Gonjasufi - Callus

Warp / Rough Trade
VÖ: 19.08.2016
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Der Wanderprediger vom Walmart

Wie ein zorniger Dschinn entweicht er blubbernd der Wunderlampe, stets umhüllt von dicken, pulsierenden Schwaden. Nach der Abkühlung kondensieren diese zum sumpfigen Psycho-Dub-Blues, der den Background für die düstere Predigt von Sumach Valentine alias Gonjasufi darstellt. Weltliche Unterstützung erfährt der hauptberufliche Yoga-Lehrer dabei vom ehemaligen The-Cure-Gitarristen Porl Thompson, bereits angekündigt durch die markigen Riffs auf der Single-Auskopplung "Maniac depressant". "Callus" ist das dritte Album des urbanen Schamanen auf Warp Records, wo er 2010 auf Empfehlung von Flying Lotus sein vielgelobtes Debüt "A Sufi and a killer" und zwei Jahre später den Zweitling "Mu.zz.le" veröffentlichte.

Als Astronaut im "Afrikan spaceship" nimmt Gonjasufi den Hörer mit auf seinen Trip, verkleidet sich mit tausend Genres und bleibt stets unnahbar. Wilde Buschtrommeln werden durch die Echokammern gejagt, Höhen und Tiefen manipuliert, Instrumente verfremdet. Seinen Weltschmerz heult er beim Voodoo-Blues "Ole man sufferah" hinaus, die Stimme ist mittels Distortion und Halleffekte kaum mehr als solche wahrnehmbar. Teils erinnern die Beats entfernt an das UK-Label Hyperdub mit seinen kongenialen Zauberkünstlern Burial und Zomby. Zwischen all dem Wahnsinn befinden sich auf "Callus" jedoch immer wieder Ruhepole wie etwa das schaurig-schöne "When I die".

Wohlgemerkt: Die 19 sehr eigensinnigen Tracks fungieren für Gonjasufi lediglich als Trichter, durch den seine kosmische Predigt wie bei "The kill" in Form von dicken, klebrigen Tropfen in die Gehörgänge der Rezipienten sickert. Wenn kurz darauf plötzlich der "Krishna punk" mit seinen Hey-hey-Shouts abgeht, ist die Überraschung zunächst zwar groß, bietet jedoch immer noch kaum Anknüpfungspunkte an gewohnte Strukturen. Viele Tracks auf "Callus" erschließen sich erst nach und nach, andere hingegen versuchen es erst gar nicht.

Für Künstler, die wie Gonjasufi eher im Epizentrum der schwarzen urbanen Musik beheimatet sind und beim Fremdgehen mit Genres wie Grunge oder Punkrock erwischt werden, sind die Folgen oft unabsehbar. Was man bei Eskapaden dieser Art als ungezügelte Kreativität auslegen könnte, ist für viele einfach zu viel Butter auf dem Brot. Zu hören war diese Entwicklung beispielsweise auf der letzten Klangreise von Kid Cudi auf "Speedin' bullet 2 Heaven". Wo dieser leider so gut wie gescheitert ist, brilliert Gonjasufi mittels Erfolgsfaktor Authentizität. Dabei kratzt der Wanderprediger jedoch gerade noch die Kurve vor dem drohenden musikalischen Kollaps.

"Callus" ist ein zutiefst persönliches und intimes Album, bei dem die zerrissene Essenz trotz klanglicher Hürden und Härten erfahrbar bleibt: "Hier in den USA sind wir mitten in einer politischen Katastrophe", stellt Gonjasufi klar. "Viele fühlen sich hoffnungslos, während rassistische und religiöse Spannungen immer stärker werden. Wir müssen dem Hass ein Ende setzen." Fast scheint es so, als wolle der kratzbürstige Mann mit dem Vollbart und den dicken Dreadlocks Hass mit Hass bekämpfen und damit ein für allemal neutralisieren. Gonjasufi gibt sich wie gehabt als geläuterter Sünder, worauf bereits auch die drei Kreuze auf dem Cover hindeuten: Nach einem Leben auf der Straße und dem Konsum sämtlicher Drogen findet er schließlich Erlösung im Sufismus, einer mystischen Strömung des Islam. Nichtsdestotrotz bleibt er dem Staub der Straße treu: Momentan lebt er in einem Wohnwagen auf einem Walmart-Parkplatz in Washington, DC.

(Felix Mildner)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Maniac depressant
  • The kill
  • Vinaigrette
  • When I die

Tracklist

  1. Your maker
  2. Maniac depressant
  3. Afrikan spaceship
  4. Carolyn shadows
  5. Ole man sufferah
  6. Greasemonkey
  7. The kill
  8. Prints of sin
  9. Krishna punk
  10. Elephant man
  11. The conspiracy
  12. Poltergeist
  13. Vinaigrette
  14. Devils
  15. Surfinfinity
  16. When I die
  17. The jinx
  18. Shakin parasites
  19. Last nightmare
Gesamtspielzeit: 52:23 min

Im Forum kommentieren

AndreasM

2017-04-26 10:44:08

Oh, ganz übersehen. Mit "kein roter Faden" meinte ich eigentlich nur, dass es für mich keinen einzigen Anknüpfungspunkt gab, etwas für mich von dem Abend mitzunehmen. Es muss ja auch nicht immer etwas "zum Mitnehmen" geben, aber das war mir persönlich einfach zu wirr.

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2017-04-26 00:46:25

Also in Nürnberg hat er total rumgebitcht wg. des verdammten Monitors... war ihm wohl zu leise. Hat das ganze Konzert über den Typen am Mischpult beschimpft.
Die beiden Beatmaker-Jungs waren putzig und gut. Wussten nur leider auch nicht mit den Emotionen des Sängers umzugehen... selbstverliebter Typ. :(

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2017-04-19 11:57:55

Erklär das mal genauer... wie kein roter Faden?

AndreasM

2017-04-19 10:12:12

Ich habe ihn gerade gestern in Leipzig gesehen und bin vorzeitig gegangen (wie auch mindestens ein Drittel des Publikums).
Ich konnte live sehr wenig damit anfangen. Ich habe ja wirklich nichts dagegen, wenn mich Künstler überfordern, aber gestern war für mich kein einziger roter Faden zu erkennen. Das Publikum wusste stellenweise nicht, wie es überhaupt reagieren sollte. Das lag auch daran, dass seine Stimme auch bei vermeintlicher Publikumsinteraktion so verzerrt war, dass man kein Wort verstanden hat. So blieb es mir eigentlich bis zum Ende ein Rätsel, ob ich da jetzt große technische Störungen erlebe oder es tatsächlich alles so gewollt war.
Es war nicht langweilig, aber nach fast 1,5 Stunden habe ich auch nicht gewusst, für was sich ein weiteres Bleiben lohnen sollte.

Ich bin jedenfalls froh, dass ich dafür gestern nur die Bayern und nicht heute den BVB verpasst habe ;)

Underground

2017-04-19 08:58:05

man hört viel negatives, deswegen spar ich mir das auch. zudem spielt borussia heute abend ;-)

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