Madonna - Rebel heart
Interscope / UniversalVÖ: 06.03.2015
Oh mojo, where art thou?
Innovativ war sie nie, ein Auge für Innovation hatte sie aber für eine lange Zeit: Madonna, erfolgreichste Popkünstlerin aller Zeiten, Sexsymbol und Provokateurin, Mutter und Mütterschreck. Die Liste der Attribute, mit denen die Amerikanerin bezeichnet werden kann, ist potenziell endlos. Ihre Fähigkeit, gegenwärtige Trends zu lesen und auf ihre Persönlichkeit zu übertragen, ist wohl der Hauptgarant für die Langlebigkeit ihrer Karriere. Doch in den letzten Jahren wuchs die Zahl der Zweifler: Nach einer Phase der künstlerischen Emanzipation war Madonna Mitte der 2000er-Jahre zu ihren musikalischen Wurzeln zurückgekehrt. Geschmückt mit fremden Federn, weitestgehend tätig im eigenen Schatten wuchtete sie sich mit Gewalt auf die Tanzfläche zurück. Auf der Suche nach Anschluss an eine Zeit, die ihr davonzulaufen scheint, lässt Madonna sich seitdem von Hitfabrikanten wie Timbaland oder David Guetta unter die Arme greifen. Auch Album Nummer 13, das bereits im Dezember 2014 teilweise geleakte "Rebel heart", ist wieder mit reichlich prominenter Hilfe entstanden.
So ist niemand Geringerer als "Yeezus" und Kim-Kardashian-Ehemann Kanye West vom Himmel herabgestiegen, um Madonna ein Stück Subwoofer-Testmaterial auf den drahtigen Leib zu schneidern. Dass das Ergebnis "Illuminati" sinnbildlich für das Schaffen der Sängerin im Jahr 2015 steht, hat viele Gründe. So ist der Beat zwar clever, aber bei weitem nicht überraschend. Der Text, in dem bestimmende Figuren aus Politik und Popkultur willkürlich aneinandergereiht werden, um eine abgeschmackte "carpe diem"-Botschaft zu illustrieren, ist armselig. Und Madonnas Gesangsleistung verschwindet fast vollständig hinter elektronischen Effekten, deren Verfallsdatum bereits mit ihrem Verklingen erreicht ist. Dass "Rebel heart" mit dem überaus tanzbaren "Living for love" eröffnet wird, macht dagegen Freude. Das von einem stilvoll zusammengestauchten Housebeat angetriebene Stück ist unzweifelhaft die stärkste Madonna-Single seit "Hung up" und dürfte monatelang die Playlisten einschlägiger Radiostationen bevölkern. Ein bisschen überkandidelt und klebrig klingt das Ganze zwar, doch ist es das, was Madonna schon immer am besten konnte: Pop. In seiner reinsten Form.
Apropos Kleber: "And we can sniff glue and we can do E and we can drop acid / Forever be lost with no way home" singt die Mittfünfzigerin begeistigt in "Devil pray", wobei sie auch vor den Gefahren des ungezügelten Hedonismus warnt: "The ground beneath my feet is getting warmer / Lucifer is near". Nun sind religiöse Metaphern nichts Neues im Werk Madonnas, derart plumpe Bilder waren bis dato aber eher die Ausnahme. Während "Devil pray" jedoch über einen stimmigen Refrain verfügt, fällt "Holy water" mit Karacho durch die MPU. Irgendwo zwischen Sex, Suff und Spiritus Sanctum verkündet "Madge": "There's a place you gotta go before I let you take it all / It's like a drug, it should be illegal / Baby you should get down low / And drink my precious alcohol". Um Gottes Willen. Gibt es denn niemanden, der Frau Ciccone darauf hinweist, wenn sie Stuss fabriziert? Ist Madonna der neue George Lucas?
Dabei kann sie es ja, und eigentlich müsste sie niemandem mehr etwas beweisen. "Ghosttown" zeigt, dass Madonna sich noch immer Songs zu eigen machen kann wie kaum eine andere Sängerin im Mainstream. Mit Klasse präsentiert, zeitgemäß produziert und aufs Wesentliche reduziert gehört die Komposition zu den Höhepunkten des Albums. Auch die finale Ballade "Wash it all over me" ist gerade wegen ihrer Einfachheit eine Wohltat. Bescheidenheit ist aber natürlich nur selten eine hervortretende Eigenschaft der "Queen of Pop". Weshalb sie glaubt, die Welt mit einer an der Peinlichkeitsgrenze entlangschrammenden Penetranz an ihre Existenz erinnern zu müssen, bleibt ihr Geheimnis. Das von Diplo produzierte "Bitch, I'm Madonna" wäre gerne olfaktorischer Trendsetter, die Duftmarke, die der Song hinterlässt, erinnert jedoch eher an Mottenkugeln – einzig die gut aufgelegte Nicki Minaj vermag das Stück aus der Beliebigkeit zu retten. In eine ähnliche Kerbe schlägt "Unapologetic bitch", das zwar über einen eingängigen Reggae-Groove verfügt, aber darüber hinaus wenig inspiriert vorbeidudelt.
Die künstlerische Vision, die Alben wie "Ray of light" zum Gelingen verhalf, ist Madonna spätestens zwischen "American life" und "Confessions on a dancefloor" abhandengekommen. Weiter geht es ohne Zweifel, doch wohin bleibt ungeklärt. Die Ziellosigkeit, die "Rebel heart" kennzeichnet, äußert sich schon in der unglücklichen Veröffentlichungspolitik: Gleich drei Editionen des Albums gibt es, neben der 14 Tracks umfassenden Standardversion erscheinen auch die um fünf Lieder längere "Deluxe Edition" und eine auf 25 Songs aufgeblasene "Super Deluxe Edition". Dass der hübsche Titelsong dabei der Schere zum Opfer fiel und nur auf den teureren Sonderausgaben zu hören ist, mag aus wirtschaftlicher Perspektive klug sein – auf die Künstlerin Madonna wirft es jedoch kein allzu gutes Licht. "Rebel heart" ist überall und nirgends, es ist modern, ohne Trends zu setzen und traditionsbewusst, ohne stilvoll zu sein. Dass Madonna irgendwann noch einmal die Kurve kriegen wird, wird von Album zu Album unwahrscheinlicher. Mojo gesucht. Dringend.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Living for love
- Ghosttown
- Wash all over me
Tracklist
- Living for love
- Devil pray
- Ghosttown
- Unapologetic bitch
- Illuminati
- Bitch I'm Madonna (feat. Nicki Minaj)
- Hold tight
- Joan of Arc
- Iconic (feat. Mike Tyson & Chance The Rapper)
- HeartBreakCity
- Body shop
- Holy water
- Inside out
- Wash all over me
Im Forum kommentieren
The MACHINA of God
2024-01-21 14:45:06
Höre mich grad durhc die Spätphase und nach dem langweiligen "American life" fand ich "Hard candy" und "MDMA" richtig übel. Die hier hingegen war dagegen eine richtige Wohltat (wenn auch keine Großtat).
MDNA
2018-08-16 10:17:04
Keine Ahnung haben, aber Madonna-Bashing betreiben. Das sind die Besten.
Demon Cleaner
2016-04-11 20:03:16
Ist ein Anfang. Wobei da "Unapologetic Bitch" fehlt, das finde ich eigentlich recht lustig.
The MACHINA of God
2016-04-11 17:15:47
Also mal Leatherface's Version hören?
Demon Cleaner
2015-08-21 14:46:13
Irgendwie faszinieren mich Alben mit gefühlt 100 Bonustracks, bei denen man erst mal basteln muss, um ein gutes Album hinzubekommen, weiß auch nicht warum. Wie bei "Zeitgeist" von den Pumpkins, "Born To Die" von Lana oder eben diesem hier.
Die oben geposteten Listen wären schon mal ihr bestes Album seit "Music" mindestens, oder eben "Ray Of Light".
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