Chelsea Wolfe - Abyss

Sargent House / Cargo
VÖ: 07.08.2015
Unsere Bewertung: 9/10
9/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Ihr Herz so schwarz

"Abyss" ist Chelsea Wolfes Opus magnum. Und mit das Dunkelste, Traurigste, Schwerwiegendste und Verzweifeltste, was dieses Jahr zu bieten hat. Für Trent Reznor gab es in 1994 die Abwärtsspirale als Folge der Selbstzermarterung. Bei Wolfe ist es die von US-Schriftsteller David Foster Wallace einst definierte "üble Sache": "Als hättest Du ständig ein großes schwarzes bodenloses Loch vor Dir und unter Dir, ein pechschwarzes Loch, vielleicht mit einer Andeutung von Zähnen, und dann bist Du plötzlich Teil des Lochs, und Du fällst, obwohl Du bleibst, wo Du bist." "Abyss" als "Abgrund des Todes", wie auch die unnötige Erweiterung des gleichnamigen James-Cameron-Films im deutschen Titel lautet.

Alle Zutaten der bisherigen Wolfe-Alben sind parat. Das Narkotische ihres Erstlings "The grim and the glow" als leitmotivischer Überspann. Die geisterhafte Atmosphäre von "Apokalypsis" etwa im wabernden "Color of blood" mit seinem beachtlichen zeremonienartigen Schlagzeugspiel gen Ende. Die folkloristisch angehauchte Intimschau von "Unknown rooms: A collection of acoustic songs" heuer in "Crazy love" mit zwischen Betören und Unheil wechselnden Streichern. Was bei "Pain is beauty" stellenweise noch einer orientierungslosen Drama-Huldigung glich, was dort als selbsthumoriger Zweifel an einem "Gothic"- oder "Emo"-Label galt, ist verschwunden. "Abyss" verharmlost nicht, relativiert nicht, schert sich nicht um Vorurteile. Alles ist vorbei, ehe es begonnen hat. "Survive" verlangsamt hin zur klanglichen Kakophonie, bis wütender Lärm ins Garnichts begleitet.

John Congleton, diese Koryphäe, die sonst bei Swans, Sigur Rós, SUUNS oder St. Vincent produziert, hält sich ganz an Wolfes Mantra (das sie eigentlich vom Designer Yohji Yamamoto übernommen hat), dass Perfektion hässlich ist. Narben, Fehler, Deformation und Chaos – so ist das Menschentun, so ist damit auch alles Menschliche: Wenn "Dragged out" direkt Nine Inch Nails' "The downward spiral" mit dissonantem Background rezitiert, der wie eine bedrohliche Insektenplage wirkt. Wenn Wolfe in "Maw" zigmal "We love you" vor sich hin raunt, als müsse sie es nur häufig genug sagen, um es zu glauben und sich im letzten Moment vor einem Sprung in Todestiefen etwas zur Rettung einreden. Wenn "Iron moon" zwischen Flüsterballade und Doom-Gitarren versiegt, die Dunkelelfe dann wieder bekundet, dass alle (seine) Worte sie retten könnten, wäre nur an irgendeinem Ort Sicherheit gewährt. "Wäre" ist für Wolfe, anders als für viele andere, stets eine Form des Unmöglichen.

Dabei sieht sie eigentlich schon zu klischeehaft aus. Würde Dave LaChapelle eine Gothic-Prinzessin inszenieren, müsste er sich an ihrem wie Magnolienblüten weißen Teint richten, den kajaltrunkenen schwarz umrahmten Augen, die mehr lebensmüde als anderes dreinblicken. Und bei aller Begeisterung und Vereinnahmung, die hier offeriert werden, ist es eine voyeuristische Beklommenheit, die sich beim Hörer einnistet. Einer Fragilen bei der Selbstzerstörung lauschen, bei ihrem berauschenden Wandern ins Nirgends, wo sie unauffindbar verbleibt. In "After the fall" heißt es noch zu wunderschönen Synthesizerspuren: "I know that you'll find me there / After the fall", zuvor wird um "Mercy" gebeten. Erbarmen oder Verschonung? Spring nicht.

(Maximilian Ginter)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Iron moon
  • Crazy love
  • Simple death
  • Color of blood

Tracklist

  1. Carrion flowers
  2. Iron moon
  3. Dragged out
  4. Maw
  5. Grey days
  6. After the fall
  7. Crazy love
  8. Simple death
  9. Survive
  10. Color of blood
  11. The abyss
Gesamtspielzeit: 55:17 min

Im Forum kommentieren

Die Perücke von Robert Plant

2017-10-06 07:33:23

Wie wird Hiss Spun nur im Langzeitvergleich mit Hiss Spun abschneiden? Es ist mir zwar egal, stelle diese Frage aber dennoch in den Raum!

Die Perücke von Robert Plant

2017-10-06 01:36:13

Ich frage mich wirklich, wie es im Langzeitvergleich zu Hiss Spun sein wird. Obwohl es darum natürlich letztlich nicht geht. Es sind beides Meisterwerke, das steht jetzt schon fest.

Der Wolf von Chelsea

2017-10-05 23:01:20

schön gruselig

Der Untergeher

2016-06-08 11:32:49

Das Album hat mich momentan wieder vollkommen in seinem Besitz. Unfassbar düsteres wie eigenes Meisterwerk; steht ganz alleine auf weiter Flur, und ich sehe nicht, dass sich das in näherer Zukunft ändern könnte.

Charlotte

2016-05-12 13:36:20

Danke für die Tipps!

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