Biffy Clyro - Ellipsis
14th Floor / WarnerVÖ: 08.07.2016
Aus dem zarten Garten
Das Jahr 2016 ist noch recht jung, als Biffy Clyro, ihres Zeichens bartbehangene Lieblings-Schotten von Plattentests.de-Lesern und -Redaktion, sich kurz vor Ostern das faule Ei selbst ins Nest legten: Damals, rund vier Monate bevor das siebte Album "Ellipsis" erschien, behauptete ein überschwänglicher Simon Neil in Interviews, das langerwartete neue Werk der Schotten klänge nach einer wahnwitzigen Mélange aus Tears For Fears, Death Grips, A$AP Rocky und Deafheaven. Dies stieß vor allem bei der treuen Anhängerschaft auf offene Ohren und hoffende Herzen – bei jenen, die die unberechenbare Seele der Biffy-Frühwerke zuletzt sehr vermissten. Zutrauen würde man der Truppe aus Glasgow einen Stilwechsel noch immer, so viel ist klar. Dazu versprühte die geradlinigere Ära der Band, die vor knapp neun Jahren mit dem bis heute toll gereiften "Puzzle" begann, zu viel einmaligen Biffy-Charme.
Und logisch wäre es zumal auch, wenn der Dreier nach dem mit Hits gespickten Erfolgsalbum "Only revolutions" und der großartigen, gleich doppelt gemoppelten Stadion-Sause "Opposites", welches Biffy Clyro zum #1-Chart-Act, zum Reading-/Leeds-Headliner und zur derzeit vielleicht gefragtesten UK-Rockband machte, nun zu neuen Ufern aufbricht. Doch stimmt das wirklich? Erste Fragezeichen in Sachen Innovation warfen schon die Vorab-Singles auf: Der mächtige Auftakt mit "Wolves of winter" etwa, ein mit verquerem Gitarrenriffing sowie meterdickem Gröhl-Refrain bestücktes Rock-Epos, das zumindest live so richtig Staub aufwirbeln wird, macht mit der Zeit Spaß – ist im Band-Kontext aber kaum neu. Ebenso "Animal style", dieser eigentlich hübsch nach vorne spurtende Rocker, dem neben überflüssigen "Woo Woo"s auch anheftet, dass man ihn eigentlich nicht wirklich braucht, wenn man die besten Foo-Fighters-Platten oder Material von Muse im Regal stehen hat.
Überhaupt nerven diese geballten "Woo woo"s, "Oh oh"s und "NaNaNa"s, die in vielen der nur wenigen Ecken dieser Platte lauern: Ja, es gab sie auch in der jüngeren Vergangenheit bei Biffy Clyro, aber nicht in der flächendeckenden Penetranz, wie sie "Ellipsis" offenbart. Zum seichten Liebesschmonz von "Re-arrange" etwa erreicht die Frequenz ein wenig erträgliches Maß, doch kommt hier definitiv auch der Faktor Songwriting zum Tragen: Wer schon zu "God & satan" begann, sich die ersten grauen Haare auszureißen, käme nach ein paar Runden mit "Re-arrange" wohl kaum mehr hinter der Rauferei her. "People" und "Medicine", die beiden anderen (Halb-)Balladen, biedern sich immerhin nicht an, vielmehr versöhnt "Medicine" mit etwas Tiefgang und feiner Melodie. Beide Tracks überzeugen jedoch nicht vollends – zumal Biffy Clyro einst mit "Machines" oder "Many of horror" unlängst bewiesen, zur grandiosen Gefühls-Duselei fähig zu sein. Nicht nur in diesen Momenten stößt zudem die Produktion von Rich Costey (Fiona Apple, Mew, Muse, Frank Turner) sauer auf, die als in etwa so kompromisslos wie Portugals bester Nationalverteidiger Pepe zu bezeichnen ist: Im Kampf um luftige Höhen köpft Nummer-Sicher-Costey das Ding immer dann raus, bevor es zauberhaft und berührend wird, und unten an der Grasnarbe grätscht er kurz vor der Ekstase trocken in die Parade.
Dass hier echte Workaholics am Werk sind, ist hinlänglich bekannt, hauen sie doch nach jeder Studio-Platte regelmäßig großartig verspielte B-Seiten raus. Selbst dem Doppel-Album "Opposites" ließ die Band die fantastische, 16 Track starke B-Werkschau "Similarities" folgen, die nicht eine Sekunde lang nach Ausschuss-Ware klingt. Dennoch fiel die Band nach der letzten Welt-Tour in ein kreatives Loch. Simon Neil etwa weilte über ein halbes Jahr mit seiner Frau in Kalifornien, um andauernd wiederkehrenden Panikattacken und einer Motivations-Krise zu entkommen – und schrieb monatelang keinen einzigen Song. Bei diesem Künstler eigentlich undenkbar. Fakt ist, dass man dies "Ellipsis" auch irgendwo anhört. Unterm Strich bietet der siebte Biffy-Streich, bis auf das leicht billige, countryinfizierte "Small wishes", keinen Totalausfall, dafür solide bis gute Songs mit etwas weniger typischen, versteckt-vertrackten Sound-Tüfteleien. Aber "Ellipsis" ist eben auch nicht das, als was es angekündigt wurde, markiert trotz verstärktem Synthie- wie Handclap-Einsatz nicht wirklich einen klaren oder gar innovativen Neuanfang. Es ist schlicht eines geworden: Biffy Clyros erstes echtes Popalbum.
Gerade deshalb gibt es auch Lichtblicke, gibt es Ungewohntes, zunächst Verstörendes und – neben den beiden guten Bonus-Songs der 13-Track-Deluxe-Version – auch auf Dauer tatsächlich Fesselndes. "Friends and enemies" etwa, der anfangs verquere Popsong über verzichtbare Freunde, baut seine cheesy Melodie auf Tears-For-Fears-Beat, einem wabernden Basslauf, tiefen Gitarren und zweieinhalb Refrains auf, um den Kritikern schließlich mit noch käsigerem Kinderchor in die Hörmuschel zu spucken. Nach und nach wird das trotzdem – oder gerade deshalb – immer besser. "Herex" ist auf Gitarrenzack unterwegs und ähnlich poppig, aber bringt im klimpernden Refrain eine dieser genialen Gänsehaut-Melodien mit, natürlich auch ein Biffy-Clyro-Trademark. Ähnlich unscheinbar, zunächst hibbelig, dann vor allem ohrwurmig kriecht "Flammable" in die Gehörgänge. "Howl", entstanden mit Snow Patrols Gary Lightbody, vereint als Hymne zwischen Pop und Rock so ziemlich alles, was an den jüngeren Biffy Clyro unterhaltsam ist. In den harten Garten aus früheren Tagen mag lediglich noch "On a bang", das mit "Fuck you!"-Attitüde Gitarren aufschichtet und diese in der zweiten Strophe wieder einreißt. Eingerissen ist mit "Ellipsis" irgendwo auch eine Serie: Die große (und hier mitunter größenwahnsinnige) Band Biffy Clyro hat es tatsächlich fertig bekommen, kein großartiges Album zu schreiben.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Wolves of winter
- Friends and enemies
- Herex
- Howl
Tracklist
- Wolves of winter
- Friends and enemies
- Animal style
- Re-arranged
- Herex
- Medicine
- Flammable
- On a bang
- Small wishes
- Howl
- People
Im Forum kommentieren
jo
2021-10-23 00:17:42
Oh ja, "Howl" ist auch bei mir ziemlich weit oben. Auch wenn man Lightbody sehr raushört :D - was aber per se schon mal meistens nichts Schlechtes ist.
Felix H
2021-10-22 21:45:56
"Howl" und "In The Name Of The Wee Man" finde ich wirklich klasse und eigentlich werden hier nur die ruhigen Songs ziemlich schwach, allen voran "Small Wishes". Die ersten drei gegen aber klar und im Mittelpart sind auch ein paar recht gute Dinger. Sie haben halt übermäßig diese Chöre in vielen Songs eingesetzt. Ich glaube, ich ziehe es aber im Gesamten sogar der "Only Revolutions" ganz leicht vor. (Nur in der 13-Track-Version, aber wer würde eine andere hören?)
jo
2019-08-29 19:26:17
Es hat ein paar gute Momente, aber das ist für die Band zu wenig.
Den Vorgänger fand ich nach dem schwachen "Only Revolutions" wieder ziemlich gut (ähnlich "Puzzle"), aber die "Ellipsis" war einfach insgesamt zu schwach. Schön, dass sie mit dem Soundtrack gerade wieder etwas die Kurve kriegen, auch wenn das vielleicht die B-Seiten zu "Ellipsis" sein könnten. Ist aber ja vollkommen egal.
Affengitarre
2019-08-29 17:39:21
Naja, nicht wirklich. Der Vorgänger war ja schon stellenweise tief im Pop drin (mir auf jeden Fall schon zu viel) und hier geht das teils sogar noch einen ganzen Schritt weiter. Sowas wie "Re-arrange" (kein Cover von Limp Bizkit!) ist billiger Radiopop und auch sonst sehr durchwachsen. Der Opener "Wolves of Winter" ist etwas rockiger und noch ganz gut und der Bonustrack "In the name of the Wee Man" stellt den Rest des Albums locker in den Schatten und erinnert an die vertrackteren Sachen der Gruppe.
Also sehr durchwachsen.
The MACHINA of God
2019-08-29 17:21:18
Mit 2.63 fast 0.5 Punkte unter dem Vorgänger und damit mit Abstand die schwächste Platte der Band auf rym. Hab schon "Opposites" kaum gehört und das hier noch gar nicht. Lohnt es sich?
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