Zugezogen Maskulin - Alles brennt
Buback / IndigoVÖ: 13.02.2015
Brandbeschleuniger
Gentrifizierung, Ausländerhass und der omnipräsente Globalkapitalismus: Zugezogen Maskulin verhandeln auf ihrem zweiten Album "Alles brennt" genau die Themen, die in den letzten Jahren im Fokus der Öffentichkeit standen. Doch anstatt sich als Sprachrohr einer selbstreflexiven und aufgeklärten Jugend zu etablieren, setzen die Berliner auf Sarkasmus und Galgenhumor, sie ecken an, sind unbequem und fordern den Hörer mit ihren giftigen Zeilen heraus. Zugezogen Maskulin sprechen die Probleme nicht nur an, sie brüllen sie lautstark heraus, Lösungen bieten sie nicht, vielmehr bohren sie in den Wunden einer angeschlagenen Gesellschaft. Salz und Pfeffer stehen auch schon bereit.
Zugezogen Maskulin bestehen aus Testo und Grim104, der zuletzt vor zwei Jahren ein bitterböses wie gelungenes Solowerk veröffentlichte, auf dem er die Crystal-Methisierung Ostdeutschlands genauso anprangerte wie die Gräueltaten des norwegischen Rechtsterroristen Anders Breivik. Beide Rapper wuchsen auf dem flachen Land auf, fernab der großen Stadt, der eine in Friesland, der andere an der Ostseeküste, doch irgendwann machten sie sich auf nach Berlin, weil sie die Tristesse und Aussichtslosigkeit in der Provinz nicht mehr aushielten, nicht mehr mit Leuten rumhängen wollten, die neben Bob Marley auch Landser im Plattenschrank hatten. Doch in der Metropole stießen sie dann auf andere Probleme. Zum Beispiel: Wie kann ich als Künstler meine Miete zahlen?
"Alles brennt" beginnt vor diesem Hintergrund mit dem galligen Titelstück, Grim104 steigert sich dabei in seinen von Wahnsinn getriggerten Flow, schießt gegen Cro, der mit seinem harmlosen Erfolgsrap-Kommerz das ideale Feindbild darstellt. Der Vergleich zu K.I.Z. liegt hier wie auch bei den anderen elf Stücken auf der Hand, nur dass ebenjene meist noch weiter gehen, noch respektloser Grenzen überschreiten. Zugezogen Maskulin wirken dagegen eher wie die Studentenversion sarkatischen Raps, es wird Bezug genommen auf Karl Marx und auf seinen Kumpanen Friedrich Engels, auf Sigmund Freud und auf seinen Ziehsohn und späteren Erzfeind Carl Gustav Jung: amüsante Referenzen für ein wortgewaltiges Rap-Album. Meist aber sind Zugezogen Maskulin bitterböse, in "Oranienplatz" wettern sie gegen die in Zeiten von Pegida und Co. aufbrandende Xenophobie: "Wir haben viel zu viel, um Euch was abzugeben."
Im eindrücklichsten Song der Platte, "Grauweißer Rauch", beschreiben die beiden Rapper die Trostlosigkeit einer hoffnungslosen Landjugend, die ihren verlorenen Träumen im Drogenrausch nachhängt: "Ich mach kaputt, was mich kaputt macht / Mich selber." Und in "Agenturensohn" zeigt das Duo schon im Titel, gegen wen es sich richtet: die vermeintlich kreativen, aber letztlich doch vor allem profitgeilen und wertkonservativen Medienleute, deren Gedanken doch vor allem um den eigenen Wohlstand kreisen. Die Sujets, die Testo und Grim104 auf "Alles brennt" aufs Tableau bringen, sind allesamt richtig und wichtig, aufgrund einer nicht immer ganz überzeugenden, leicht trashigen Produktion, bleibt für die Zukunft allerdings noch Luft nach oben. Hashtag: Selbstoptimierung.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Grauweißer Rauch
- Vatermord
Tracklist
- Alles brennt
- Ayahuasca
- Plattenbau O.S.T.
- Oranienplatz
- Grauweißer Rauch
- Endlich wieder Krieg
- Guccibauch
- Oi!
- Agenturensohn
- Monte Cruz
- Vatermord
- Schiffbruch
Im Forum kommentieren
Huch
2017-02-07 14:38:45
Ist Armin ein Prophet wie Nostradamus, dass er die Nafri-Problematik schon 2015 mit diesem Threadnamen vorhersagen konnte? Verwirrend und beängstigend das Ganze.
Nihi1 Baxter
2017-02-07 13:15:09
Internet is gestern.
Was man nu' mit dem big chunk o' data - dem "Rohstoff der Zukunft" - alles anstellen kann, wenn man ihn beispielsweise mit der guten alten operativen Psychologie kreuzt, können sie bald in ihrem Gau bzw. Block bzw. Dorf beobachten.
Falls jemand dagegen ist, einfach irgendwas in die Luft sprengen.
Funktioniert in Smart Homes noch einfacher.
https://www.youtube.com/watch?v=JGfiPTP6RHc
wiki: Operative Psychologie
ZMGang
2017-01-13 14:38:15
10/10
Picard2
2016-05-19 18:52:27
Lol "Weißer Rauch" klingt für mich wie der x.te KIZ Song. Aber gut Geschmäcker sind bekanntlich verschieden ;)
MopedTobias (Marvin)
2016-05-19 17:40:41
Also ich finde das Album musikalisch wie textlich immer noch sehr gelungen. Die Intensität eines "Grauweißer Rauch"s zum Beispiel hab ich im Deutschrap der letzten Jahre eher selten gehört.
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