Charlie Winston - Curio city

Sony
VÖ: 13.02.2015
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Haltbar

Weil Plattentests.de auch mal klingen möchte wie im Jahr 1812, titulieren wir Charlie Winston mal als Tausendsassa und nutzen die Floskel "Hans Dampf in allen Gassen". Als Singer-Songwriter jedenfalls scheint er nicht ausgelastet genug und besitzt inzwischen auch ein eigenes Musik- sowie tatsächlich ein Modelabel. Eine durchaus groteske Emanzipation, wenn man ihn noch als Landstreicher-Lookalike in Erinnerung hat und seine musische Zeit mal ausklammert. Der "Hobo" pustete noch etwas Wüstenstaub aus den Boxen, dem rastlosen "Running still" entgegnet er ziemlich genau drei Jahre später "Curio city". Ein beiläufiges Zugeständnis, Winston lebt in Paris, urbane Einflüsse in der Musik sind das folgerichtige Sequel in seiner Diskographie. "I wouldn't take it back / It's made me who I am."

Nach der Verbannung der Mundharmonika hantiert der 36-Jährige nun auch mit elektronischen Elementen. Nicht, dass man ihm den Schritt nicht zutraut, nur auf dem Papier liest sich das zunächst wie ein Zumba-Kurs des Vize-Kanzlers: So recht will das nicht passen. Verbrennen können sich aber andere Musiker am feurigen Testballon, Winston löst das Spannungsfeld in IKEA-Manier: Er entdeckt lediglich die Möglichkeiten. Selbst das mäßige "Just sayin" verweilt nicht ausschließlich im Neo-Disco-Funk und auch die Uptempo-Single "Lately" kann zu Streichern auf Nasenspray Winstons schelmisches Grinsen nicht verbergen. "Say something" klatscht sich einerseits arg offensiv gen Pophit, berherbergt andererseits noch immer das sanfte Zupfen der E-Gitarre und diesen kurzen Moment des Innehaltens.

Ein Song wie "Too long" lässt sämige Keys markant und doch unterschwellig pulsieren, während der Taktgeber nur sporadisch vorbeischneit und Winston passend singt: "Too long I've been waiting for the rhythm / But I'm not gonna wait for that day anymore." Sowohl in "Wilderness" als auch im groovenden "Truth" – wo zusätzlich die Synthies den Job der Bassline übernehmen – sind programmierte Hilfsmittel atmosphärisches Grundierungsspielzeug, ein Teppich für Akustikgitarre oder Piano, für Folk und Blues. Bei aller elektronischen Zuwendung präsentiert sich Winston auf "Curo city" weiter als Singer-Songwriter, als – Stichwort Formulierungen anno 1812 – Vollblutmusiker, der fast jedes Instrument auf seinem dritten Soloalbum selbst eingespielt und die Platte auch noch produziert hat.

Der 36-Jährige erzählt von der Balance von "Fear and love" und schlägt für "Another trigger" mit Western-meets-Breaking-Bad-Licks die Saloontür auf, um dort eine wohlige Piano-Hook vor den Abzug zu stellen. Und dann wäre da ja noch "Stories". Ein emotionaler, persönlicher Song, untermalt mit Streichern, aber doch sehr schlicht am Piano vorgetragen vom Mann aus Cornwall, dem gelernten Jazzpianisten Winston: "Memories make up stories to be told." Ein Song über die prägende Vergangenheit und wider der Verdrängung von Widrigkeiten wird zum Beweis für die Redundanz allen elektronischen Zutuns im Hause Winston. Ironie? Kniff? Askese? Auf jeden Fall ein starker Abschluss.

(Stephan Müller)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Fear and love
  • Another trigger
  • Stories

Tracklist

  1. Wilderness
  2. Truth
  3. Say something
  4. Fear and love
  5. Too long
  6. Another trigger
  7. Lately
  8. Just sayin
  9. Evening comes
  10. Stories
Gesamtspielzeit: 38:43 min

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