Bob Dylan - Shadows in the night

Columbia / Sony
VÖ: 30.01.2015
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Herzblut auf den Lippen

Man stelle sich Bob Dylan als diesen zutiefst zynischen Menschen vor. Da sitzt er am Frühstückstisch und blättert die Zeitung durch. Denn wenn jemand noch Zeitungen liest, dann er. Oder noch besser, wahrscheinlich verbringt er schon den Morgen mit Dostojevski oder Nietzsche. Da findet er auch diesen Aphorismus: "Wenn die Kunst sich in den abgetragensten Stoff kleidet, erkennt man sie am besten als Kunst." Dieses ständige Wüten nach Originalität – ein Irrtum der Moderne. Das erheitert ihn. Er summt vor sich hin. Diese ewige Melodie. Frank Sinatra.

Warum dann nicht gleich eine Platte mit dessen Songs aufnehmen? Nicht nachahmen, das wäre bei Frankie Boy auch nicht möglich (O-Ton Dylan: "As far as touching him goes, nobody touches him") sondern, ja, was überhaupt? Zwecks Antwortsuche liegt nun "Shadows in the night" vor, zehn mal beschwört Dylan seinen Sinatra, den des Frühwerks, der Capitol-Phase. Kein "My Way", kein "Fly me to the moon".

Dafür: die Liebesballaden. Kitsch? Gab's bei Sinatra nie, gibt's auch bei Dylan nicht. Ersterer versteckte seine Sentiments hinter üppig-schmachtendem Orchester. Dylan stülpt sie exhibitionistisch nach außen. Dylans Bariton singt! Brummend, krächzend, jaulend, mal schief und fragil. Aber er singt. Die Zeit des Dylanschen Talking Blues scheint vergangen. Ein Selbstzerwürfnis von "I'm a fool to want you", dazu nur Slide-Gitarre, gestrichener Kontrabass, da und dort Bläser, stets reserviert ("What'll I do"). Eine minimale Aufmachung durchläuft die halbe Stunde bei maximaler Wirkung.

Es ist umwerfend, wenn sich Dylan von seinen sonst verkopften Spielereien mit Worten und Literaturverweisen ins Banalere begibt und in "Why try to change me now" die Zeile "I'll love you 'till the moon's upside down" ächzt oder in "Some enchanted evening" zur Beständigkeit rät: "Once you have found her / never let her go." So wundervoll, dass dieser Typ, dem Dylan für eine Dänische Serie übers Alleinsein ein Privatkonzert gibt, dämlich grinsend im Publikum sitzt und danach erklärt, wie perfekt und berührend das doch war. So wundervoll, dass einige Abonnenten des Rentnerjournals "AARP Magazine" die physische Platte geschenkt bekommen. Ältere seien, laut Meisterpoet, weiser. Wohl so weise, dass sie sich keine Musik mehr kaufen? Hoffentlich nicht.

Auch wer Dylan schon lange kennt, wer mit ihm eigenes Empfinden kultiviert hat, wird ihm selten derart nahe kommen. Wo der Altmeister üblicherweise den Affront mit dem Publikum sucht, es gerne verstört und niemals einkalkuliert, gibt er sich in seinen Sinatra-Varianten demütig, ungeschützt, zaudernd – nicht unsicher – bedächtig. Er ist mutig. In aller Kargheit ein wahres Hochgefühl.

(Maximilian Ginter)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • I'm a fool to want you
  • Full moon and empty arms
  • That lucky old sun

Tracklist

  1. I'm a fool to want you
  2. The night we called it a day
  3. Stay with me
  4. Autumn leaves
  5. Why try to change me now
  6. Some enchanted evening
  7. Full moon and empty arms
  8. Where are you?
  9. What'll I do
  10. That lucky old sun
Gesamtspielzeit: 34:35 min

Im Forum kommentieren

The MACHINA of God

2017-03-27 18:45:20

Ooooooh ja.

humbert humbert

2017-03-27 01:49:18

Gerade eine schwere Dylan-Phase?

The MACHINA of God

2017-03-27 00:46:52

Höre es gerade zum ersten Mal in der richtigen Stimmung. :)

humbert humbert

2015-03-02 19:27:34

Mir gefällt das Album immer noch sehr gut, wenn auch etwas zu kurz. Zwei Lieder hätte er ruhig noch draufpacken können.

Es gibt jetzt ein tolles Video zum Lied 'The Night We Called It A Day'.

rollator

2015-02-05 22:29:58

*hahaha*
sehr gut
(@Riesenwölbung)

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