Maeckes - Tilt
Chimperator / Vertigo / UniversalVÖ: 21.10.2016
Mensch Markus
Schwanz beiseite. Schluss mit schmutzig. Im überaus Ritalin-getränkten Promotext zu Maeckes' dritter Soloplatte heißt es ganz unverfroren: "Maeckes' Album ist erwachsen und aufgeräumt." Und außerdem, und das ist ja noch erstaunlicher: "Maeckes hat keine Angst davor, er selbst zu sein." Der 34-jährige Rapper war ja noch nie einer, der in jeder zweiten Zeile den Huso auspackt, aber bei den Orsons ist er doch immer derjenige, der am lautesten "Glied" – hihihi, "Glied" – in die Runde wirft, und der sich zwar ganz anders als Kollege Kaas, aber vielleicht doch am meisten verstellt. Solo kennt man die ernste Leiher ja bereits: Schon auf "Kids" und "Zwei" waren die Themen eher düster als bonbonbunt. "Tilt" legt da noch eine Schippe drauf.
Macht der Stuttgarter jetzt also vollends einen auf Clueso? Schon ein bisschen, aber ohne die ganz harte Herzscheiße. Mehrfach greift ihm Sänger Tristan Brusch unter die Arme, was wirklich gar keine schlechte Idee ist. So zum Beispiel im trauernden "Marie-Byrd-Land", das der Angebeteten Raupen durch den Hintereingang schiebt und trotz der recht ausgelutschten Schmetterlings-Metapher vom ehrlichen Aua an der Pumpe erzählt. Anders ver-, aber eben auch zurückgelassen, wurde der Rapper von seinem Papa. Der war "Urlaubsfotograf" und vor allen Dingen "kein rollenender Stein". Nein, "er war Stein, den man von Autobahnbrücken auf fremde Frontscheiben schmeißt." Das klingt phonetisch so windschief, dass es charmant wird. Das Piano macht da auch mit, der sanfte Damengesang im Background eh.
Aber das ist nicht alles. Der Opener macht beispielsweise ordentlich Dampf und erklärt: "Der Misserfolg gibt mir Unrecht." Halbwitziger Spruch oder philosophischer Meilenstein – who knows? De facto gelingt es dem Rapper in diesem Titel bereits das Spannungsfeld aufzuziehen, auf dem sich "Tilt" so bewegt: Wer bin ich eigentlich? Und wenn ja, warum? Weiterhin auf die Zwölf: "Atomkraftwerke am Strand", das sich bedrohlich aus der Ferne nähert und dann den Super-GAU erlebt. Dass Josef Hader einen Spoken-Word-Part in "Kino" übernimmt, wird nicht nur austrophile Hörer erfreuen: Zwischen Drones und Akustischer wiederholt der Komiker die Zeilen des Rappers. "Warum hast Du Angst", fragt eine Stimme aus dem Hintergrund und Hader entgegnet trocken: "Scheiß di ned o." Herrlich.
Im schon erwähnten Eingangstrack nennt sich Maeckes einmal beim Namen: Markus. Und so ist es ebenjener, der sein "Kreuz" zu tragen hat, der sein "Inneres / Aeusseres" bisweilen verwechselt, der Schiss davor hat, "Irgendniemand" zu sein oder zu werden. Das alles macht "Tilt" zum harten Tobak, der die Existenzkrise auf dem Banner präsentiert, als wäre ein Weltuntergang im Mikrokosmos' des Selbsts in Verzug. Zu lösen sind diese Probleme nicht ohne Weiteres, wenngleich Maeckes in "Gettin' jiggy with it" immerhin eine Erklärung liefert: "Das Beste auf der Welt sind wir Menschen, und das Schlechteste der Welt sind wir auch."
Highlights & Tracklist
Highlights
- Der Misserfolg gibt mir Unrecht
- Urlaubsfotograf
- Kino (feat. Josef Hader)
Tracklist
- Der Misserfolg gibt mir Unrecht
- Tilt!
- Gettin' jiggy with it
- Marie-Byrd-Land (feat. Tristan Brusch)
- Urlaubsfotograf
- Wie alle Kippenstummel zwischen den Bahngleisen zusammen
- Atomkraftwerke am Strand
- Die Alpen
- Kreuz
- Inneres / Aeusseres
- Kino (feat. Josef Hader)
- Irgendniemand (feat. Tristan Brusch)
- Loser
- In deiner Stadt (feat. Tristan Brusch)
Im Forum kommentieren
S.v.K.
2016-11-01 18:39:22
Hat mit den Orsons zum Fest der Deutschen Einheit in Stuttgart gespielt
Fräger
2016-11-01 18:25:07
@ S.v.K.
Was für schwarzrotgeile Feierlichkeiten?
S.v.K.
2016-11-01 17:34:45
10/10 ist bisschen hoch gegriffen, aber die 7/10 ist eindeutig zu niedrig. Wahnsinnig gutes Album.
Immer noch schade, dass so ein intelligenter Mensch wie Maeckes sich für schwarzrotgeile Feierlichkeiten hergegeben hat.
Das rebellische Wort
2016-10-28 17:36:04
Interessiert aber kaum einen, da das Gewürm sich lieber einen auf die neue JEW...ihr wisst schon.
Onkel Walter
2016-10-28 14:10:52
Auch nach mehrfachen Hören wunderbar verwinkelt und hintersinnig und immer wieder was Neues zu entdecken. Ein Album das immer wieder neu gehört werden will ohne zu langweilen. Vom zweifelnden Ich mit dem Lamborghini in die Partykirche der Philosophie.
Für mich 10/10 Punkten
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