Insomnium - Winter's gate
Century Media / SonyVÖ: 23.09.2016
Kalt erwischt
Der Longtrack gilt im Progressive Rock gemeinhin als Königsklasse des Songwriting. Ausufernde Arrangements, minutenlange Frickeleien, bizarre Konzepte – all das haben Bands wie Genesis, Yes, Pink Floyd oder in neuerer Zeit Spock's Beard oder Transatlantic in Perfektion durchexerziert. Will sagen: Schon an Songs mit einer Länge im zweistelligen Minutenbereich trauen sich im Normalfall nur absolute Ausnahmekönner des Fachs heran. Und plötzlich taucht da mit Insomnium – ausgerechnet, mögen filigrane Schöngeister hier hinzufügen – eine Melodic-Death-Metal-Band auf und präsentiert ein Album, auf dem lediglich ein einziger, dafür schlappe 40 Minuten langer Song vertreten ist? Donnerwetter, das ist mal ambitioniert.
Nun sind Insomnium nicht erst seit gestern für faszinierende Spannungsbögen bekannt. Insofern darf man den Finnen ein solches Vorhaben durchaus zutrauen, auch wenn die Herren nicht immer das feinste Florett der musikalischen Untermalung nutzen. Zudem beruht "Winter's gate" auf einer Kurzgeschichte, für die Autor, Sänger und Bassist Niilo Sevänen schon bei diversen heimischen Literaturwettbewerben zahlreiche Preise einsacken durfte.
Insofern beginnt die Platte fast schon erwartungsgemäß, jedoch nicht weniger hochklassig. Behutsam entstehen Klanglandschaften, die dennoch bei näherem Zuhören rau und abweisend wirken, ganz so wie die Region irgendwo in Irland, in der Sevänen die Handlung angesiedelt hat. Doch plötzlich kommt das Quartett zur Sache, zerreißt die nur vordergründig schöne Welt durch Blastbeat-Gewitter und Growls, die denen des Amon-Amarth-Fronthünen Johan Hegg nicht unähnlich sind.
Könnte also reichen für, naja, fünf bis sieben Minuten? Weit gefehlt. Immer wieder werden die Death-Parts von feinen Akustik-Passagen unterbrochen, die mehr Bindeglied als Zwischenspiel sind, immer wieder bauen sich neue Spannungsbögen auf, nur um dann doch wieder eingerissen zu werden – ähnlich wie die Geschichte, die aus gleich mehreren Perspektiven erzählt wird und ähnlich fesselt wie die musikalische Umsetzung. Darüber hinaus jedoch, und das ist vielleicht sogar der geniale Schachzug an "Winter's gate", passt die Band ihren Sound nur äußerst dosiert an, zeigt hier vielleicht etwas mehr Variabilität oder dort eine zusätzliche Pagan-Note. Von einem Monumentalwerk zu sprechen, wäre sicher etwas hochgegriffen. Aber es gibt ganz andere Gruppen, die an ähnlich hochtrabenden Konzepten kläglich gescheitert sind. Insomnium hingegen bleiben bei aller literarischen Ambition ihren Wurzeln treu. Und überzeugen genau deswegen.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Winter's gate
Tracklist
- Winter's gate
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Armin
2016-10-19 20:51:22
Frisch rezensiert.
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