Pascal Pinon - Sundur
Morr / IndigoVÖ: 19.08.2016
Für komische Vögel
Der Rezensent hat Angst. Mit heute 30 Jahren fürchtet er sich, bald zu dieser bei Konzerten stets anwesenden Gruppe komischer alter Vögel zu gehören, die aus dem Publikum herausstechen, weil sie einerseits textsicher sind wie die Kiddies drumherum und sich andererseits noch mehr Bier in die Gurgel kippen als ebenjene. Als mit "Pascal Pinon" 2009 das Debüt der isländischen Zwillinge erschien, brachten die beiden Protagonistinnen gerade einmal 14 Lenze mit. 14! Jünger kannste im Musikgeschäft kaum sein, wenn Du nicht gerade Retortenpop machst. Genau das schwächt die Sorge ab: Pascal Pinon kreieren alles andere als leichtverdauliche Spaßmusik. Dafür müssen die Geschwister wohl damit leben, dass nur so komische alte Vögel vor der Bühne stehen. Mit "Sundur" erscheint nun die dritte Platte des Gespanns.
Jetzt ist Island ja so etwas wie das gelobte Land, wenn es um unerwartet große Pop-Acts geht. Dabei lassen sich allenfalls zwei Bandtypen auseinanderhalten: Die Gruppen, die in Landessprache singen, und jene, die das Englische wählen. Pascal Pinon machen beides. Nicht innerhalb eines Titels, aber Song für Song. So sind die Ausführungen von "Skammdegi", dem ersten Highlight auf "Sundur", für den gemeinen Gymnasiasten wohl eher unverständlich, dafür eröffnet das Stück aber einen Zugang zur Musik, der sonst kaum stattfinden könnte. Das gerollte R fügt sich in den Sog der Instrumentierung, unterstützt den Spannungsbogen. Man fiebert mit, wie der Lo-Fi-Titel mit knisternden Pianos und Chorgesang wohl enden mag. Plätschernd treibt er im Strom, bleibt aber jederzeit knapp über dem Wasserspiegel, legt Verschnaufpausen ein und zieht dann freudvoll seines Weges.
"Spider light" kommt indes synthetischer daher, denkt nicht einmal daran, sein stoisches Klackern abzulegen und wenn es nicht klappert, dann klopft's eben. Dennoch bleibt der Song jederzeit unaufdringlich, kommt völlig ohne Gesang aus und mündet dafür in eine wunderschöne Klavierlinie. Mehr Kraft legt das Schwesternduo in "Orange", welches das Piano wiederaufnimmt und dabei auf sämtliche sonstige Instrumentierung verzichtet. Einzig ein dünnes Rauschen im Hintergrund lässt sich nicht bezwingen. Der Gesang ist herzzerreißend. Ähnlich in "Babies", welches mit Synthies und lautem Akkordeon aufwartet. Akkordeon? Keine Sorge, Schunkelmusik ist auch das keineswegs. Stattdessen stürmen arhythmische Drums und eine verbogene Zweitstimme das Geschehen. Ein musikalischer Tumult entsteht, der freilich trotzdem nie die Grenzen sprengt. Übertroffen wird jener nur vom isländischen "Ást": Abermals steht ein Pianothema im Vordergrund, ganz sanft schreitet der Song voran, aber Turbulenzen drohen. Tempiwechsel und wilde Percussion lassen das Stück aber auch nicht zerschellen, sodass es einen leisen Ausklang findet.
Das Erstlingswerk der beiden erklärte Allmusic.com zu "a truly lovely record". Das bringt es auch für "Sundur" auf den Punkt. Die Hingabe, die in jedem einzelnen Titel zu spüren ist, macht Pascal Pinon groß. Man hat das Gefühl, dass jedes Geräusch auf "Sundur" genau an dieser Stelle sitzen muss. Das Album enthält Musik für drei herkömmliche Platten, so divers ist es aufgestellt. Der liebevolle Gesang der Ákadóttirs krönt die Arrangements. Da würde sich der Rezensent noch mit 40 oder mit 50 oder mit 60 ins Publikum stellen.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Skammdegi
- Spider light
- Babies
- Ást
Tracklist
- Jósa & Lotta
- 53
- Forest
- Skammdegi
- Fuglar
- Spider light
- Orange
- Twax
- Babies
- Ást
- Weeks
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Jennifer
2016-08-10 21:24:46
Frisch rezensiert.
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- Pascal Pinon - Sundur (1 Beiträge / Letzter am 10.08.2016 - 21:24 Uhr)