erhalten. Viel schneller kippt die Stimmung auf der Platte, viel näher ist der nächste Zusammenbruch als auf dem abgeklärteren Vorgänger.
In diesem Sinne gibt der Opener "Hard liquor" direkt den Ton an. Eine permanente Vorahnung durchzieht den Song, sei es, dass er im Refrain in eine texturreiche Synthiefläche umkippt oder dass für ein paar Takte die instrumentale Begleitung fast vollständig wegbricht. "Just gave her that hard liquor / Then she took me home" – auch textlich balanciert der Song zwischen Sexyness und Düsternis. Das folgende "Conrad" stellt schon fast wieder die Gegenthese dar und ist der eingängige Moment, der noch am besten auf "Tremors" gepasst hätte. Die permanent wiederholten Zeilen "I can feel it coming / We can never go back" sorgen jedenfalls für eine äußerst eindringliche Hook. "Signal" lässt die Lichter mit seltsam verfremdeter Stimme und Soundreduktion schon wieder bedrohlich flackern, "Dead wrong" wird gar ein wenig konfus in seiner Laufzeit.
Gerade weil "Rennen" es sich nie zu gemütlich macht, bleibt die Spannungskurve auf konstant hohem Niveau. Der Titeltrack scheint ständig über seinen eigenen Rhythmus zu stolpern, braucht aber lange Zeit nicht mehr als Klavier und – dem Songnamen entsprechend – sich selbst hinterherjagende Vocals, um über die Runden zu kommen. Der hübsche Falsettgesang und die später hereinschneienden Keyboards tragen das Stück zu einem großartigen Ende. Doch die vermeintliche Ruhe währt nicht lange: "Falling" erhält mit dem zischenden Schlagzeug, was den spärlich ploppenden Beat verhaut, eine ungewöhnlich aggressive Note. Auch hier versteht Taylor es, den Song auf organische Weise zu steigern, so dass man irgendwann unweigerlich drin ist im Sog aus flatternden Effekten, sirenenartigem Geheul und klagendem Gesang.
Erst wenn sich "Harbour" nach weißem Rauschen, Stille und einem letzten Aufbäumen beruhigt hat, darf aufgeatmet werden. Sohns Zweitling geizt zwar nicht mit zugänglichen Momenten und dürfte deshalb diejenigen zufrieden stellen, welche "Tremors" für seine Direktheit und Kompaktheit schätzen. Doch ganz so einfach macht es der Wiener sich und den Hörern auf "Rennen" nicht. Mit einer stärkeren Noise-Schlagseite sowie gesteigerter Komplexität und Intensität erreicht er einen Tiefgang, den manch ein Kritiker ihm vielleicht vorher niemals zugesprochen hätte. Die erste Runde war noch der perfekte Catwalk-Stolziergang, jetzt knickt die makellose, schlanke Schönheit gern einmal in Richtung harter Boden der Tatsachen um. Aber mal ehrlich: Sowas finden alle doch insgeheim viel unterhaltsamer.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Hard liquor
- Rennen
- Falling
Tracklist
- Hard liquor
- Conrad
- Signal
- Dead wrong
- Primary
- Rennen
- Falling
- Proof
- Still waters
- Harbour
Im Forum kommentieren
myx
2017-02-05 08:33:16
Mir gefällt das neue Album sehr gut! Sogar die beiden Vorab-Songs ("Conrad", "Rennen"), die ich eigentlich nur ganz ok fand, sind jetzt plötzlich ganz toll ... Und "Signal" gefiel mir ja sowieso. - Oder habe ich heute einfach nur mega gute Laune? ;-)
Autotomate
2017-01-17 11:34:37
Bin nach den ersten Durchgängen doch etwas enttäuscht. Schon ein ganz nettes Album, aber an das geniale "Tremors" kommt es in kaum einem Moment heran.
Hoschi
2017-01-17 00:05:40
Korrekt Felix.
Allerdings war das nur einer der Punkte welche ich kritisiert habe.
Prinzipiell macht Wilson nichts anderes verpackt es aber besser. Für mich ist es eher
die Anzahl die das Ergebnis ausmacht.
Felix H
2017-01-17 00:05:03
Aber war wohl kein Gegenbeispiel in dem Sinn.
Das war auch nicht ganz ernst gemeint. Die Band stach mir nur 2 Absätze später ins Auge. :-)
Für mich war eher "Tremors" so die Perfektion, die mich unterhalten, aber wenig berührt hat. "Rennen" geht da tiefer.
Denni
2017-01-17 00:00:37
Haha :D
Aber war wohl kein Gegenbeispiel in dem Sinn. Bei mir ist es mit Steven Wilson aber so: Technisch perfekte Musik, die mich nur langweilt. Glaube, mit Sohn geht es anderen genauso. Ich finde aber hier besonders den Titeltrack wahnsinnig intensiv.
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