
The Twilight Sad - Nobody wants to be here and nobody wants to leave
Fat Cat / Al!veVÖ: 24.10.2014
It's thunder and it's lightning
Kinder, wie die Zeit vergeht. Eben gerade noch befand man sich mitten im Sommer der Adoleszenz, brauste im ersten eigenen Auto durch die Gegend, hörte laute Musik von mehr oder weniger gleichaltrigen Musikern, deren Worte dem eigenen Kopf entsprungen zu sein schienen. Die Mischung aus Wut und Verzweiflung, Sensibilität und Schroffheit war noch nicht ganz im Gleichgewicht, was man lieber hätte leise sagen sollen, tönte laut aus der Kehle – und statt in bestimmten Situationen aufzustehen und seiner Meinung eine Stimme zu verleihen, blieb man zwei Sekunden zu lange sitzen und bereute es seither zutiefst. The Twilight Sad sind der Soundtrack zu diesen Empfindungen, zu dieser Zeit, zu jenem besonderen Sommer. Kaum zu glauben, dass schon sieben Jahre vergangen sind seit ihrem Debüt "Fourteen autumns & fifteen winters" – ja, wirklich. Sieben. Immerhin hat das Trio seine Hörer seitdem in angenehmer Regelmäßigkeit mit neuer Musik versorgt. Alle zwei Jahre kam ein neues Album, zuletzt sorgte die Doppelspitze aus "No one can ever know" und dem dazugehörigen "No one can ever know: The remixes" für Gänsehaut auf verschiedenen Ebenen. Von den stürmischen Vertretern des Post-Punk-Revivals über shoegazigere Gefilde bis hin zu den Indie-Noise-Rockern mit Synthie-Einschlag hat das Trio schon diverse Stadien hinter sich. Mit ihrem vierten Album "Nobody wants to be here and nobody wants to leave" zeigen die drei Herren nicht nur, dass sie, ähnlich wie die befreundeten Landsmänner und Kollegen von We Were Promised Jetpacks und Frightened Rabbit, mittlerweile längst erwachsen sind, sondern vor allem, dass sie ihren eigenen Sound gefunden haben und nach langer Reise endlich angekommen sind.
"Nobody wants to be here and nobody wants to leave" vereinigt sie, die verschiedenen Genres, in denen sich die Band um Sänger James Alexander Graham bisher ausgetobt hat. Mal lauter, mal leiser geben sich die zehn Songs, die Intensität bleibt dabei immer am oberen Ende der von ihnen selbst angelegten Messlatte: Der Opener "There's a girl in the corner" startet das Album erwartungsgemäß stark, das relativ simple wie einbrennende Gitarrenriff gibt den Ton an. Langsam baut sich eine Art Haunted-House-Stimmung auf, an der sicher auch Mogwais Castle Of Doom in Glasgow nicht ganz unschuldig ist – jenes Studio, in dem das Album Anfang des Jahres aufgenommen wurde. Ein erster Anflug von Melancholie macht sich bemerkbar, der im Verlauf des Albums noch stärker werden soll.
Überhaupt ist das vierte Werk der Band vor allem im Gesamten zu betrachten: Der verhuschte Sound des Titeltracks wirkt erst im Albumkontext, die Zurückhaltung und die Angst vorm endgültigen Aus- und Zusammenbruch schmerzen in den Gliedern, wie es zuletzt vielleicht nur der Mittelteil von My Bloody Valentines "M B V" geschafft hat. Währenddessen klammert sich Graham in "It never was the same" mit einer Hand an die Vergangenheit, die er mit der anderen längst losgelassen hat – ein beinahe bitter-ambivalentes Gefühl, das sich in fast jedem der Songs widerspiegelt. So auch im bleischweren "In nowheres", das Note um Note eine Gitarrenwand aufbaut, durch die der Gesang kaum noch zu hören ist. Anders als das relativ eingängige "Unravelling" von We Were Promised Jetpacks ist "Nobody wants to be here and nobody wants to leave" zunächst zäh und stellenweise fordernd und für den Hörer somit auch ein Stück Arbeit. Doch die Mühe wird belohnt.
Dass sich beide Bands, die zumindet 2009 den gleichen Ausblick hatten, in unterschiedliche Richtungen entwickelten, kann für ihre Fans nur von Vorteil sein. The Twilight Sad haben sich mit ihrem vierten Album eine Nische geschaffen, in der sie sich spürbar wohl fühlen. Das resultiert auch mal in geradezu poppigen Songs wie "Pills I swallow" oder der Leadsingle "Last January", kann aber ebenso kalte und düstere Ausmaße wie in "Leave the house" nehmen. Mit "Sometimes I wished I could fall asleep" legen die Schotten ein sphärisches, außerirdisches Ende hin, dessen scheinbar schneller werdender Rhythmus unterhalb einer dicken Eisschicht bleibt, während sich der eigene Herzschlag an ihn anzupassen vermag. Wer braucht schon den Sommer der Adoleszenz, wenn man ein solches Album für den kommenden Winter hat? Der Ausbruch bleibt aus, der Zusammenbruch auch, die Melancholie hingegen bleibt. Ein Glück.
Highlights & Tracklist
Highlights
- There's a girl in the corner
- Last January
- In nowheres
- Nobody wants to be here and nobody wants to leave
Tracklist
- There's a girl in the corner
- Last January
- I could give you all that you don't want
- It never was the same
- Drown so I can watch
- In nowheres
- Nobody wants to be here and nobody wants to leave
- Pills I swallow
- Leave the house
- Sometimes I wished I could fall asleep
Im Forum kommentieren
Gomes21
2024-09-11 22:41:27
Ich muss es auch unbedingt mal wieder hören. Ne Zeit lang lief TTS bei mir hoch und runter, jetzt schon lange nicht mehr
Mann 50 Wampe
2024-09-11 18:57:06
Heute mal wieder gehört. Masterpiece, ein Song besser als der andere, überhaupt kein Ausfall auf dem Album, überragende Melodien und diese unfassbare Melancholie. Immer noch eins der überragendsten Alben der 2010.
Klaus
2023-10-01 21:51:39
Wahnsinnsalbum. Immer wieder.
El arco
2020-11-02 21:25:07
Das dunkle ekelhafte Herbstwetter + das noch ekelhaftere Corona haben mich mal wieder dazu veranlasst dieses Meisterwerk auszupacken.
Die Stimmung, welches dieses Album vermittelt reicht von tiefer Depression zu quälender Euphorie.
Für mich in meiner Top 10 meiner all time Favorites
Klaus
2020-08-28 14:32:44
Es ist ja wieder Twilight Sad Wetter - jemand Bock auf Listening Sessions demnächst?
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