Björk - Vulnicura

Embassy Of Music / Warner
VÖ: 21.01.2015
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Zum Steinerweichen

Sie schafft es wieder, wie damals mit "Jóga". Die emotionalen Landschaften bauen sich auf, der Ausnahmezustand wird erklärt, die Notlage wird besungen, die Sirene schreit und singt: Björk schafft es wieder, und zwar mit Rückblick in ihre musikalische Vergangenheit. Diese Gänsehaut bis in die Haarspitzen, das Kribbeln in den Füßen, dieses lächelnde Kopfschütteln, diese unglaublichen Streicher gepaart mit elektronischen Beats, Collagen, Fragmenten und ihrer ganz eigenen Intonation. Es erinnert an "Homogenic" aus dem Jahr 1997: Mit herzzerreißenden, pochenden Rhythmen, die fremde Welten eröffnen und doch wieder zu Hause landen, offenbart die bald 50-jährige Künstlerin mit ihrem neuen, nunmehr neunten Studioalbum "Vulnicura" nahezu dreist ihr Innerstes. Sie reißt ihr verletztes Herz aus der Brust, ehrt fast fremdschämend im Song "History of touches" jede einzelne Berührung ihres Ex-Partners Matthew Barney, um doch mit viel Eleganz und langsamen Schritten einen Raum für psychologische Analysen dieser Herzschreie und letztlich auch ihrer Heilung zu schaffen. Jeder Song beschreibt eine Station dieser emotionalen Irrfahrt durch Trennung, Schmerz und vermeintliche Heilung.

Auf ihrem Leidensweg wird die isländische Sängerin vom britischen Musiker The Haxan Cloak und Alejandro Ghersi, besser bekannt als Arca, begleitet. Letzterer ist ein 24-jähriger DJ und Produzent aus Venezuela, der sein Einfühlungsvermögen und das Zusammenfließen von HipHop und experimentellen Electronica-Klängen bereits in der Arbeit mit Kanye West und FKA Twigs bewiesen hat. Sein großes Talent demonstriert er auf "Vulnicura" beispielhaft in der Mitte von "Black lake" – imposant, fast militant krachen und stottern seine harten Beats als Klimax des Tracks, um nur einige Momente später wieder von der glasklaren Zunge Björks beruhigt zu werden. "Vulnicura" überzeugt und fesselt, und das anhaltend über die Länge des ganzen Albums. Dazu kommen Höhepunkte wie der traurige Opener "Stonemilker", der mit sterbenden Geigen keine Beziehung mehr retten kann, und dem im Gegensatz dazu übermütigen "Atom dance". Hier erklingt eine bereits bekannte Stimme aus dem Björk-Kosmos, die schon im Song "Dull flame of desire" vom 2007er Werk "Volta" zu hören war. Als männlicher Gegenpart zu Björk singt sich Antony Hegarty hier als schwarze Seele durch abstrakte Computertöne und aufwühlende Violinen, um schließlich als Puzzlefragment im Chor ihrer wunderschön zerbrechlichen und wirren Welt zu landen.

"Vulnicura" ist eine sehr emotionale Reise von Körper und Geist durch das Scheitern einer Liebe. Diese Gefühle und diese unglaublich sphärische und fesselnde Musik zeigen so viele intime und persönliche Momente – und sprechen doch eine universelle Sprache. Dafür kann man Björk nur lieben: Sie schafft ehrliche, reale Momente im Kopf, im Leben und in der Erinnerung. Sie kann lachende Tränen schüren, den Körper bis zu den Knochen freilegen und den geschundenen Leib wieder abholen und in Balsam hüllen. Wie passend: "Vulnicura", abgeleitet aus dem Lateinischen "vulnus cura", bedeutet "Wundpflege". Die traurig-hoffnungsvolle Geschichte schließt abrupt mit dem Titel "Quicksand". Eine Upbeat-Nummer, die die Ambivalenz einer möglichen Heilung zugibt, wie die Zeilen "When I'm broken I am whole / And when I'm whole I am broken" beweisen. Doch Björk äußert mit den letzten Worten ihres Songs die Hoffnung den Schmerz zu überstehen, nicht nur für sich selbst, sondern auch für ihren Fortbestand: "You take away our future / And my continuity and my daughter's / And her daughter's / And her daughter's."

(Natalie Cada)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Stonemilker
  • Atom dance

Tracklist

  1. Stonemilker
  2. Lionsong
  3. History of touches
  4. Black lake
  5. Family
  6. Notget
  7. Atom dance
  8. Mouth mantra
  9. Quicksand
Gesamtspielzeit: 58:36 min

Im Forum kommentieren

Bronco the Kid

2018-11-03 17:14:22

Erst ein einziger Klagegesang und dann zum Ende hin eine fast psychotische Abfahrt.
Eine beinah beängstigend geniale Vertonung des
Borderline-Syndroms,so kann man das Album auch lesen.

Mixtape

2015-10-23 09:09:26

Die Frau hat vor allem einen guten Geschäftssinn. :-)

Demon Cleaner

2015-10-23 08:17:56

Oh, und eine Live-Version auch noch.

Die Frau hat eine VÖ-Politik...

Demon Cleaner

2015-10-06 08:29:56

Ab 6.11. gibt es eine Version nur mit Streichern und ihrer Stimme.

The MACHINA of God

2015-06-12 15:48:55

Jepp.
Aber auch grundsätzlich find ich "Vulnicura" viel unzugänglicher, viel verschlossener.

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