Warpaint - Heads up

Rough Trade / Beggars / Indigo
VÖ: 23.09.2016
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Freude an Frost

Die Schatten tanzen, beschwörend, betörend, sinnlich, verhext: Das Cover von "Heads up", dem dritten Album der vier Mädels von Warpaint, weckt Assoziationen, die man bei dieser Band ohnehin längst hatte. Das Album dazu zeigt sich ähnlich vernebelt: Viele Grauschleier legen sich über treibende Melodien, die Melancholie zischt durch alle Ritzen in dieser auf Sumpf gebauten Hütte. Es fröstelt, während der Wind durch kahle Äste pfeift und sich drahtige Krähen auf die Stromleitungen setzen, um unheilvoll herab zu stieren. "Heads up" geriert sich als dunkelgraue Angelegenheit, als Songsammlung für Menschen, die der Sonne eher abgeneigt sind und sich schon auf den Wonnemonat November freuen. Alle anderen dürften nach den üppigen 51 Minuten Spielzeit dieser LP ein großes Bedürfnis nach einem Kännchen Fencheltee und einer Heizdecke empfinden. Brrr.

Die Platte beginnt mit einem ihrer herausragendsten Momente: "Whiteout" schießt direkt ins Bein und lässt den heimischen Parkettboden erzittern. Hypnotisch umkreisen und becircen sich die tänzelnden Stimmen und die rhythmisch akzentuierten Instrumentalparts. In diesen knapp fünf Minuten offenbaren Warpaint ihr gesamtes Können, ihre Fähigkeit, scheinbar ungreifbare Stimmungen in einen mehr oder weniger festen Aggregatszustand zu bringen, der sich gegen Ende doch wieder in Wohlgefallen auflöst. Einen solche Stringenz wünscht man sich im weiteren Verlauf jedoch, denn oftmals zirkulieren und transzendieren Theresa Wayman, Emily Kokal, Jenny Lee Lindberg und Stella Mozgawa zu gedankenverloren im luftleeren Raum. Dann entstehen zwar ätherisch-dichte Songs, die durchaus eine Stimmung transportieren, jedoch ohne wirklich zu berühren. Man betrachtet sie aus der Ferne, nickt bedächtig, spürt allerdings erstaunlich wenig.

Freilich würde man nun niemals auf die vermessene Idee kommen, "Heads up" gänzlich zu verschmähen. Hier und da, manchmal gar in den entlegensten Winkeln dieser Songs, öffnen sich wunderschöne Traumwelten vor dem geistigen Auge, es stellen sich Schwebezustände ein, Leichtigkeit und Schwere zerren am Probanden, lassen erzittern, erschaudern, erstarren. Doch es bleiben am Ende meist nur Träume, es stellt sich keine endgültige Saturiertheit ein, keine Bedürfnisbefriedigung höheren Grades. Warpaints neue Stücke huschen vorbei und hinterlassen nur selten Fingerabdrücke: Ihre klare, transparente, pergamentdünne Schönheit ist der Fluch, der durch die Venen und Arterien dieser Songs fließt. Ihre Substanz erscheint zu brüchig, Warpaint agieren gerade so am Rande der Wahrnehmung und schaffen es nur in seltenen Augenblicken, wie beispielsweise dem zu Herzen gehenden "Don't let go", den Hörer zu berühren. Vieles bleibt attraktiv-harmlos, cum grano salis: Rauschen ohne Rausch.

Das treibende "Dre" schlängelt sich skelettlos durch ein zaghaftes Beat-Dickicht, während die Echos weiblicher Geisterstimmen, das Wispern der Succubi bedächtig und atemlos durch das trübe Dunkel hallt. So stellt es wahrlich einen Kraftakt dar, in diesen Kompositionen Halt zu finden, so flüchtig, wie sie sich hier darstellen. Ab und an geben sich Warpaint dem Konkretum hin, zum Beispiel wenn der Titelsong losrappelt und fast so etwas wie Aufbruchstimmung verbreitet. Für den tränenziehenden Schlusspunkt "Today dear" verzichten die Damen aus Kalifornien auf sämtlichen Firlefanz, so stripped down klangen sie selten. Ein eindrückliches Ende für ein Album, das auf wundersame Weise ratlos macht: der Weg von Warpaint bleibt bis auf Weiteres unergründlich.

(Kevin Holtmann)

Bei Amazon bestellen / Preis prüfen für CD, Vinyl und Download
Bei JPC bestellen / Preis prüfen für CD und Vinyl

Highlights & Tracklist

Highlights

  • Whiteout
  • Don't let go

Tracklist

  1. Whiteout
  2. By your side
  3. New song
  4. The stall
  5. So good
  6. Don't wanna
  7. Don't let go
  8. Dre
  9. Heads up
  10. Above control
  11. Today dear
Gesamtspielzeit: 51:17 min

Im Forum kommentieren

Felix H

2022-03-23 20:40:39

Vermutlich im Thread zum Vorgänger, weil er als Non-Album-Single dazwischen rauskam. Passt auch nicht so richtig zu diesem Album.
Aber ja: sehr toller Song.

nörtz

2022-03-23 16:39:26

Dass hier nie der grandiose Japanbonustrack "No Way Out" erwähnt wurde? Das wäre für mich der beste Song dieses Albums.

The MACHINA of God

2021-05-20 16:17:11

SO, heute mal erneuter Anlauf.

rainy april day

2017-07-14 21:14:28

Kommt nicht ganz an das zweite Album ran, hat mich aber nach anfänglicher Reservietheit mittlerweile doch ganz gut im Griff. So good ist einfach...so good.

MopedTobias (Marvin)

2017-03-05 16:59:14

Für mich auch mit etwas Abstand nachwievor ihr Bestes. Hat zwar nicht die intensive Atmosphäre des Vorgängers, aber vereint die Virtuosität des Debüts mit zielgerichtetem Songwriting und einer stärker ausgeprägten Popseligkeit, was einfach nur großartig klingt. Vor allem So Good und Above Control sind umwerfend.

Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.

Spotify

Weitere Rezensionen im Plattentests.de-Archiv

Threads im Forum