Levin Goes Lightly - Neo romantic

Treibender Teppich
VÖ: 28.04.2015
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Neues vom Nordbahnhof

"Herr Stadler, können Sie mich hören? Welches Jahr haben wir denn, Herr Stadler?" Aus der unausgeleuchteten Ecke des Therapiezimmers setzt die Farfisa ein. "1999. Nein, 2001. 1914 oder 45? Weiß nicht. Mir egal." – "Herr Stadler, wir müssen Sie eine Weile hier behalten. Sie leiden an Gedächtnisverlust. Das ist gar nicht weiter schlimm. Ganz im Gegenteil. Das hört sich hervorragend an. Sagen Sie doch noch mal "1999", wie in dem einen Lied. Wunderbar, ein Ian Curtis. Rühren Sie sich nicht vom Fleck, ich geh das Diktiergerät und den Rest der Hermann-von-Helmholtz-Hausband holen."

Levin Stadler hat gut daran getan, erst einmal zu vergessen. Noch vor zwei Jahren hat es ihm gereicht: das Kunststudium, wahrscheinlich auch Stuttgart und der Popsumpf, der sich in dieser Stadt aufgestaut hat. Als er kurz vor der Kapitulation stand, hat er dann die Gitarre in die Hand genommen, sich im Nordbahnhof verschanzt und mit Haarspray und dicker Schminke sein Dasein überdacht. Aus Levin Stadler wurde Levin Goes Lightly. Kein Fall für die Analysecouch, sondern eine Kunstfigur. Von außen Ziggy Stardust, im Klang die jüngste Transformation eines Sounds, dem Joy Division 1977 oder 1999, egal in welchem Jahr, den Willkommen-auf-der-Welt-Klaps versetzt haben.

Wenn Kunstfiguren von der Welt erzählen, spielt es wie im Opener "1989" keine Rolle, dass 2015 auf dem Kalender steht. Sie sind aus der Zeit gefallen und klauben nun die Bruchstücke ihrer Entstehungsgeschichte auf: "It's 1999, that's a lie. It's 2001, 14 or 45. I don't know. I don't care." Stück für Stück konstruiert Stadler sich und seine Musik aus einem Baukasten der Zeitlosigkeit.

Es kommt nicht selten vor, dass Künstler an ihrer eigenen Kunstfigur scheitern. Es wirkt gezwungen. Was mal Wave-Pop und Post-Punk war, linst wie der Spicknachbar-Abklatsch mit schlechterem Drummer und mangelnden Erfindergeist aus den Boxen. Nun unterstützt Stadler nur ein digitaler Drummer, wenn er nicht gerade mit Die-Nerven-Schlagzeuger Max Rieger auf der Bühne steht. Doch der Spagat zwischen fleischgewordenem Zitatenschatz und eigenwilligem Träumer funktioniert.

In acht Minuten "Speedways" zeigt er, dass er das bis zum Kropf zugeknöpfte Hemd eines Ian Curtis sein will: "Afraid of getting a fashion / Hands run too fast / And all those many dreams / Are getting old". "Silence is violence" befreit den Sound mit klarer Linie von aller Paranoia. Stadlers Musik ist fest mit dem Nordbahnhof verbunden und dort holt er sich Unterstützung: Wagenhallen-Kollegin Mehtap Avci singt schüchtern die Lo-Fi-Ballade "Perfume" ein. Ein weiterer Beweis, dass zumindest an einem Stuttgarter Bahnhof etwas vorwärts geht.

(Bastian Sünkel)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • 1989
  • Silence is violence
  • Speedways
  • Perfume

Tracklist

  1. 1989
  2. She's dancing
  3. Silence is violence
  4. Bouquet
  5. Bell
  6. Speedways
  7. Spider's web
  8. Predestinated
  9. Perfume
  10. Flowers
Gesamtspielzeit: 46:23 min

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Bodhi

2015-07-06 20:46:02

Gutes Review, gutes Album, guter Typ

Jennifer

2015-07-01 23:11:54

Frisch rezensiert. Meinungen?

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