Jamie xx - In colour

Young Turks / Beggars / Indigo
VÖ: 29.05.2015
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Aufgefächert

The-xx-Platten haben nie jemanden dazu verleitet, die Konfetti-Kanone anzuwerfen oder sein Gesicht in den Tuschkasten zu titschen. Es ist und war Musik mit und für Pausen, voller kühler Gitarren- und Bassfiguren und selektiver Beats in schwarzem Anzug mit durchaus hypnotischer Wirkung und Mut zu Minimalismus. Jamie xx schält sich nun aus dem Londoner Trio heraus und präsentiert nach farbigen Single- und EP-Frontbildern ein gefächertes Regenbogenkonstrukt namens Cover. Eine denkbare Lesart ist, derart die Vielzahl (elektronischer) Spielarten versinnbildlicht zu bekommen, dass "In colour" dennoch einen Kern hat, der gleichermaßen Ausgangspunkt und Ziel des Spektrums bildet. In jedem Fall bleiben die Kolorierungen keine leeren Versprechungen. Zwar steckt manchem Song noch die The-xx-Melancholie in den Knochen, aber der 26-Jährige, der mit Unterbrechungen sechs Jahre an "In colour" gearbeitet hat, kreiert auch Gegenpole und ermutigt den Hörer zur Teilzeit-Synästhesie.

"Gosh", gibt Jamie Smith, wie der DJ und Produzent mit bürgerlichem Namen heißt, zu Protokoll, war ursprünglich als Schlusstrack geplant und wurde erst durch eine 20- bis 30-prozentige Entschleunigung der finalen Version zur Willkommensmatte. Mit frisch durchgesiebten Techno-und Breakbeat-Verweisen im Rücken erwächst dieser Dauerschleife eine kleinkalibrige, aber effektive Synthiesirene, ehe sukzessive Keyboard-Töne auf das Ende tröpfeln. Das ist vergleichbar mit Caribous Aufzucht von "Can't do without you", allerdings eben deutlich mehr in der britischen Clubkultur verwurzelt. "Sleep sound" pustet die Tiefenröhren frei und begibt sich an die Zerlegung und Neuformierung von UK Garage, Drum'n'Bass und 2step. Ein Grund zu schlafen ist es jedenfalls nicht. Zumal im nachfolgenden Garage-House-Dauerloop "Seesaw" erstmals The-xx-Sängerin Romy Madley Croft eingreift und durch einen recht verschwommenen Schleier konstatiert: "I saw her again with you."

Gerade die Tracks, bei denen seine Band-Kollegen mitmischen, sind mutierte Hybriden, imaginäre Sequels des Bandsujets von Tracks wie "Sunset" oder "Reunion". Oliver Sim referiert in "Stranger in a room" über den Wunsch folgenlosen Loslassens und Madley Croft sorgt für das emotionale Highlight "Loud places". Als die Beziehungsdiskrepanz in ihrer von Pianotupfern und wattebauschigem Bass begleiteten Erzählung unabkehrbar scheint, reißt der Himmel auf, reichen Gospel und Handclaps ihre Hand, spenden Mut, Trost und Kokosnussmilch im Sektglas. "You're an ecstasy / Without me / When you come down / I won't be around." Wie zum Beleg kontextueller Fortschreibung folgt mit "I know there's gonna be (good times)" ein HipHop-Dancehall-Track samt The-Persuasions-Sample, der Positivismus auf Sonnenkollektoren schießt, im Gesamtwerk "In colour" aber etwas Anschluss sucht.

Smith labt sich aber eben nicht nur an den Quellen elektronischer Musik. "Obvs" schafft sich da einen ganz eigenen Kosmos jenseits von Tropical-House, aus Steel-Drum, xylophonischem Geklöppel, durchlässigen Gitarrenlicks und gepauktem Beat. Ein Ausflug in den gelb-orange-roten Teil der Farbskala, wo das von R'n'B und Downtempo-TripHop beeinflusste, ätherische "Girl" bereits wartet. "The rest is noise" arrangiert Jamie xx wie eine songinterne Trilogie und "Hold tight" schafft den Spagat, einerseits als Background-Lieferant für Breakdance-Battles herhalten zu können und andererseits Rave-Partys einzuleiten. Das ist der Moment, in dem es gar nicht mehr so unwahrscheinlich wirkt, dass sich Smith zu dem schwarzen Outfit heimlich Barney Stinsons Entchen-Krawatte umbindet. Und lächelt. Er kann es tragen.

(Stephan Müller)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Gosh
  • Obvs
  • Loud places (feat. Romy)
  • Girl

Tracklist

  1. Gosh
  2. Sleep sound
  3. Seesaw (feat. Romy)
  4. Obvs
  5. Just saying
  6. Stranger in a room (feat. Oliver Sim)
  7. Hold tight
  8. Loud places (feat. Romy)
  9. I know there's gonna be (good times) (feat. Young Thug & Popcaan)
  10. The rest is noise
  11. Girl
Gesamtspielzeit: 43:21 min

Im Forum kommentieren

saihttam

2019-11-08 00:49:01

Ich finde Gosh super. Aber es stimmt schon, stilistisch ist er durchaus etwas anders als der Rest des Albums. Ich finde er funktioniert aber denoch als Opener. Vielleicht gerade weil er einen auf eine falsche Fährte lockt und man so vom träumerischen Rest des Albums überrascht wird. Good Times funktioniert für mich auch. Kann aber auch da verstehen, wenn man ihn deplaziert findet.

terranova

2019-11-07 22:54:15

der passt für mich, obwohl er anders ist, sowohl vom gesamtzusammenhang als auch von der nummer selbst

aber geschmäcker sind bekanntlich verschieden :)

Felix H

2019-11-07 22:51:27

Deplatziert wirkt für mich nur "Good Times". Der passt wirklich nicht rein. "Gosh" ist super, leitet auch schön über in "Sleep Sound".

terranova

2019-11-07 22:47:58

stimmt schon, ist aber zu cool im vergleich zu den anderen doch seeehr relaxten songs.

da der opener ja immer die richtung vorgibt, wirkt der song für mich irgendwie deplatziert

Christopher

2019-11-07 22:40:41

Ich finde "Gosh" musikalisch ziemlich cool, das Sample nervt evtl. etwas. Aber die Entwicklung von dem beatorientierten Anfang hin zu dem melodischen Ende ist schon stark.

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