
Steven Wilson - 4 1/2
Kscope / EdelVÖ: 22.01.2016
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Nein, es ist wahrlich nicht von überzogenem Nachrichtenwert, wenn Steven Wilson als "veröffentlichungsfreudig" bezeichnet wird. Denn bereits zu Zeiten von Porcupine Tree nutzte der Brite jede erdenkliche Lücke im Terminkalender, um entweder Klassiker-Alben zu remixen oder mit EPs mehr oder weniger obskurer Nebenprojekte zu glänzen. Insofern dürfte klar sein, dass der Veröffentlichungs-Rhythmus von zwei Jahren, den er seinen Solo-Alben bis dato verordnete, fröhlich durch diverse "Interim Releases", wie er es zu nennen pflegt, aufgelockert wird. Das Material? Outtakes. Oder was Wilson so als Outtakes bezeichnen mag. Denn seien wir ehrlich: So manche Band würde liebend gerne durch Wilsons Studio-Reißwolf wühlen – mit dem Hintergedanken, dass solche Schnipsel möglicherweise immer noch kreativer seien als eigene ausproduzierte Ergüsse.
Doch auch so ein hochkreativer Künstler wie Steven Wilson sollte – nicht zuletzt, um dem eigenen Anspruch gerecht zu werden – nicht ausschließlich Fingerübungen auf eine solche Sammlung wie das sinnigerweise "4 1/2" betitelte Album pressen lassen. Und so taucht nach kurzer Eingewöhnungszeit beim Opener "My book of regrets" nur ein Gedanke auf: Was hat dieser Mann bitte für Ansprüche, wenn dieses Werk ein Outtake ist? Oder auch: Wie kann man so etwas nebenher schreiben, wenn es schon nicht in den Kontext der großartigen Alben "The raven that refused to sing" und "Hand. Cannot. Erase." passt, aus deren Sessions nahezu alle Tracks stammen? Wenn es ein einziges Beispiel brauchte, warum diese Platte eben keine Abzocke ist, sondern wahre Kleinode beherbergt, dann dieses knapp zehn Minuten lange Epos. Wie gesagt, offiziell ein Outtake...
Die Antwort gibt der Mittelteil der Platte. Denn das bittersüße "Happiness III", flankiert von zwei komplett diametral angelegten Instrumentals, wirkt tatsächlich – nun ja, geerdet. Kann nicht die übliche Brillanz, nicht das sternengleiche Niveau vorweisen, das man sonst von diesem Ausnahmekönner gewohnt ist. Übersetzt in irdische Verhältnisse bedeutet dies, dass dieses Dreierpaket "nur" gut ist. Doch kaum verkündet der Fanboy die erste Enttäuschung und der Skeptiker das erste höhnische Ichhabsjaschonimmergewusst, hat Nick Beggs, in Wilsons Tourtross ein Virtuose an allem, was nur entfernt nach Bass aussieht, seinen Auftritt. Und verpasst dem zunächst jazzig startenden "Vermillioncore" einen barbarischen Punch, bei dem kein Auge trocken bleibt.
Die Tragikomödie an "4 1/2" allerdings ist, dass der beste Song nicht aus Wilsons Solo-Zeiten stammt. Denn mit dem abschließenden "Don't hate me" spielt Wilson eine Ballade von Porcupine Tree neu ein, die schon 1999 auf dem sehr feinen "Stupid dream" zu den unbestrittenen Highlights zählte. Hier wird der Gänsehaut in Massen produzierende Refrain wie schon auf der letzten Tour von der israelischen Sängerin Ninet Tayeb eingesungen und zu einer Demonstration darüber, wie zeitlos Wilson bereits vor 17 Jahren zu komponieren imstande war. "Zeitlos" ist auch die passende Vokabel für "4 1/2". Es gibt wohl wenige Künstler, die eine Sammlung von Überbleibseln vergangener Albumproduktionen zu einer solch hochklassigen Sammlung verarbeiten können. Und auch wenn einige Songs dieses Mal eher ungeschliffen daherkommen und dadurch von der sonst üblichen Wucht verlieren, ginge diese Platte bei jeder Menge Genre-Kollegen immer noch als Traumergebnis durch.
Highlights & Tracklist
Highlights
- My book of regrets
- Vermillioncore
- Don't hate me
Tracklist
- My book of regrets
- Year of the plague
- Happiness III
- Sunday rain sets in
- Vermillioncore
- Don't hate me
Im Forum kommentieren
BVBe
2016-02-03 13:14:15
Was für Schwafelköppe! Manche Journalisten leben echt in einem Paralleluniversum - zumindest sprachlich!
nörtz
2016-01-25 12:34:40
Ich hoffe doch, dass er sich beim nächsten Album mal wieder etwas Neues einfallen lässt. Das waren jetzt zwei tolle RetroProg/New ArtRock-Scheiben, jedoch fände ich es schade, wenn er diese Schiene noch einmal fahren würde.
Clint
2016-01-25 11:56:16
an Machix:
Ich war auch in Leipzig. Ich vermute, eine spontane Einlage in Hinblick auf "The Raven" ist schlichtweg gar nicht so einfach möglich da das ganze Konzert durchgeplant ist von Beginn an. Werweiß ob die Gastmusiker den Song überhaupt drauf haben :D
6/10
2016-01-22 14:58:14
Män hätte sich auch mal trauen und nur eine ehrlichere 6/10 geben können. Als wäre das hier ein ohne Abstriche "sehr gutes" Album... Vieles hier plätschert doch arg unauffällig vor sich hin. Außer den aber auch nur okayen Refrains bleibt nicht viel hängen. "Don't hate me" wurde eher verschlimmbessert.
Für Komplettisten ok.
nörtz
2016-01-22 02:20:22
Ich war vorhin in Hannover und das war schon echt eine Wucht. Der Sound war richtig gut; man konnte alle Instrumente klar heraushören. Das habe ich schon ganz anders erlebt. Unter anderem spielte er Lazarus und Space Oddity - Bowie gewidmet. Als störend empfand ich nur das Sitzen. Ich habe keine Lust darauf, dass links und rechts von mir irgendwelche anderen Leute sitzen - Bewegungsradius praktisch Null und wenn es auf der Bühne ordentlich zur Sache geht, sind die Möglichkeiten, Emotionen herauszulassen, doch arg begrenzt.^^
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