Wire - Wire

Pink Flag / Cargo
VÖ: 17.04.2015
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Stört das Shirt?

Armer Colin Newman. Da sich offensichtlich kein geeignetes Model fand, oblag es unlängst dem Wire-Kopf höchstpersönlich, den neuesten Band-Merch auf Facebook zu präsentieren. Und zwar mit einem Gesichtsausdruck, als müsse er die Sachen des älteren Bruders auftragen, weil ihm das schicke Plattentests.de-Shirt in der Wäsche auf Kindergröße eingelaufen ist. Dabei haben Newman und seine ebenfalls über 60-jährigen Kollegen Graham Lewis und Robert Grey doch seit einiger Zeit mit Matthew Simms von It Hugs Back einen Thirtysomething-Hüpfer in der Band, dem Shirt und Stoffbeutel sicher noch besser stehen. Im Studio trat Simms erstmals 2013 auf dem Album "Change becomes us" in Erscheinung, das frühe Live-Skizzen zu fertigen Songs ausformulierte – und spielte somit Material, das mehr oder weniger genauso alt ist wie er selbst.

Freilich keine Personalie, die den britischen Art- und Post-Punk-Veteranen allzu sehr am Zeug flickt: Der Zeitlosigkeit des Wire-Sounds kann Simms' Mitwirken kaum etwas anhaben, und vermutlich weiß er selbst am besten, dass es vermessen wäre, einem alten Band-Hund neue Tricks beibringen zu wollen. Zumal das gar nicht nötig ist, denn abgezirkelte Riffs, ein sehniger Basslauf und immer wieder ins Motorisch-Krautige schwappende Drums reichen auch auf "Wire" oft für einen guten, gradlinigen Song aus. Zum Beispiel für den Opener "Blogging", in dem Jesus nicht auf einem Berg, sondern im Social Web predigt, während Newman seine Habseligkeiten im Online-Auktionshaus verscherbelt. Außer seiner Gitarre natürlich – die braucht er schließlich noch für die zehn folgenden Stücke.

Auf diesen positionieren sich Wire im Vergleich zum rabiateren "Red barked tree" irgendwo in der Mitte ihrer Diskografie: gesetzter als auf dem krachenden Debüt "Pink flag" oder dem Quasi-Comeback "Send", aber auch weniger friedfertig als beim tiefenentspannten Mittachtziger-Pop-Geblinzel von "A bell is a cup ... until it is struck". Dazu näselt Newman in "Shifting" oder "In Manchester" abwechselnd Verliebtes und Kryptisches, wobei letzteres Stück mit Psychedelia und Rave-Rock nicht das Geringste am Hut hat und sich ähnlich wie das vorzügliche "Octopus" eher der Zeiten erinnert, als The Cure noch disziplinierte Westentaschen-Punks waren. Die Gitarren rühren klirrend Beton an, ein Keyboard klimpert gedankenverloren dazwischen – "Jumping someone else's train" oder "Play for today" sind zum Greifen nahe.

Hin und wieder kann das meist hohe Tempo jedoch nicht verhehlen, dass kaum zu Ende gedachte Songs wie "High" oder "Joust & jostle" nicht recht über das Niveau eines flotten Nichts beziehungsweise Nichtviel hinauskommen. Mehr Eindruck machen der brodelnde Schieber "Sleep-walking" oder das geräuschige "Split your ends", das sogar kurz mit Rock 'n' Roll liebäugelt, obwohl Wire sich diesem Zeit ihres Bestehens stets verweigerten. Und damit das so bleibt, legt "Harpooned" zum langgezogenen Finale noch einen zornig schwelenden Noise-Batzen obendrauf – eine schöne Schlusspointe für alle, die glauben, Post-Punk könne im höheren Alter nicht mehr kräftig zubeißen. Das 14. Wire-Album mag zwar nicht ihr bestes sein – aber auch kein Grund für Newman und Kollegen, mit den Zähnen zu knirschen. Und so hässlich ist das Shirt nun auch nicht.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Blogging
  • In Manchester
  • Octopus
  • Harpooned

Tracklist

  1. Blogging
  2. Shifting
  3. Burning bridges
  4. In Manchester
  5. High
  6. Sleep-walking
  7. Joust & jostle
  8. Swallow
  9. Split your ends
  10. Octopus
  11. Harpooned
Gesamtspielzeit: 44:01 min

Im Forum kommentieren

Sick

2015-05-03 19:55:39

Was soll denn hier vorhersehbar sein??
Kennt man die letzten Wire-Alben ("Red Barked Tree" war doch so typisch erwartbarer Postpunk) stellt man eher erstaunt fest das sie so etwas noch nie gemacht haben. Auch von mir 8/10. Richtig gute "Wave-Pop"-Platte.

Söze

2015-05-02 22:49:50

Ja, das Songmaterial stimmt und hat Niveau, aber die Platte ist etwas zu glatt, routiniert und, ja, vorhersehbar - und das sind Attribute, die nun wirklich schlecht zu Wire passen.

Bei der Red Barked Tree und der Change Becomes Us war die Begeisterung noch angebracht, weil Wire wieder da waren und regelmässig sehr gute Platten machten, aber inzwischen hat sich der Sound dieser Bandphase schon wieder etwas ausgelutscht. Vermutlich gibt in der Band aktuell massgeblich Colin Newman den Ton an und es fehlt ein Widerpart wie Bruce Gilbert, der ihm von Zeit zu Zeit dazwischenfahren könnte.

Plattenbeau

2015-05-02 18:41:37

Gut, aber irgendwie auch langweilig und vorhersehbar. Dann lieber 154 Mal 154 hören.

Herr

2015-05-01 16:57:04

Ich bewerte mit 8/10.
Songwriting: 9/10.
Sound: 7/10 (etwas müde im Ganzen).

Die Rezension ließt sich gut und vermittelt nachvollziehbar den Kontext, die Bewertung ist vom Text her gefühlt eher etwas oberhalb der abgegebenen 6/10.

Armin

2015-04-29 23:39:06

Frisch rezensiert! Meinungen?

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