Georg Zimmermann - Von Männern und Menschen

Supermusic / Al!ve
VÖ: 20.11.2015
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Das Loch gelassen

"Der letzte Held der Welt tippte sich die Finger wund" – wen Georg Zimmermann wohl mit diesem Satz meint? Die fleißigen Mitarbeiter von Plattentests.de? Oder sich selbst, nachdem er vor rund vier Jahren so frenetisch auf der "Schreibmaschine" herumhämmerte, bis das vorsintflutliche Textverarbeitungsgerät ganz mitgenommen ausgesehen haben muss vor lauter Protest- und Grotesksongs? Es mag so oder so sein – jedenfalls bleibt der Düsseldorfer auch auf Album Nummer zwei seinen bevorzugten Themen treu. Alltagsbeobachtungen in mutwilliger Deformation, Eindrücke aus dem dunklen Altstadtherbst der Seele, die skurrilen Auswüchse von Paarungsritualen am Wochenende – mehr als genug Stoff für zwölf Mal Singer-Songwriter zwischen elektrifiziert und akustisch, spitzfindig und gekippt.

Und zusammen mit La-Düsseldorf-Veteran Hans Lampe am Mischpult zeigt sich Zimmermann musikalisch noch etwas vielseitiger informiert als auf seinem Debüt. "Der Dandy und die Göre" reißt gleich zu Anfang die Leadgitarre ebenso unerbittlich auf wie der vampirische Schmalspur-Casanova sein williges Opfer, bevor das sich psychedelisch windende "Durch Laken wühlen (Ich bin so müde)" die Glupscher nur mit Mühe auseinanderbekommt und kleinen Orgel-Glühwürmchen umschwirrt das desolate Gefühl von The Velvet Undergrounds "Venus in furs" rekapituliert. Schlaue Selbstreflexion und zwischenmenschliche Schräglage treffen aufeinander, Zimmermann lamentiert: "Ein Mann kann sich nur schweigend auf seinen Depressionen ausruhen" – und rappelt sich wenig später für einen bassig rumpelnden Shuffle mit Singalong-Refrain wieder auf. Geht doch.

"Von Männern und Menschen" lebt dabei sowohl von existenziellen Fragen wie "Was macht Dich an, was macht Dich aus" als auch von listigen Seitenhieben auf die digitale Gesellschaft, wie sie der Rheinländer im aufgekratzten Indie-Rocker "Der Mensch verdoppelt seinen Wert, wenn er medial verkehrt" zu aggressiven Stromgitarren-Schocks verteilt. Nicht der einzige offensichtliche Hit: Das federnde "Von Löchern und Menschen" konstatiert schulterzuckend "Im Loch, das man auch meine Wohnung nennt / Hab ich ein Loch ins Bett gepennt" und füllt die drohende Leere mit vollmundigen Doo-Wah-Chören auf, "Möbeltetris" zischt noch eine Spur rasanter ab und entrümpelt neben dem Gefühlshaushalt auch die Wohnung. Der "Teufel Miete Strom & Gas" vom Vorgänger wird schon dafür sorgen, dass man die Kaution nicht wiederbekommt.

Und falls doch, reicht sie wahrscheinlich gerade einmal für die vereinzelt anfallenden Begräbniskosten aus. Bei der widerspenstig-verbreakten Mörderballade "Happy End für Rocky R." wird nämlich genauso gestorben wie in "Der letzte Held der Welt", einer präzise gespielten Folk-Moritat, die von Daseinszweifeln geplagt am Zinksarg steht, während die Einschläge allmählich näher kommen. Doch auch in diesen düsteren Momenten erweist sich Zimmermann als scharfsinniger Zeitgenosse, der Zivilisationskrankheiten in gleichem Maße diagnostiziert, wie er an ihnen leidet und Melancholie und Liebeskummer mit bizarrem Humor und hoher Wortspieldichte in akzentuierte Bahnen lenkt. Ein Album, bei dem sich auch der Rezensent gern die Finger wundtippt – und hinterher weiß, wo der Zimmermann das Loch gelassen hat.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Der Dandy und die Göre
  • Durch Laken wühlen (Ich bin so müde)
  • Von Löchern und Menschen
  • Der Mensch verdoppelt seinen Wert, wenn er medial verkehrt

Tracklist

  1. Der Dandy und die Göre
  2. Melancholia
  3. Durch Laken wühlen (Ich bin so müde)
  4. Was macht Dich an, was macht Dich aus
  5. Happy End für Rocky R.
  6. Sie ist nicht hier
  7. Von Löchern und Menschen
  8. Der Mensch verdoppelt seinen Wert, wenn er medial verkehrt
  9. Der letzte Held der Welt
  10. Amerika (Uncle Tom und Uncle Sam)
  11. Möbeltetris
  12. Haut aus Gold (Wir sind so müde)
Gesamtspielzeit: 46:37 min

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Armin

2015-12-10 21:22:41

Frisch rezensiert!

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