Diagrams - Chromatics

Full Time Hobby / Rough Trade
VÖ: 23.01.2015
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Bunt, na und?

Wer hätte das gedacht: Sam Genders ist ein Rock-Gott mit Band, dem tausende Menschen zujubeln, während riesige LED-Schirme sein überlebensgroßes Konterfei zeigen. Na ja, zugegeben: Eigentlich war es gar nicht seine Band, sondern irgendeine nicht näher genannte aus Fernost, mit der er 2014 während eines vom British Council organisierten China-Aufenthaltes zwei Songs lang als Aushilfsgitarrist auf der Bühne stand. Und zugejubelt wurde ihm erst bei der obligatorischen Vorstellung der Musiker. Das klingt dann auch schon viel eher nach dem scheuen Engländer, der vor einigen Jahren die Folktroniker Tunng verließ, nachdem sein Kollege Mike Lindsay das Line-Up ungefragt auf fünf Mitglieder erweitert hatte. Fortan war bei Genders selbstgewählte musikalische Abgeschiedenheit angesagt – geschadet hat ihm das nicht.

Das verdeutlichte zuletzt sein Debüt unter dem Namen Diagrams: "Black light" setzte den Laptop-Laubsägereien seiner ehemaligen Band bekömmliche elektronische Arschwackelei entgegen, wobei man freilich noch über eine gewisse Hüftsteifigkeit hinweghören musste. Mit dieser ist nun weitgehend Schluss, und auch jegliches Schwarzlicht sperrt "Chromatics" konsequent aus. Dass der Opener "Phantom power" genauso heißt wie eine Platte der launigen walisischen Psych-Popper Super Furry Animals, erweist sich sofort als selbsterfüllende Prophezeiung: Die Akustische schrammelt versonnen, die Drums atmen locker durch die Hose, eine zwanglos dahergepfiffene Melodie bohrt sich ins Ohr – und allmählich drängt sich das Gefühl auf, dass einem dieser wunderbare Hit längst nicht so schnell auf den Wecker gehen wird wie einst "Young folks" von Peter Bjorn And John.

Beste Voraussetzungen also für die Folk-Pop-Farbenlehre, die Genders gänzlich ohne die teils nervöse Spannung seiner früheren Songs vor dem Hörer ausbreitet. Spitz aufjaulende Riffs und ein tosendes Orgel-Finale bringen auch "Gentle morning song" kaum aus der Ruhe, während draußen die ersten Vögel singen und betrunkene Mädchen den letzten Schluck aus der Pulle nehmen. Das Titelstück erinnert sich dann an die schönsten Schmachtfetzen von John Grant, will aber nicht das Geringste von dessen ätzendem Sarkasmus wissen. Wozu auch, wenn sich stattdessen mit "The light and the noise" ein prächtig erblühender Indie-Rocker als neues Lieblingslied aufdrängt, den auch The Shins auf "Wincing the night away" nicht herzerwärmender hinbekommen hätten? Da wird selbst James Mercer ganz gelb vor Neid.

Es bleibt nicht die einzige bunte Schattierung in diesen elf Songs – auch wenn Genders innerer Frieden beim Singalong von "You can talk to me" in allzu schläfrige Gemächlichkeit umzukippen droht und die behutsam getupfte Miniatur "Shapes" noch ein Stück tiefer in die Kissen sinkt. Ein Zustand, der zum Glück nicht lange anhält – und da gerade von Lieblingsliedern die Rede war, dürfen alle, die schon immer eine (un)heimliche Schwäche für Natalie Imbruglias "Torn" hegten, bei "Dirty broken bliss" zur trocken geschlagenen Gitarre schunkeln, gut gelaunt das kleine Flöten-Tirili mitzwitschern und sich von vorwitzigen Keyboard-Spritzern nass machen lassen. Nein, ein Rock-Gott wird aus Genders angesichts eines so gediegenen wie unaufmüpfigen Albums wohl nie werden. Es sei denn, er tritt mal wieder in China auf.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Phantom power
  • Gentle morning song
  • The light and the noise

Tracklist

  1. Phantom power
  2. Gentle morning song
  3. Desolation
  4. Chromatics
  5. You can talk to me
  6. Shapes
  7. Dirty broken bliss
  8. Serpent
  9. The light and the noise
  10. Brain
  11. Just a hair's breadth
Gesamtspielzeit: 41:57 min

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Jennifer

2015-01-20 21:54:27

Frisch rezensiert. Meinungen?

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