Radare - Im Argen

Golden Antenna / Broken Silence
VÖ: 25.09.2015
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Klarinette, verdammt!

Die beinahe obligatorische Auseinandersetzung mit den Berührungspunkten zwischen Radare und Bohren & Der Club Of Gore gleich vorweg: Gewisse Ähnlichkeiten finden sich bei Fabian Bremers Rhodes-Piano, welches im Opener und im Closer von "Im Argen" den grambesetzten Stimmungen von Mülheim's finest nachspürt. Stellenweise ist auf dem Drittwerk des Leipzig/Wiesbadener Quartetts eine Orgel präsent, die sich auch in Bohrens "Dolores" eingeprägt hat. Unterschiede gefällig? Was Radare-Schlagzeuger Henrik Eichmann in "The queue" an Schlagintensität, -häufigkeit und -variation taktgebietend vom Stapel lässt, hat nichts gemein mit den Slowness-Exerzitien eines Thorsten Benning, sondern viel eher mit Earths Zurück-zur-Bissigkeit-Attitüde von "Primitive and deadly". Der zwanzig Jahre andauernden Gitarrenaskese hat die personifizierte Langsamkeit Bohren mit dem Opener "Im Rauch" von "Piano nights" zwar abgeschworen. Einen stilistisch so nachhaltigen Einfluss des Instruments wie bei Radare, die nur in "Burroughs" auf den Sechssaiter verzichten, ist im Bohren-Universum allerdings mittlerweile undenkbar. Auf "Im Argen" ist die Gitarre strukturgebendes Werkzeug in der melodischen Entwicklung von jedem der restlichen vier Stücke.

Die Wahl der Blasinstrumente ist schließlich die endgültige Begründung, die die 2008 gegründete Band von Bohren & Der Club Of Gore abgrenzt: Matthias Jurischs Posaune erweckt mit flächigen Vibrationen doomige Schauergeschichten zum Leben, dass es The Kilimanjaro Darkjazz Ensemble sicherlich ein selbstbewusstes Lächeln entlockt hätte, wenn sie "The queue" komponiert hätten. Eichmanns Klarinette hingegen verschränkt sich behände in den Gesamtsound. "Im Argen" fängt andere Atmosphären ein, interessiert sich nicht für Homogenität. Jedes der komplett gesangsfreien Stücke ist von hohem Wiedererkennungswert und lehnt sich auf gegen die formalistische Kongruenz von Bohren & Der Club Of Gore.

Eine dezente Dynamik liegt jedem einzelnen Stück zugrunde, häufig nur durch minimale Akzente, die unerwartet in die zahlreichen Leerstellen eingepflegt werden. In "Please let me come into the storm / Luke" ist es ein plötzliches, verzerrtes Paar Gitarrenakkorde, die nach achteinhalb Minuten zu einem aufregenden Impuls ansetzen. "The queue" lässt sogar Raum für ein angenehmes Postrock-Motiv. Der in diesem Genre fast zwingende eruptive Ausbruch bleibt aus, jegliche Andeutung verläuft im Sande. "Burroughs" nimmt erst mit dem Auftritt des Rhodes-Pianos Fahrt auf. Trotz seiner fahrigen Langsamkeit und Monotonie reißt es das Treiben an sich, bei jedem zweiten Anschlag vom Bass begleitet. Was "Im Argen" außergewöhnlich macht, sind die Aussparungen, der raumschaffende, nicht gespielte Ton, getreu dem Motto: Die Lücke, die er hinterlässt, ersetzt ihn völlig.

Allein "Damsel in distress" paukt sich entschlossen einer Explosion entgegen. Die Orgel kann zunächst noch besänftigend einwirken. Selbst kurz vor dem Gipfel der Lautstärke nimmt sie mit einem stehenden Sirren das Tempo heraus. Im Finale erlebt man dieses an sich gigantische Instrument nur noch als flüchtigen Sturm im Wasserglas, denn den kaskadenartig sich entladenden Drums ist sie nicht mehr gewachsen. Und das ist auch nur würdig und recht, um eine solch anmutige, fein ausbalancierte Platte wie "Im Argen" ausklingen zu lassen.

(Henrik Beeke)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • The queue
  • Damsel in distress

Tracklist

  1. Please let me come into the storm / Luke
  2. Das einsame Grab des Detlef Sammer
  3. Burroughs
  4. The queue
  5. Damsel in distress
Gesamtspielzeit: 35:16 min

Im Forum kommentieren

derp

2015-10-30 00:05:00

Hab Radare neulich als Vorband von God is an Astronaut gesehen. Das klang live deutlich anders bzw. post-rockiger als jetzt auf der Platte. Gefällt mir aber ausgesprochen gut, also live und die Platte.

The MACHINA of God

2015-10-29 23:17:42

Werd ich mir auch mal anhören. KLingt gut. Und welch geiles Cover.

ummagumma

2015-10-29 21:48:24

In der Tat ein sehr spannendes Album mit für einen Bohren-Hörer durchaus ungeahnten Wendungen. Die Orgel kommt da echt gut und untermauert diese zwar nicht durchgehend dichte und packende, aber insgesamt schöne,chillige und zwar auch dunkle aber nicht zu düstere Atmosphäre.
Das hab ich bei Bohren schon beklemmender und unbehaglicher erlebt.Was durchaus auch als Kompliment verstanden werden kann,das ist halt ne Stimmungsfrage.
Ich denke also schon, dass neben den in der Rezi genannten Unterschieden durchaus auch eine andere Stimmung transportiert wird.

Please let me come in/Luke ist klasse,die Gitarre kommt geil am Ende.Mein Highlight denke ich.
Starker Schluss bei Burroughs.The Queue als 2.Highlight gut gewählt.Damsel in Distress ist fast schon zu laut und gefällt mir auf Anhieb nicht so ganz.

Werd ich mir sicherlich nochmal mit noch mehr Ruhe zu noch späterer Stunde am Wochenende und ner Flasche Rotwein geben und reifen lassen

Armin

2015-10-28 21:20:25

Frisch rezensiert!

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  • Radare (4 Beiträge / Letzter am 08.09.2011 - 10:59 Uhr)