Katatonia - The fall of hearts

Peaceville / Edel
VÖ: 20.05.2016
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Fallen lassen

Man musste schon ein wenig Aufmerksamkeit an den Tag legen, um mit der Veröffentlichungspolitik von Katatonia in den letzten Jahren Schritt zu halten. Nicht weniger als zwei Compilations und zwei Live-Alben stehen seit dem letzten regulären Studio-Album "Dead end kings" aus dem Jahr 2012 zu Buche, ganz zu schweigen von "Dethroned & uncrowned", einer rein akustischen Neueinspielung jener Platte. Eines darf dabei nicht außer Acht gelassen werden: Was so aussieht wie eine gnadenlos kommerzielle Ausschlachtung einer übergroßen Abräumer-Platte, breitet in Wirklichkeit den Schleier des Vergessens darüber, dass "Dead end kings" nicht in allen Belangen mit seinen Vorgängeralben mithalten konnte. Stagnation, sagen die einen; Orientierungslosigkeit, sagen die anderen. Tatsächlich?

Selbstzweifel scheinen bei den Schweden zumindest vordergründig fehl am Platze zu sein. Zunächst einmal wird mit Jens Bogren ein Produzent verpflichtet, der momentan so etwas wie der Top-Star der Szene zu sein scheint – die geradezu audiophilen Sounds bei den letzten Platten von Opeth, Haken oder Amorphis sprechen jedenfalls für sich. Doch lassen wir "The fall of hearts" beginnen. Nein. Über uns hereinbrechen. Uns erleuchten und verzaubern. Was bitte ist "Takeover" für ein Opener? Ein Ritt aus zutiefst bittersüßen Schwelgereien, progressiven Ausbrüchen, feingliedrigen Spielereien. Zu beschreiben höchstens als die Schnittmenge von Opeth in ihren melancholischsten Momenten, gepaart mit der Intensität von Tool. Ein Jonas Renkse, der so sehnsüchtig singt wie nie. Und mit Daniel Moilanen ein neuer Drummer, der eine fulminante Mischung aus wahnwitzigen Fills und solidem Fundament bildet. Unglaublich.

Was sich allerdings schon im folgenden "Serein" andeutet, wird mit zunehmender Spieldauer überdeutlich: Katatonia können wieder Härte. Insbesondere das Dreigestirn aus "Sanction", dem nur vordergründig schmeichelnden "Residual" und dem mit knüppelharten Riffs startenden "Serac" zeigt eine Bandbreite, wie sie schon lange nicht mehr im Sound der Schweden zu finden war. Immer und immer wieder tauchen Reminiszenzen an Opeth auf, ohne auch nur im Ansatz zu kopieren – genau diese proggigen Ausbrüche, wie sie seinerzeit Porcupine Tree perfektioniert haben, reißen aus der Melancholie, rütteln auf. Und stellen so ziemlich alles in den Schatten, was Renkse und Kollegen auf so manchen Veröffentlichungen der letzten Jahre zu liefern imstande waren.

Ob der Preis, den Katatonia für diesen Überschuss an Kreativität zu zahlen haben, nun wirklich einer ist, darf im Auge des Betrachters liegen. Denn was "The fall of hearts" fehlt, sind die ganz großen Hooks, die auf früheren Alben vertreten waren. Wenn man sich darauf einlässt und diese Platte auf exakt dem hochwertigen Equipment hört, wie es eine Bogren-Produktion nun einmal verdient, dann ist die Belohnung große Kunst. Will sagen: "The fall of hearts" will fordern. Und das ist richtig und gut so, obwohl (oder gerade weil?) Flüchtigkeitshörer dabei auf der Strecke bleiben dürften. Letztlich sind dies Kleinigkeiten. Wichtiger ist, dass es Jonas Renkse und Songwriter-Kollege Anders Nyström gelungen ist, aus der kreativen Sackgasse zu entkommen. Und mit der stärkeren Zuwendung zum Prog genau den richtigen Weg gehen, der – so fühlt es sich zumindest an – noch lange nicht zu Ende ist.

(Markus Bellmann)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Takeover
  • Serein
  • Residual
  • Serac

Tracklist

  1. Takeover
  2. Serein
  3. Old heart falls
  4. Decima
  5. Sanction
  6. Residual
  7. Serac
  8. Last song before the fade
  9. Shifts
  10. The night subscriber
  11. Pale flag
  12. Passer
Gesamtspielzeit: 67:34 min

Im Forum kommentieren

nagolny

2023-03-11 14:06:07

Live habe ich sie nicht gesehen, aber den Livemitschnitt "Sanctitude" kann ich empfehlen. Da sind auch nur ältere Stücke drauf als auf "The Fall of Hearts".

boneless

2023-03-11 11:33:11

Ich hab mir, um sicher zu gehen, nochmal ein paar Songs angehört und ja, es mag sein, dass dieses Album facettenreich ist, aber es hat nichts zu bieten, was es so auf den Vorgängern nicht auch schon (besser) gab. Was mich vor allem stört, ist diese Plätscherstimmung, die in vielen Stücken vorherrscht, egal ob seichter oder härter rockend. Die Refrains haben auch keinerlei Gänsehaut-Faktor bzw. irgendwas markantes. Ich fühle mich da bei The Great Cold Distance oder Night Is The New Day einfach besser aufgehoben, weil mich das emotional mehr abholt. Ich hoffe, das war jetzt halbwegs verständlich, ich kann es tatsächlich eher schwer in Worte fassen, was mich an Fall of Hearts zentral stört. ;)

Abgesehen davon waren Katatonia live übrigens so gar nicht das, was ich mir erhofft hatte. Hab sie 2012 mit Alcest gesehen und war regelrecht "erschüttert", was für Poser das auf der Bühne sind. Das passte so gar nicht zur Melancholie, welche diese Band eigentlich lebt. Zumindest auf Platte.

Das klingt jetzt alles so unglaublich negativ, dabei liebe ich diese Band doch. Wirklich!

nagolny

2023-03-10 23:49:08

Tja, ich fand die Band nach "Brave Murder Day" oft zu samey auf Albumlänge, und manche Songs leben echt nur von einem, zwei oder drei Riffs, sind zu Refrain lästig oder sonstwie monoton. Bei "The Fall of Hearts" wurde es dann richtig progressiv, die Gesangslinien und Melodien sind ausgefeilter, hintergründig wird auch viel mehr Atmosphäre erzeugt.

Wer bei anderen Bands auf ausgefeilteres Songwriting steht, nennt oft "Dance Of December Souls" oder "Dead End Kings", ist mir in solchen Diskussionen aufgefallen.

Für mich hat "The Fall of Hearts", auch wenn es eher getragen ist, zum einen die meisten schönen Stücke, zum anderen ist der Verlauf über die volle Albumlänge hinweg enorm facettenreich. Das macht es zum rundesten Album ihrer Karriere aus meiner Sicht.

"City Burials", obschon wieder etwas geradliniger, finde ich auch recht gelungen.

Äh, jetzt habe ich mich doch wieder off-topic derailen lassen. Wie erwähnt: Es gibt einen allgemeinen Katatonia-Thread für die Gesamtbetrschtung der Bandkarriere.

Um nochmal aufs eigentliche Thema "The Fall of Hearts" zurück zu kommen: Was genau langweilt dich denn daran? Die stilistische Vielfalt ja wohl kaum...

boneless

2023-03-10 23:38:40

Uh, ganz dünnes Eis. Ich finde Katatonia bis einschließlich Night Is The New Day göttlich, Dead End Kings hatte noch eine Handvoll guter Songs, aber The Fall of Hearts war für mich eine mittlere Katastrophe, sprich: so langweilig, dass es schmerzte. Da erkannte ich die Band in puncto Songwriting kaum wieder. Wenn das Album schon eine 10/10 für dich ist, müsste ein Meisterwerk wie The Great Cold Distance ja mindestens 15/10 bekommen. ;D

nagolny

2023-03-10 23:27:02

Ich hatte gelesen, die sei sperriger. Würde aber eher in den eigenen Thread dazu passen. Oder in den allgemeinen Katatonia-Thread.

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