Moby & The Void Pacific Choir - These systems are failing

Embassy Of Music / Warner
VÖ: 14.10.2016
Unsere Bewertung: 4/10
4/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Das Wurst-Case-Szenario

Veganer, Großstädter, Intellektueller: Moby gibt ein klares Feindbild ab, und das nicht nur für Bürger, die eine Protestkultur aus dem großen Kotz-Emoji von Facebook heraus entwickelt haben. Der 51-Jährige Richard Melville Hall kann in Los Angeles seinen Überzeugungen nachgehen, ohne in seinem Alltag auf Widerstände zu stoßen oder Kompromisse eingehen zu müssen. Mit der Lebenswirklichkeit des kleinen Mannes, der vom Arbeitsmarkt getrieben wird und seine innere Mitte an der Tanke bei einer Wurst mit Senf findet, hat das freilich nichts zu tun. Welcher Ottonormalverbraucher möchte sich also von arrivierten – so ätzend der Ausdruck auch ist – "Gutmenschen" wie Moby anhören, dass ausgerechnet seine Bockwurst ein Symbol jener spätkapitalistischen Exzesse darstellt, unter denen er klar leidet? Doch Moby wäre nicht Moby, wenn er seine eigenen Unzulänglichkeiten nicht längst identifiziert hätte. So kommt es, dass er mit "These systems are failing" ein Protestalbum für seine eigene Filterblase aufgenommen hat.

Betrachtet man die Songs für sich, wissen sie zu unterhalten: "Don't leave me" verleiht systematischer Tierquälerei mit gewaltigen Achtziger-Synthesizern im Refrain Ausdruck und erinnert an unzählige Radiohits wie "Send me an angel" von Real Life oder "All you zombies" von The Hooters. "Break.Doubt" nervt zwar mit grobschlächtigen Zeilen wie "We're selling off Heaven for a perfect hell", überzeugt dafür mit einem unbestreitbaren Pop-Appeal. Der Weltschmerzstampfer "Are you lost in the world like me?" will Atari Teenage Riot sein, ist jedoch DJ Bobo sehr viel näher, als Moby lieb sein dürfte. Fast möchte man ihm Humor unterstellen, würde diese Ironie nicht sein Anliegen untergraben.

Trotz DJ-Bobo-Gedächtnis-Chor täuscht der Projektname "Moby & The Void Pacific Choir", denn er ist fiktiv und hätte angesichts des Entstehungsprozesses ruhig unter dem Künstlernamen Moby veröffentlicht werden können. Dafür dient der Name als Chiffre für eine informierte Hörerschaft, die das Werk von D. H. Lawrence im Detail kennt. Daran wäre nichts verwerflich, könnte das Album für sich stehen und wenigstens mittels der Songs die Uninformierten erreichen. Doch mit deplatziertem Elitarismus bei teils erschreckend platten Texten und dem wüst gemeinten New-Wave-Dancepunk-Mischmasch fällt das Album als Protestwerk viel zu zaghaft, verkrampft und unglaubwürdig aus. Zudem erreicht "These systems are failing" nicht die Fallhöhe des inhaltlich artverwandten, doch ungleich paradigmatischeren Albums "Animal rights" aus dem Jahre 1996. So bleibt nur noch das Erscheinungsdatum kurz vor den US-Präsidentschaftswahlen als letztes stimmiges Statement – und das ist zu dünn.

(Sohiel Partoshoar)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Break.Doubt

Tracklist

  1. Hey! Hey!
  2. Break.Doubt
  3. I wait for you
  4. Don't leave me
  5. Erupt & matter
  6. Are you lost in the world like me?
  7. A simple love
  8. The light is clear in my eyes
  9. And it hurts
Gesamtspielzeit: 35:46 min

Im Forum kommentieren

Moby's Dick

2016-10-21 17:55:02

Sehr sehr schlecht. Wußte gar nicht daß Moby sowas wirklich kann

Sohiel

2016-10-21 16:13:40

Übrigens, 4.0 von Pitchfork:
http://pitchfork.com/reviews/albums/22515-these-systems-are-failing/

Sohiel

2016-10-21 16:11:02

Ulrich, vielen Dank für deine ausführliche Kritik, ich freue mich über dein Interesse.

1. Moby macht ein Album für seine Echoblase? Ah ja, es ist ja auch selten dass sich Künstler nach der Gruppe richten, die sie ihre Fans nennen. Unvergessen, die Ankündigung von Bob Dylan mit diesem einen Album endlich auch mal die Schlagerfans erreichen zu wollen. Ach nee, das gab es ja gar nicht.

Ich halte es in Zeiten, in denen man sich nur noch mit Gleichgesinnten abgibt und andere Meinungen umso rabiater abgelehnt werden, durchaus für wichtig, dass Moby für ein Protestalbum andere Maßstäbe anlegen sollte als damals Bob Dylan.

2. Moby erreicht nicht die Uniformierten und den Otto-Normal-Verbraucher? Haben Atari Teenage Riot und Rage against the Machine auch nicht. Ist das ein Kriterium hinsichtlich der Musikqualität?

UniNformierte mit N, nicht Uniformierte.

Atari Teenage Riot und Rage Against the Machine waren allerdings bahnbrechend. Und zumindest Letztere haben es geschafft, vom Mainstream wahrgenommen zu werden.

3. Welche Stellen bei "Don't leave me" erinnern an die Songs "Send me an Angel" oder "All you zombies"? Ja, sie weisen 80er-Jahre Sound auf, aber dessen Elemente werden ja wohl auf dem ganzen Album von Moby neu aufgewärmt. Ging es hier nur um die Einstreuung eigener Musikkenntnis?

Warum „nur“? In einer Plattenkritik geht es doch darum, Orientierung zu bieten. Tatsächlich erkenne ich im Pop-Appeal, in den Melodien und in der Anmutung Parallelen zu den Songs. Ich akzeptiere es, wenn du die Vergleichbarkeit nicht nachvollziehen kannst, so etwas lässt sich oft nicht objektiv fassen. Im Übrigen kannst du dir gerne die Referenzen unter der Rezension ansehen, sie bestehen zumeist aus Angaben, die Moby selbst in Interviews gemacht hat. Vielleicht kannst du sie eher nachvollziehen.

4. Zu welchem Song von DJ Bobo besteht eine Ähnlichkeit bei "Are you lost in the world like me"?

DJ Bobo hat seinen signature sound. Boshaft könnte man behauten, die klingen alle fast gleich...

5. Wo ist auf dem Album ein DJ-Bobo-Gedächtnis-Chor zu hören? Wenn die Formulierung nur auf den Projektnamen anspielt, was hat der mit DJ-Bobo zu tun?

Hierzu gibt es widersprüchliche Angaben, doch soweit ich es sehe, hat sich Moby den Chor weitestgehend „virtuell“ zusammengestellt, indem er mehrere Gesangsspuren so oft vervielfacht und angepasst hat, bis die Anmutung eines Chors erreicht werden konnte. Das ergibt im Zusammenspiel mit der Musik einen Sound, der mich doch arg an Eurodance erinnert hat.

6. Kann der Bezug zu D.H. Lawrence dem Leser nicht erklärt werden? Hey, wir wollen doch Otto-Normal-Verbraucher erreichen...

Nein, Plattentests.de ist in meinen Augen eine Plattform für Leute, die zumindest nicht „eigentlich alles, so querbeet“ hören. Außerdem kannst du dir das schnell ergooglen. Popmusik ist populär, da gelten andere Maßstäbe.

7. Inwiefern ist "Animal Rights" paradigmatischer gewesen im Vergleich zu diesem Album, dessen musikalische Elemente sich gerade wie ein roter Faden durch alle Songs ziehen? "Reguläre" Moby-Alben haben da deutlich mehr Variation geboten.

Das hat nichts mit Variation zu bedeuten. Paradigmatisch bedeutet, dass sie einen Bruch zum Status quo darstellt, Signalcharakter hat, deutliche Wahrnehmung erzeugt. Seinerzeits löste „Animal Rights“ verstörte Reaktionen hervor, Moby hatte hier etwas zu verlieren (hat aber wenigstens nachträglich Anerkennung erfahren).

Bei „These Systems Are Failing“ hat Moby in Interviews sogar deutlich zu erkennen gegeben, dass er nichts zu verlieren hat, weil er eben an der Masse vorbeisendet. Diese Wurstigkeit würde sich ein, sagen wir, Billy Bragg nicht erlauben, und das macht es als Protestwerk unglaubwürdig:

8. Warum ist das Album als Protestwerk unglaubwürdig? Isst Moby doch heimlich Fleisch?

Um das klarzustellen, ich sympathisiere mit seinen Botschaften. Umso mehr rege ich mich darüber auf, dass er das Ganze nicht so ernstnimmt, wie es der Sache dienlich wäre.

Um eins klar zu stellen: ich erwarte keine Jubel-Kritik, weil ich das Album toll finde. Es hat seine Stärken und seine Schwächen. Wer schon mal nicht auf EBM und New-Wave im Retro-Sytle steht, wird sich mit dem Album musikalisch kaum anfreunden können. Das ist ok. Aber wir können Moby nicht den Vorwurf machen, dass er mit dem Album keine Pegida-,AFD und Trump-Anhänger bekehren kann. Das wird selbst den drei heiligen Königen Bob, Neil und Leonard nicht gelingen. Müssen wir alle selber machen ;-)

Ich glaube eben noch an die Wirkung der Popmusik. Und die heiligen drei Könige sind, seien wir doch mal ehrlich, stark an ihre Generation gebunden. Neue Zeiten erfordern neue Könige. In dieser Rolle sehe ich Moby leider nicht. Für sich stehend ist das Album okay, als Protestalbum hingegen zu schwach. Wenn du das anders siehst, ist das in Ordnung. Popkritik ist subjektiv.

Schönes Wochenende!

Ulrich

2016-10-21 11:54:34

Mit Verlaub, ich kann die Vorwürfe der Kritik an dem Album nicht nach vollziehen. 1. Moby macht ein Album für seine Echoblase? Ah ja, es ist ja auch selten dass sich Künstler nach der Gruppe richten, die sie ihre Fans nennen. Unvergessen, die Ankündigung von Bob Dylan mit diesem einen Album endlich auch mal die Schlagerfans erreichen zu wollen. Ach nee, das gab es ja gar nicht.
2. Moby erreicht nicht die Uniformierten und den Otto-Normal-Verbraucher? Haben Atari Teenage Riot und Rage against the Machine auch nicht. Ist das ein Kriterium hinsichtlich der Musikqualität?
3. Welche Stellen bei "Don't leave me" erinnern an die Songs "Send me an Angel" oder "All you zombies"? Ja, sie weisen 80er-Jahre Sound auf, aber dessen Elemente werden ja wohl auf dem ganzen Album von Moby neu aufgewärmt. Ging es hier nur um die Einstreuung eigener Musikkenntnis?
4. Zu welchem Song von DJ Bobo besteht eine Ähnlichkeit bei "Are you lost in the world like me"?
5. Wo ist auf dem Album ein DJ-Bobo-Gedächtnis-Chor zu hören? Wenn die Formulierung nur auf den Projektnamen anspielt, was hat der mit DJ-Bobo zu tun?
6. Kann der Bezug zu D.H. Lawrence dem Leser nicht erklärt werden? Hey, wir wollen doch Otto-Normal-Verbraucher erreichen...
7. Inwiefern ist "Animal Rights" paradigmatischer gewesen im Vergleich zu diesem Album, dessen musikalische Elemente sich gerade wie ein roter Faden durch alle Songs ziehen? "Reguläre" Moby-Alben haben da deutlich mehr Variation geboten.
8. Warum ist das Album als Protestwerk unglaubwürdig? Isst Moby doch heimlich Fleisch?
9. Wo lässt sich Zaghaftigkeit bei den Songs "Don't leave me", "Erupt and matter" oder "And it hurts" erkennen? Erwarten wir von Moby ein Slayer-Album?
Um eins klar zu stellen: ich erwarte keine Jubel-Kritik, weil ich das Album toll finde. Es hat seine Stärken und seine Schwächen. Wer schon mal nicht auf EBM und New-Wave im Retro-Sytle steht, wird sich mit dem Album musikalisch kaum anfreunden können. Das ist ok. Aber wir können Moby nicht den Vorwurf machen, dass er mit dem Album keine Pegida-,AFD und Trump-Anhänger bekehren kann. Das wird selbst den drei heiligen Königen Bob, Neil und Leonard nicht gelingen. Müssen wir alle selber machen ;-)

Armin

2016-10-19 20:52:56

Frisch rezensiert.

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