The Libertines - Anthems for doomed youth

Virgin / Universal
VÖ: 11.09.2015
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Lads again

Im September 2015 ist es gerade mal ein paar Monate her, seit tausende Konzertkartenbesitzer für die 2014er-Babyshambles-Europatour wochenlang Fingernägel kauten und bangten. Hätte ihnen damals jemand ein großes Gänseblümchen in die Hand gedrückt – man hätte förmlich dabei zusehen können, wie manche die Blüte ratzfatz leer rupften: "Er wird erscheinen!" – "Er wird nicht erscheinen..." – "Er wird erscheinen! (...)" Doch tatsächlich, der sagenumwobene Pete Doherty, einst abgewrackter Titelheld vor allem auf denjenigen Gazetten, die sich nicht mit Musik beschäftigen – er erschien. Meistens pünktlich und dazu noch bester Laune. Heute weiß man: Bereits die dritte, ganz starke Babyshambles-Platte "Sequel to the prequel" war für Doherty ein Meilenstein zur persönlichen Wiedereingliederung in ein halbwegs geregeltes Rockstarleben. Längst liebäugelte er, womöglich in Gedankenübertragung mit seinem früheren Buddy Carl Barât, nach dem Bühnen-Comeback im Sommer 2010 auch mit der Studio-Rückkehr der gerade auf der Insel vergötterten und schmerzlich vermissten The Libertines.

Ist dieses Comeback also gar nicht so sensationell, wie es scheint? Nun, erst einmal schon. Immerhin 60.000 Menschen feierten 2014 im Londoner Hyde-Park frenetisch die Wiederauferstehung ihrer Heroen. Müßig zu erwähnen, dass die Veranstalter das Dreifache an Tickets hätten verkaufen können. Verglichen mit dieser Party ist "Anthems for doomed youth", das erste Album des Vierers seit elf Jahren, zunächst einmal fast unspektakulär. Denn – bei aller Freude über neues Material – kaum jemand rechnete mit sensationellen klanglichen Wendungen oder ungeahnten musikalischen Purzelbäumen. Macht aber auch nichts. Denn das schnodderige, melodieverliebte Gitarrenspiel, das dem Hörer gleich mit dem launigen "Barbarians" die vertraute Hand entgegenstreckt, ist eine feine Grundlage, um sich aufs Neue mit dieser Band zu arrangieren. Denn da lauern sie auch anno 2015: rotzige, mit kleinen Bauchhaken und ohrwurmigen Harmonien bewaffnete Stücke zwischen Britpop und 70s-Punk wie die sich irgendwann hartnäckig in der Muschel festpappende Auskopplung "Gunga din" oder das flotte "Fury of Chon Buri", welches so manchem feucht-fröhlichen Erlebnis während der Aufnahmen Tribut zollt.

Zum Beweis, dass Doherty das für ihn unverkennbare, windschiefe und zugleich hymnische Songwriting weiterhin im Blut hat, brauchte es die Wiedergeburt der wohl jüngsten Legenden im UK-Rockzirkus nicht wirklich, und dennoch scheinen die Protagonisten John Hassall, Gary Powell, Barât und Doherty während des langen Aufenthalts in Thailand – dort entstand die Platte im Winter 2014/2015 – zur neuen Bandharmonie gefunden zu haben. Auch, weil Doherty vor Ort tatsächlich gelernt zu haben scheint, den Alltag ohne Drogen zu bestreiten. Ebenso inspiriert von den feucht-warmen Tagen und Nächten in Südostasien ist "Anthems for doomed youth" in weiten Teilen äußerst entspannt-sommerlich geraten, schreckt vor Reggae- und Ska-Elementen nicht zurück. Eingefleischte Fans werden sich auch an den Themen der Songs erfreuen, drehen sie sich doch häufig um die Vergangenheit der Band, um die musikalische Passion und um ihre Freundschaft an sich.

Doch man sollte ebenso anmerken, dass "Anthems for doomed youth" natürlich nicht so unberechenbar-euphorisch wie einst "Up the bracket" oder gar so ausgefeilt und verspielt wie "The Libertines" klingt. Songs wie das eingängige "Fame and fortune", das mit repititiver Gitarrenmelodie selbstironisch auf die Karriere blickt, und "The milkman's horse" sind vergleichsweise einfach gestrickt, während "Glasgow coma scale blues" beileibe kein schwacher Wurf ist, sich trotz des fein verschleppten Tempos jedoch nicht mit der Rafinesse eines "Can't stand me now" messen kann. Zeitweise machen es sich Barât und Co. eben etwas zu einfach, besitzen ihre neuen Songs kaum Wendungen, Haken, Überraschungen. Nicht nur bei "Belly of the beast", das sich nach vielversprechendem Beginn mit dem immergleichen Strophe-Refrain-Muster begnügt, wäre mehr drin gewesen. Das gilt ebenso für Jake Goslings zwar noch ausreichend kratzige, aber auch etwas stromlinienförmige Produktion.

Zum Glück aber gibt es sie dann doch noch, die Aha-Momente: Wunderbar reiben kann man sich am hymnischen "Heart of the matter", das im Refrain den Pogo-Punker gibt und Doherty auch stimmlich endlich einmal aus der Reserve lockt. Der nachdenkliche Titelsong samt Chören und dieser hartnäckigen "Life could be so handsome / Life could be so gay"-Hook, das sich aus der südost-asiatischen Hängematte langsam in die hymnische Ekstase schaukelnde "Iceman" oder das schöne, endlich aus der 2002er-Mottenkiste befreite "You're my Waterloo", das ähnlich wie der hübsche Abschluss "Dead for love" mit Pianoklängen verziert den großen Gefühlen huldigt. Es sind nicht nur diese Augenblicke dieser ziemlich feinen, aber nicht herausragenden Platte, die zeigen, dass The Libertines in diesen Tagen in sich selbst ruhen, das alles erst einmal genießen – und so Hoffnung machen, dass sie mit "Anthems for doomed youth" erst am Anfang einer neuen kreativen Zeitrechnung stehen.

(Eric Meyer)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Gunga din
  • Anthems for doomed youth
  • You're my Waterloo
  • Heart of the matter

Tracklist

  1. Barbarians
  2. Gunga din
  3. Fame and fortune
  4. Anthems for doomed youth
  5. You're my Waterloo
  6. Belly of the beast
  7. Iceman
  8. Heart of the matter
  9. Fury of Chon Buri
  10. The milkman's horse
  11. Glasgow coma scale blues
  12. Dead for love
Gesamtspielzeit: 45:27 min

Im Forum kommentieren

Z4

2022-11-21 23:50:22

Hab das Album lange unterschätzt, bzw ignoriert. Kann zum Teil locker mit den ersten beiden mithalten. Wahnsinnig starke Band, und Pete Doherty müsste längst einen Status wie Noel Gallagher oder Paul Weller oder so haben als Songwriter, was der seit 20 Jahren trotz schwerster gesundheitlicher Probleme raushaut ist unglaublich.

The Libertine

2022-11-07 14:05:45

Das Album bleibt hinter den ersten Alben zurück, aber es ist dennoch toll.

Barbarians 8/10
Gunga Din 9/10
Fame and Fortune 8/10
AFTDY 7/10
Waterloo 9/10
Belly of the 7/10
Iceman 7/10
Heart of the Matter 8/10
Fury of Chuburi 6/10
Milkman 7/10
Glasgow..... 6/10
Dead for Love 8/10

Bonustracks alle 7, auch wenn ich die Versionen der 11 Legs Demos insgesamt besser finde....

eine solide 7/10 unterm Strich.

Thanksalot

2021-03-29 18:58:18

Jup, hat mich leider auch nie abgeholt.
"Gunga "Din", "Fame And Fortune" und "Heart Of The Matter" sind ganz gut, von den Langsamen gefallen "You're My Waterloo" und "Iceman", aber ja, ansonsten brauche ich das Album nicht.

edegeiler

2021-03-28 22:33:50

Falls jemand eine Blaupause für ein unspiriertes Comeback Album braucht: There you go. Die Balladen sind aber schön.

The MACHINA of God

2020-11-18 13:46:14

Jede 8/10 auf PT liest sich wie eine 9/10. Deshalb ist für mich ne 8 trotzdem keine 9. :)

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