Shantel - Viva diaspora

Essay / Indigo
VÖ: 11.09.2015
Unsere Bewertung: 4/10
4/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Gut gemeint

Diese vielen verflixten Vereinfachungen. Im Überlebenskampf nach Deutschland Flüchtende werden gleichgesetzt mit denen, die der ungerechten "Lotterie des Lebens" (John Rawls) entkommen wollen, sich ein Dasein im Wohlstand wünschen, und wieder anderen, die ausnutzen, was ein Land zu bieten hat. Gewalttätige Dummbatzen protestieren dann auf den rechten Gehwegen. Denen geht es dann gar nicht um Diskussionen einer Flüchtlingspolitik, die Frage, was ein Staat tragen kann und wie er der Situation entgegentritt. Der Mensch ist das simplifizierende soziale Tier; kurz: Das Fremde soll bloß fort bleiben. Meinen manche.

Zumindest das Motiv des inthronisierten "König des Balkan-Pop" ist daher ehrbar: Stefan Hantel aka Shantel bemüht sich, den Westohren byzantinische oder balkanische Klänge beizubringen. Das ist auch ein tolles aufklärerisches Rollenselbstverständnis, wenn bei Shantel weder Musiken noch Menschen in einen Topf geschmissen werden. Darum trommelt er mal mit Gypsy-Musikanten auf "Disko partiziani" zusammen, ein andermal orientiert er sich an türkischen Popmotiven in "Planet paprika" oder baut jiddische Klezmer und osteuropäische Bläser ein. Dazu gemischt werden elektronische Beats, denn für Shantel ist die Hauptsache, dass das, was er macht, "einheizt". Ein Überbleibsel dieser entnervenden Denkart ist auf "Viva diaspora" etwa "Disko devil": Der 1976er Reggae "Chase the devil" von Max Romeo And The Upsetters wird mit Tanzschuppentauglichem und stumpfen "Disko disko devil"-Schreiereien verhunzt. Auch an anderen Stellen ist "Viva diaspora" rhythmisch treibende Tanzmusik oder elektronisch angehauchter Swing ("Promised land"). Eine Exkursion, die durch zu viel Scha-la-la vergällt wird. "Rio-bucovina dub" könnte ohne diesen fingerschnippenden Dub, allein der Bläser wegen, ein schöner Song sein. Könnte.

Ein anderer, interessanter Rest ist neu. Die Sängerin Areti Ketime wurde aufgesucht, die einen griechischen Blues liefern sollte, der in "Hey girl" nicht schwermütig, sondern federleicht beschwichtigt geraten ist. Weil Shantel eben ein Popalbum wollte, eines, das ohne die orientalischen Einflüsse noch schwächer ist. Unnötige Crossovers sind in "Exarchia radiate" vorhanden mit überflüssigem Sirenengeheule zu Trip-Hop-Schnickschnack und einer rappenden Ketime. Einzig "Eastwest-dysi ki anatoli" kann vertrösten, mit seinem unnachgiebigem Raum für Osteuropa-Töne. Shantels Parole an Ab- und Ausgegrenzte, sich ihrer Ethnosprache und Religion nicht berauben zu lassen, die Assimilation quasi tänzerisch im Sirtaki zu bekämpfen, ist nett und gut gemeint. Nur karikiert er das, worauf er hinausmöchte, durch einen musikalischen Übersetzungsfehler. Das ist aber noch lange kein Grund, irgendwo zu protestieren.

(Maximilian Ginter)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Eastwest-dysi ki anatoli

Tracklist

  1. Intro - uncertain future
  2. Eastwest-dysi ki anatoli
  3. Hey girl
  4. Promised land
  5. Disko devil
  6. Rio-bucovina dub
  7. Nikolaki mou amanes
  8. The streets where the kids have fun
  9. Oriental cha cha
  10. The whip
  11. Acid greeks
  12. Today is life, tomorrow never comes
  13. Rio
  14. Alright savica
  15. Viva diaspora
  16. Exarchia radiate
  17. Natural beat
Gesamtspielzeit: 58:45 min

Im Forum kommentieren

Peterfri

2015-11-27 17:25:14

und du meinst wirklich, dass auf "Exarchia radiate" Areti Ketime rappt?
Mir gefällt die Platte nach mehrmaligen Hören sehr gut.
Grüße
Peter

Armin

2015-09-30 21:44:49

Frisch rezensiert auf Plattentests.de!

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