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Massive Attack - 100th window
Circa / Virgin / EMIVÖ: 10.02.2003
Das Fenster zur Seele
Wieviel Gänsehaut paßt auf einen Silberling? Am besten mal in Bristol nachfragen. Dort sind Massive Attack nicht erst seit dem famosen "Mezzanine" die anerkannten Experten für hingeflüsterte Atmosphäre, in Zeitlupe gegossene Rhythmen und Bässe, die einen die Bauchdecke circa zwei Meter weiter hinten vermuten lassen. Und während man anderswo noch dem vermeintlichen Erfolgsrezept von 3D und Daddy Gee hinterher fahndete, faszinierten die Schöpfer von Klassikern wie "Unfinished sympathy", "Protection" oder "Teardrop" bereits mit dem übernächsten Schritt. In der britischen Hafenstadt ticken die Uhren eben anders.
Daß es aber nach der '98er Großtat ganze fünf Jahre dauern sollte, bis die fiebrig wartende Anhängerschar neues Futter für die Baßmembranen bekommen sollte, ließ die Spekulationen ins ansonsten eher als Räucherware dienende Kraut schießen. Welchen Weg würde der Zweier nach dem Ausstieg von Mushroom einschlagen, dem der Flirt mit Rock auf dem Vorgänger zu weit ging? An welchen vormals unvereinbar geglaubten Extremen könnte noch geschabt werden? Wie weit draußen, wie weit vorne würde das vierte Album landen?
Mit "100th window" gibt es nun endlich Antworten. Und wie noch jedes Mal verwirren sie anfangs eher, als daß sie befriedigen. Die reflektierten Gitarrenreste, die zickigen Beat-Schmatzer, das kaum vernehmbare Funkeln der Elektronik - schon der Opener "Future proof" dreht so manche Schlaufe in die Erwartungshaltung. Aber spätestens das dritte Ohr verrät: Auch diese Tracks haben es in sich. Dieses "es" steht diesmal vor allem eine völlig abgedunkelte Elektronik. Noch mehr als sonst leuchtet aus bedrohlichen Schleichern wie "Name taken" maximal Schwarzlicht. Nur unwirkliche Motten flattern um solcherlei Glühbirnen, doch Schaltkreisbiologe 3D läßt uns jeden Flügelschlag hören.
Passend dazu gibt Sinéad O'Connor gleich drei Mal die Elfe. Die finstere Single "Special cases" wirkt nur anfangs ein wenig steril, bis sich die stoischen Bässe und singenden Sägen endlich umarmen können. Im klagenden "What the soul sings" schwebt die Irin über zerfrästem Feedback, auf dem perlende Harfenklänge glitzern. "A prayer for England" entpuppt sich schließlich als anklagendes Brodeln. "Let not another child be slain", fleht O'Connors bebende Stimme. Das sind Tränen, die nicht nur virtuell fallen. Auch Stammgast Horace Andy sorgt wieder für aufgerichtete Nackenhaare. In "Everywhen" mollt die digitale Gerätschaft ein sanftmütiges Netz zusammen, und Andys vibrierende Kopfstimme implantiert Seele in die statisch aufgeladene Luft.
Der Glanz unter den manchmal so glatt und unterkühlt wirkenden Oberflächen erschließt sich jedoch auf "100th window" nur zögerlich. Die einstige zerbrechliche Eleganz scheint einer stoischen, gefühllosen Kälte gewichen. Zweifel machen sich breit. Und doch gibt das vierte Album der Briten eine unvermutete Antwort: "Dieses Album handelt davon, daß Menschen ihre Gefühle verbergen und abschotten, und davon, daß es trotzdem immer einen Weg gibt, an sie heran zu kommen. Man muß nur wissen, wie man das Schloß aufbekommt." Plötzlich gibt alles einen Sinn. Massive Attack halten den Schlüssel fest in der Hand. Noch immer.
Highlights & Tracklist
Highlights
- What your soul sings
- Everywhen
- Special cases
- Name taken
Tracklist
- Future proof
- What your soul sings
- Everywhen
- Special cases
- Butterfly caught
- A prayer for England
- Small time shot away
- Name taken
- Antistar
Im Forum kommentieren
velvet cacoon
2019-11-10 17:36:12
sehe sogar the 100th Window als deren bestes Album.
blue lines 8
protection 8
mezzanine 9
100th window 9
heligoland 7
The MACHINA of God
2019-11-10 17:16:45
Okay, "Girl i love you" ist mein Highlight von der "Heligoland". Ansonsten kann ich deinem KOmmentar größtenteils zustimmen. Die Ausbrüche fehlen mir hier auch etwas.
Old Nobody
2019-11-10 10:57:58
Fand das damals sehr schade, dass die den Weg von Mezzanine mit den Gitarren-Ausbrüchen wieder verlassen haben. Fand auch merkwürdig, dass die Songs mehr oder weniger auf einem Level blieben, sich kaum entwickelten, aufbauten. Ich mochte dennoch von Beginn an die spezielle Gesamtstimmung.
Diese ist mir auch heute noch wichtiger als alles andere. Dieses düstere mag ich schon sehr.
Deswegen find ich die Heligoland auch nicht ganz so prall. Die Sprünge sind da schon sehr krass und die Songs find ich auch nicht alle gut. Flat of the blade etwa ist nach wie vor eher schwierig weil zu verspielt. Girl i love you gefällt mir auch nur mäßig.Das plätschert irgendwie dahin. Hätte mir dagegen mehr im Stil von Psyche oder Rush Minute gewünscht
Ich glaub Heligoland ist für mich deren schwächstes Album. Blue Line, Protection und Mezzanine sind allesamt mindestens ne 9 /10. 100th Window ne 8/10 und Heligoland seh ich bei ner 7/10.
The MACHINA of God
2019-11-10 00:17:35
Schon interesant, wie unterschiedlich dieses Album und sein Nachfolger sind. Das hier ist eher ein dunkler Monolith. Recht gleichförmig, aber dadurch extrem wie ein Ganzes wirkend. Auch schwer, Highlights rauszupicken.
"Heligoland" ist dann irgendwie jeden Song anders, dazu gefüht 14 Gastsänger(innen). Dort ist es einfacher dadurch, Highlights zu finden.
In der Gesamtwertung würde vielleicht die "Window" bei mir knapp vorn liegen. Aber bei der heftigen Unterschiedlichkeit eben auch schwer vergleichbar.
Und cih mag Sinnead O'Connors Stimme. Auch wenn kein Song mit den besten von "Mezzanine" mithalten kann.
hideout
2019-08-06 00:15:27
Beim Geschmack liegen wird öfters, aber nicht immer auf der gleichen Welle. Ich finde "Everywhen" am besten, knapp vor "What your soul sings". Nach "Small time shot away" war die Luft raus. -.-
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