Youth Lagoon - Savage hills ballroom
Fat Possum / [PIAS] Cooperative / Rough TradeVÖ: 25.09.2015
Junge, geh nie wieder
Akt I: "Remember when no one danced the same."
Da ist er wieder, dieser Musiker mit dem gar kraftvollen Namen, der sich selbst lieber Youth Lagoon nennt. Längst ist Trevor Powers erwachsen geworden, aus dem Jungen aus Boise in Idaho wurde ein Mann, der die Welt gesehen hat: Vier Jahre sind vergangen, seit er 2011 sein Debütalbum "The year of hibernation" veröffentlichte. Acht kleine Pop-Perlen, die die Geschichte der Musik nicht umgeschrieben, aber doch ordentlich Herzschlag und feuchte Augen bei der Hörerschaft hinterlassen haben, als sie zu Stücken wie "Afternoon" oder "Montana" fleißig bunte Bildchen ins persönliche Erinnerungsbuch malte. Mit dem zwei Jahre später erschienenen "Wondrous bughouse" festigte Powers seinen Ruf als experimenteller Tausendsassa, dessen synthiegeladene Melodien gekonnt zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu wechseln schienen und zu denen man sowohl gemeinsam tanzen wie einsam heulen konnte. Nur Powers machte den Eindruck, als wäre er am liebsten immer allein.
Akt II: "We all had a voice."
Ob es Absicht oder Zufall ist, dass er doch stets wie eine Art Einsiedlerkrebs wirkt, ist nicht ganz klar. Dass man ihm am liebsten den Lockenkopf durchwuscheln und in die Wangen kneifen möchte, bis sie rot werden, ist vielleicht das Heintje-Syndrom, unter dem schon die Großeltern litten. Man fühlt eben mit dem Jungen, pardon – mit dem Mann. Das wird auch trotz "Savage hills ballroom" nicht anders laufen, dem dritten Streich von Youth Lagoon. Die Geschichte dahinter ist zudem eine traurige: Powers war auf Tour für sein zweites Album, als er im Sommer 2013 in London einen Anruf erhielt und über den Tod eines Freundes informiert wurde, der im heimischen Idaho ertrunken war. Und wie so oft änderte diese persönliche Tragödie den weiteren Weg eines Menschen: "Savage hills ballroom" ist das persönlichste Werk von Powers, da dieser hier zum ersten Mal einen höheren Sinn in seinem eigenen Schaffen sah. Er nutzte seine Stimme und die Musik, um seine Trauer zu bewältigen, die Stücke scheinen beinahe menschliche Geschichten zu sein statt solche federleichten Märchen, wie es sie noch auf dem Debüt gab.
Akt III: "We all had a name."
Dass dieses Menschlichsein stellenweise tonnenschwer wiegt, ist sogar von Vorteil: Die erste Single "The knower" ist nur auf den ersten Blick so hauchzart, wie der engelsgleiche Gesang zu Beginn glauben lässt. Schon bald steigen ein sanftes Piano auf der einen und eine nervenaufreibende Drum-Machine auf der anderen Seite in den Ring, um den Kampf zwischen Gut und Böse unter sich auszutragen. Am Ende gewinnt die kräftige Bläsersektion – und die Erkenntnis, dass der Erzähler, der alles und jeden um sich herum wegstößt, um sich zu schützen, Powers selbst ist. Sein Produzent Ali Chant dürfte bei diesem Selbstfindungstrip womöglich die Karte gehalten haben: Der arbeitete in der Vergangenheit unter anderem auch schon mit Nick Talbot alias Gravenhurst zusammen, der im Dezember 2014 im Alter von 37 Jahren und damit freilich viel zu früh verstarb. Außerdem saß Chant auch bei "Too bright" von Perfume Genius hinter den Reglern – und damit bei einem anderen Drittlingswerk, das sich von seinen beiden Vorgängern abhob.
Akt IV: "We're gold that's as bright as hell's own flame."
Verständlich also, dass Powers mit der emotionalen Last, die er während der Aufnahmen im englischen Bristol auf seinen Schultern verspürte, hier und da in tiefe Abgründe schaut: Das sphärische "Rotten human" sieht für die Zukunft der Menschheit schwarz, da hilft auch die verspielte Melodie nicht mehr weiter: Wir alle werden an den Tabletten sterben, die wir für jedes kleine Wehwehchen schlucken, an dem Dreck, den wir als Luxus ansehen und unseren Körpern selbstverständlich zufügen, an dem Mangel an Empathie füreinander – das könnte nicht nur aufgrund der aktuellen politischen Lage bald bittere Realität werden. So auch das Szenario hinter dem ersten großen Album-Highlight "Highway patrol stun gun", das die vielen Berichte über Polizei-Brutalität in den USA mit einem biblisch-dystopischen Endzeit-Filter überzieht und dessen lyrische Thematik in geradezu extremsten Kontrast zur durchaus poppig-fröhlichen Melodie steht.
Akt V: "Forgive me, for I have lost my way."
Ähnlich ist es auch mit "Kerry": Wieder ist da dieser hohe, klare Gesang, das astreine Klavier im Hintergrund, die im Refrain deutlich zu spürende Euphorie – dabei geht es um Powers' geliebten Onkel, dessen Drogensucht ihn von einem Schlamassel in den nächsten reitet und der aufgrund ebendieser stets die Hand des Gesetzes im Nacken hat. Eine kleine Verschnaufpause von der Emotions-Achterbahn bekommen Onkel Kerry und der Hörer im wunderbar seligen Instrumentalstück "Doll's estate", bevor es mit dem kratzbürstigen "Again" auf Umwegen in die Kirche geht. Absolution ist hier nicht mehr möglich, ein kleines Gebet aber dennoch ratsam: beten für weniger Hektik, für mehr Wärme, für weniger Ellenbogen in den Rippen, für mehr Herz im Brustkorb. Und für mehr Ruhe, innere wie äußere. Am Ende verschafft Trevor Powers sich diese einfach selbst: Das Finalstück "X-ray" ist das zweite ohne Gesang. Zu sagen, dass er "fehlt", wäre hier das falsche Wort, dafür wirkt alles zu vollständig und in sich geschlossen. Powers mag mittlerweile längst ein Mann sein, der mit sich selbst im Einklang ist. Den aufgewühlten Jungen in sich hat er zum Glück aber nicht vergessen.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Highway patrol stun gun
- Rotten human
- Kerry
- Again
Tracklist
- Officer telephone
- Highway patrol stun gun
- The knower
- No one can tell
- Doll's estate
- Rotten human
- Kerry
- Again
- Free me
- X-ray
Im Forum kommentieren
saihttam
2016-02-02 01:35:34
Ich bin eher gespannt, wie sein neues Projekt so wird, als dem alten übermäßig hinterherzutrauern. Gute Musik wird er bestimmt trotzdem wieder machen.
Jennifer
2016-02-01 20:22:30
"this is far from the end of my undertakings / it is the beginning", das stimmt mich auch hoffnungsvoll.
Herder
2016-02-01 19:37:31
Schade drum, wobei es wahrscheinlich v.a. bedeuten wird, dass Powers unter einem anderen Namen etwas anderes machen wird. Youth Lagoon hat er eben zu Ende erzählt.
Gordon Fraser
2016-02-01 19:31:05
Split
http://pitchfork.com/news/63271-youth-lagoon-calls-it-quits/
Kommt doch etwas überraschend, oder?
yadias
2015-10-16 11:08:44
Das Konzert in Berlin war echt gut, leider recht kurz (nur knapp über eine Stunde). Vom Sound her aber klasse, gerade die Drums hatten ordentlich Pfeffer.
Klamottenmäßig war das aber von Trevor Powers echt ein Griff ins Klo bzw. ins Hipsterregal (weiße Tennissocken bis zum Anschlag, keine Hose dafür nen Morgenmantel).
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