Marching Church - This world is not enough
Sacred Bones / CargoVÖ: 24.04.2015
Irres Licht
Faul im Staate Dänemark? Kommt gar nicht in die Tüte für Elias Bender Rønnenfelt. Nicht genug damit, dass der 23-Jährige als Frontmann der kryptischen Punkrocker Iceage hyperaktiv ist, mit Loke Rahbek von Lust For Youth das Cold-Wave-Standbein Vår unterhält und gelegentlich bei Cult Of Youth aus Brooklyn mitlärmt – unter dem Namen Marching Church bringt der Kopenhagener seit 2010 zudem abgerissenen Post-Punk und gespenstische Torch-Songs in gebrochenen Soundbaracken unter. Fürs erste Album nach zwei EPs musste Rønnenfelt nun anbauen: Marching Church sind inzwischen eine Band, die mit zwei Dritteln der Iceage-nahen Landsleute Lower, Industrial-Schrauberin Frederikke Hoffmeier alias Puce Mary und Cellistin Cæcilie Trier von Choir Of Young Believers einige Indie-Prominenz in ihren Reihen führt. Eine Supergroup also?
Doch überlassen wir die Deutungshoheit an dieser Stelle dem Kollegen Holtmann, der so etwas nach seinem letzten Traktat zum Thema sicher besser beurteilen kann, und sehen lieber Rønnenfelt zu, wie er sich auf dem Cover argwöhnisch im Spiegel beäugt: Vermutlich weiß er selbst am besten, dass nie ein großer Sänger aus ihm werden wird. Was halb so schlimm ist bei diesen acht flammenden, oft lose improvisierten Stücken, in denen sich der Däne halb narzisstisch, halb leidend als von innen unrasierter Gefühlsmensch inszeniert. Schief grinsend gibt er zu Protokoll: "I'm still being convinced I contain some godlike charm" – und fügt dann kleinlaut hinzu: "Of course it isn't true." Und doch möchte er sie am liebsten alle geschlagen nach Hause schicken. Einen jungen, verzweifelten Nick Cave genauso wie einen düsteren, betrunkenen Peter Doherty.
"Living in doubt" schreckt zunächst mit dem gleichen rohen Umgestüm in Schlagwerk und Gitarrenarbeit auf, das die Apocalypse-Folker Death In June in ihrer punkingen Frühphase auszeichnete – und erledigt das Thema Rockmusik so direkt zu Anfang. Danach versucht der Bass erfolglos, "Town called Malice" von The Jam nachzuspielen, ehe er das Handtuch wirft, und um die Ecke warten schon ein durchs Dunkel tapsendes Saxophon, Nadelstiche setzende Bläser und zittrige Streicher, um der torkelnden Selbstüberschätzungs-Ballade "King of song" desolates Crooner-Leben einzuhauchen. Der wüste Unterleibs-Blues "Hungry for love" hingegen lockt mit notdürftig auf Spanisch kaschierten Schweinereien und gipfelt in einem orgiastischen Zusammenprall von Instrumenten und entfesselt skandierendem Gesang – und in einer bizarren Art von Soul.
Apropos Soul: Dass Rønnenfelt den offenbar mit Löffeln gefressen hat, wird nirgends so klar wie bei der Coverversion des Klassikers "Dark end of the street", den vor fast 50 Jahren schon Percy Sledge sang. Auf "This world is not enough" schleicht der Song beschwörend durchflüstert auf gebürsteten Drums daher und fungiert als finaler Ruhepol eines Albums, das Hörer und Künstler zuvor ordentlich gebeutelt hat – mit unheilvoll anschwellenden Noise-Klagen, somnambulen Piano-Figuren und der dröhnenden Installation "Your father's eyes", in deren zweiter Hälfte Scott Walker und David Lynch zu einer trötenden Beerdigungskapelle langsamen Walzer tanzen. Am Ende kracht Rønnenfelt erschöpft zusammen – rappelt sich aber hoffentlich bald wieder hoch, um die nächste großartig irrlichternde Platte aufzunehmen. Egal mit welcher Band.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Living in doubt
- Hungry for love
- Your father's eyes
Tracklist
- Living in doubt
- King of song
- Hungry for love
- Your father's eyes
- Calling out a name
- Every child (Portrait of Wellman Braud)
- Up a hill
- Dark end of the street
Im Forum kommentieren
MasterOfDisaster69
2016-02-16 17:00:17
hat die jemand schon mal live gesehen? Ich weiß noch, die Platte fand ich Mitte 2015 etwas anstrengend, als Live-Act kann ich mir das aber schon recht interessant vorstellen. Noch dazu samstags Nacht in dieser kultigen Location in Porto:
http://maushabitos.com/eventos/2016/02-fev/16.02.27-marching-churchice-age-papaya.html
saihttam
2015-05-28 00:32:55
Wo sind die ganzen Iceage-Fans? Waren doch durchaus einige nach dem letzten Album.
Armin
2015-05-27 21:58:49
Frisch rezensiert! Meinungen?
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