
Cavalera Conspiracy - Pandemonium
Napalm / UniversalVÖ: 31.10.2014
Schädelservice
Es geschah in "Asterix und die Normannen": Als der kleine Comicheld auf die nordischen Abenteuerurlauber und ihren furchtlosen Anführer Maulaf trifft, bittet besagter Häuptling das gesamte gallische Dorf zu einem spontanen Mahl, welches wie üblich auf den ausgelösten Gebeinen der geladenen Gäste serviert werden soll – Schädelservice für Getränke inklusive. Asterix, Obelix und Co. beantworten ein solch perfides Angebot mit ihren bekannt schlagfertigen Argumenten und prügeln Maulaf und Gefolge kurzerhand in die übernächste Woche, respektive direkt ab gen Heimat. Ähnliches scheint den Brüdern Max und Iggor Cavalera durch die Köpfe gegeistert zu sein, als sie im Frühjahr das dritte Album für ihr Versöhnungsprojekt Cavalera Conspiracy eingedroschen haben. "Pandemonium" ist schwerwiegender als vieles, das sich heutzutage heavy nennen darf – und zugleich ein Gruß an die Küsten Nordamerikas, an denen die Geburtsstätten dieses rabiaten Thrash-Gewitters zu finden sind. Die Antwort auf die Frage, wen die brasilianischen Abrissbirnen denn eigentlich mit ihrem entfesselten Zyklon beseitigen wollen, ergibt sich indessen aus den vielfältigen Themen dieser Platte.
Seien es nun babylonische Streitgespräche im Altertum, japanische Aufopferung während des Zweiten Weltkrieges oder gar der mehrköpfige Höllenhund Cerberus aus der griechischen Mythologie: General Max ist sich für keinen Quatsch zu schade, hat zu jedem noch so an der Matte herbeigezogenen Thema etwas hinzuzubrüllen und sein sinistrer Leutnant Iggor gerbt dazu sämtliche gespannten Tierfelle so hinreißend unbekümmert, dass selbst mancher Freund klassischen 1980er-Jahre-Geplästers seine zerbröselnden Ohren festhalten muss. Derart entspannt hat man selbst die Gründerväter von Slayer bis Megadeth ewig nicht mehr auf ihren Saiten herumgaloppieren hören, eine längst ihren Kutten entwöhnte Band wie Metallica schon gar nicht. Allerdings dürften die zuweilen ziemlich fiesen Stimmeneffekte, die man sonst eher von den Industrial-Thrashern Ministry oder den Schmerz-Metallogen Godflesh gewohnt war, sicherlich bei einigen Puristen für Irritationen sorgen.
Trotz alledem ist "Pandemonium" ungeheuer kraftvoll, versiert und kurzweilig geraten. Die an Sepulturas "Arise" gemahnenden Eingangspauken von "Babylonian pandemonium" sind kaum verklungen, da schwingt der erneut von Soulfly entliehene Marc Rizzo schon seine übel gelaunte Streitaxt und feuert ein Hochgeschwindigkeits-Riff nach dem anderen ab, so als wäre der Nackenbrecher "Beneath the remains" der einstigen Keimzelle südamerikanischen Thrash Metals gerade erst dem Presswerk entkommen. Dass da inzwischen sogar Nate Newton von den bärbeißigen US-Metalcore-Punks Converge seine bekannt behänden Bassläufe unter das allgemeine Getöse streuen darf, verkommt zugleich zur schlichten Randnotiz. Denn Max Cavalera schlägt seine Akkorde einfach genauer und schneller, als viele seiner Altersgenossen inzwischen morgens in die Stiefel kommen, aus denen sie die Musik der brüderlichen Verschwörung noch am Vorabend gehauen hat.
So wirft "Bonzai kamikazee" einem die vertraut-hymnischen Tonleitern der industriellen Punk-Supergroup Lard vor die Füße, um darauf einen Kriegstanz in friedfertig-moshender Anthrax-Tradition aufzuführen. "Scum", "Cramunhao" oder auch "Apex predator" beordern hingegen Ministrys Al Jourgensen zum Brüllaffen der frühen Slayer und lassen selbst deren heutige Erben Noisem wie grünschnabelige Teletubby-Zurückwinker dastehen. Hier wird ein archaischer Radau im Bau gepflegt, der sich ganz bestimmt nicht gewaschen hat und mehr als nur Gestank im Schrank erzeugt. Aus allen Ritzen tropft die nackte Wut, mit der man seine Rübe dann auch gleich vor das nächstbeste Mobiliar schlagen möchte. Schöner als im infernalischen Fegefeuer "Insurrection" wurden die imaginären Höllenglocken selten geschlagen, mieser als das Gegonge von "Not losing the edge" kann höchstens die silberne Schädelplatte eines Kriegsveteranen erklingen. Auch der Rest der Scheibe steht diesem martialischen Treiben in nichts nach.
Selbst ohne all diese putzig-apokalyptische Metaphorik bleibt "Pandemonium" unter dem Strich ein sich seiner Wurzeln jederzeit bewusstes, höchst erquickliches Schwermetallgebilde, wie es lange nicht mehr aus den Schluchten des Krawallkan zu vernehmen war. Das blinde Verständnis der Gebrüder Cavalera ist jedem Stück anzuhören, die energetische Frische und Präzision in der Summe übewältigend. Da darf das abschließende "Porra" dann auch allzu gerne einen kleinen Abstecher in die folkloristischen Mittelgebirge Soulflys wagen, der sicherlich als kleines Augenzwinkern am Rande gemeint war. Nach einer Wiedervereinigung mit der heutigen Blechruine Sepultura kann jetzt eigentlich nur noch jemand verlangen, der nicht mehr alle Fontanellen-Tassen im Schrank hat. Oder dem der Himmel bereits auf den Kopf gefallen ist.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Bonzai kamikazee
- Apex predator
- Insurrection
- Not losing the edge
Tracklist
- Babylonian pandemonium
- Bonzai kamikazee
- Scum
- I, barbarian
- Cramunhao
- Apex predator
- Insurrection
- Not losing the edge
- Father of hate
- The crucible
- Deus ex machina
- Porra
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embele
2014-11-06 07:09:58
Krasses Album, bin schon mit den Vorgängern sehr zufrieden gewesen, muß mich aber an dieses Album mehr gewöhnen, wahrscheinlich wegen der Industrialanleihen. Alles in allem aber mal wieder hammerhartes Gebretter...
Armin
2014-11-05 23:38:50
Frisch rezensiert! Meinungen?
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