Morrissey - World peace is none of your business

Capitol / Universal
VÖ: 11.07.2014
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Nachschlag

Er ist eben ein Fuchs, dieser Steven Patrick Morrissey. Das Jahr ist gerade zur Hälfte vorbei, doch der 55-Jährige schaffte es dennoch, sich der Musikwelt bereits ein halbes Jahr vor Veröffentlichung seines zehnten Soloalbums "World peace is none of your business" zurück ins Gedächtnis zu rufen. Von diversen Konzertabsagen aufgrund verschiedener Erkrankungen, über den verweigerten Besuch bei Talkmaster Jimmy Kimmel wegen dem für die gleiche Sendung vereinbarten Auftritt der Hinterwäldlertruppe von der TV-Show "Duck Dynasty“, bis zur Forderung, dass das Staples-Center in Los Angeles im Rahmen seines Konzerts komplett auf den Verkauf von Fleisch oder anderer tierischer Produkte verzichtet. Von der Einrichtung eines angeblich offiziellen Twitter-Accounts unter dem Benutzernamen "ItsMorrissey", der kurz darauf wieder gelöscht wurde, weil es eben doch nicht so offiziell war, über die bitterbösen offenen Briefe an die britische Königsfamilie und an das Land Kanada aufgrund deren Jagdverhaltens, bis zum Versuch, die Konzerte der Bands Paws und We Are Scientists zu verhindern, weil sie an jenem Abend im selben Gebäude wie er spielen würden. Und dann wäre da ja auch noch die Sache mit der Sängerin Kristeen Young, die er aufgrund einer angeblichen Erkältung von der Tour entfernen ließ – obwohl die Gute sogar ein ärztliches Attest zum Beweis ihrer Allergie-Attacke hatte. Über all das könnte man den Kopf schütteln, Morrissey als verbitterten Querulanten bezeichnen, als ekligen Besserwisser, als notorischen Nörgler, penetranten Provokateur, dauermotzende Diva. Und man hätte damit sicher nicht mal Unrecht.

Stop me if you think you've heard this one before, aber: Morrissey ist eben nicht der einfachste Mitbürger der Welt. Das weiß er sogar selbst. Und doch verzeiht man ihm, oder akzeptiert sein Verhalten, wie man es bei einem ewig rummaulenden Onkel am Weihnachtsabend auch tun würde, weil es dafür von ihm immerhin die besten Geschenke regnet und man sich ansonsten nicht weiter mit ihm befassen muss. Morrissey kann im Grunde auch egal sein, was die Leute von ihm halten. Ist es mit hoher Wahrscheinlichkeit auch. Derweil veröffentlicht er nicht einfach nur ein, sondern zwei Spoken-Word-Videos mit Pamela Anderson respektive Nancy Sinatra und freut sich insgeheim wohl diebisch darüber, dass er mal wieder in aller Munde ist. Beim Hören von "World peace is none of your business" sollte man sein größtenteils befremdlich wirkendes Auftreten besser ausblenden; nur dann scheint es möglich, dass man hinter der Fassade des nimmermüden Zynikers das Werk eines Mannes erkennt, der auch im sage und schreibe 37. Jahr seiner Karriere noch etwas zu sagen hat. Das Album, welches von Joe Chiccarelli in Frankreich produziert wurde, offenbart dabei gekonnt die verschiedenen Facetten des ehemaligen The-Smiths-Sängers. Es ist launisch, stellenweise sogar brutal, aufbrausend, ausschweifend, hier und da mit einem Augenzwinkern versehen – und so verbissen, dass man es hinterher nur schwer wieder abschütteln kann.

Dabei sind es zunächst die kleinen, beim ersten Hördurchgang fast unbemerkten Momente, die den Nachfolger vom 2009er "Years of refusal" so besonders machen. Da wäre etwa der Opener und Titeltrack, der nicht nur mit einem tiefen Didgeridoo-Laut beginnt, sondern dessen Percussions am Anfang wie der Aufruf zum beginnenden Krieg gegen die Regierung klingen, bis die Ironie die Überhand gewinnt und der eben noch ausgeklügelte Plan zur Revolution einer politischen Satire weicht. Zum Schluss, wenn das Gitarrensolo von Jesse Tobias längst vorbei ist, die Worte "No more / You poor little fool" kaum noch im Ohr nachhallen, ist es vor allem das gerade mal 30-sekündige Outro, das trotz der Ruhe, trotz der verstummten Musik am stärksten wirkt. Dem entgegen stellt sich das opulente "Staircase at the university", eine messerscharfe Analyse eines gut situierten Mädchens, das mit dem Stress an der Uni nicht mehr fertig wird und sich daraufhin die Treppe hinunterstürzt. Morrissey wäre nicht Morrissey, wenn er selbst solch eine Tragödie nicht spitzzüngig beobachten würde, und so gibt es zu den fröhlichen Flamencoklängen, Bläsern, Handclaps und Synthies auch die mitunter großartigsten, weil spöttischsten Lyrics des Albums: "If you don't get three A's / Her sweet daddy said / You're no child of mine and as far as I'm concerned / You're dead."

Mit "The bullfighter dies", einer Hymne auf den Tierschutz, begibt sich Morrissey weiter in bekanntes und ihm spürbar am Herzen liegendes Territorium. Das ist nicht neu, und doch sorgen die Trompeten-Fanfaren und Wortspiele beim Aneinanderreihen verschiedener spanischer Städte – "Mad in Madrid / Ill in Seville / Lonely in Barcelona" oder auch "Gaga in Málaga / No mercy in Murcia / Mental in Valencia" – zumindest für ein Schmunzeln im Gesicht. Mit "Hooray, hooray / The bullfighter dies / And nobody cries / Nobody cries / Because we all want the bull to survive" macht der leidenschaftliche Verfechter tierischer Rechte einmal mehr deutlich, dass das Wohl seiner zweibeinigen Artverwandten bei ihm nicht unbedingt die höchste Priorität hat. Komplett fiktiv hingegen ist die epische Erzählung einer türkischen Familie auf der Suche nach ihrem Sohn in "Istanbul", die nicht nur aufgrund ihrer durchaus üppigen und hier und da exotisch anmutenden Instrumentierung ein erstes kleines Highlight des Albums werden könnte.

Bockig, aufwühlend, widerstrebend hingegen klingt das fast schon schroffe "Neal Cassady drops dead", das von Allen Ginsbergs Reaktion auf den Tod seines Weggefährten und Teilzeitliebhabers erzählt, in der sich neben einer nur allzu menschlichen, tiefen Traurigkeit auch eine eigenartige, beinahe beklemmende Form von Lust widerspiegelte: "Allen Ginsberg's Howl becomes a growl." Brennende Romantik gibt es im ohrwurmtauglichen "Kiss me a lot" mit einem vor lauter Euphorie recht überschwänglichen Sänger, der schon kurz darauf im tiefschwarzen, gleichermaßen vor Begierde und Betrug nur so strotzenden "Smiler with knife" einen schmalen Grat zwischen Sex und Mord entlang tänzelt, bis die Grenze zwischen Dichtung und Wahrheit wie bei einem Wassermalfarbenbild ineinander verläuft. Mit "Oboe concerto" findet er in den letzten Minuten von "World peace is none of your business" doch noch eine gewisse Melancholie im Älterwerden: "The older generation have tried, sighed and died / Which pushes me to their place in the queue", bemerkt er und scheint zurück zu blicken auf eine Karriere, die er als junger Hüpfer in einer Punkkombo begann und in der er sich nur wenige Jahre später als Gesicht und Stimme einer der wichtigsten britischen Bands seiner Generation wiederfand. Und weitere 2 Jahrzehnte später muss er sich von einer 27-Jährigen im Einleitungssatz zur Rezension seines zehnten Soloalbums unter anderem als verbitterter Querulant bezeichnen lassen. Aber wie singt er selbst zum Schluss? "Round, round / Rhythm of life goes round" – es ist höchste Zeit, um sich mal etwas locker zu machen.

(Jennifer Depner)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • World peace is none of your business
  • Istanbul
  • Staircase at the university
  • Smiler with knife

Tracklist

  1. World peace is none of your business
  2. Neal Cassady drops dead
  3. I'm not a man
  4. Istanbul
  5. Earth is the loneliest planet
  6. Staircase at the university
  7. The bullfighter dies
  8. Kiss me a lot
  9. Smiler with knife
  10. Kick the bride down the aisle
  11. Mountjoy
  12. Oboe concerto
Gesamtspielzeit: 56:05 min

Im Forum kommentieren

The Hungry Ghost

2014-12-24 16:18:00

Gerade mal wieder gehört und als erstaunlich gut empfunden. Das Album gefällt mir nun deutlich besser als zu Beginn, ich mag das Album sogar bereits lieber als "You Are The Quarry" und die Alben danach.

"Years Of Refusal" gefällt mir insgesamt nicht so gut, die World Peace... ist dagegen richtig gelungen, klingt richtig ambitioniert im positiven Sinn.

"Istanbul", "The Bullfighter Dies" und "Kick The Bride Down The Aisle" ragen für mich besonders heraus. Der selbstbetitelte Opener ist auch fantastisch. Sogar die Bonus-Songs sind super.

Frank Shankly

2014-10-16 20:20:24

World Peace hat die schmissigeren Highlights finde ich (aber vlt auch weil die so rausstechen?), aber für mich auch einige negative Aussetzer.
I'n Not a Man kann ich mir kaum anhören, ebenso Istanbul.
Seltsam, dass das gerade vieler Hörer Highlights sind; so sind Geschmäcker dann nunmal. Zeigt ja auch, wie der gute Herr selbige alle zu treffen weiß.
Meine Highlights wiederhole ich nochmal, der Vollständigkeit halber:
Titeltrack, Staircase, Kiss Me Alot und Art Hounds von der Deluxe Edition.
Die Years konnte ich so runterhören, da war fast alles ziemlich stark, die lief manchmal ganze abende nonstop durch im Hintergrund.
Dafür wird von der Aktuellen sicher mehr in zukünftige Best Ofs fließen

VelvetCell

2014-10-12 19:25:32

"Years Of Refusal" benötigte bei mir einige Durchgänge mehr als "World Peace.." was ja eher für "Years.." spricht - ich bevorzuge aber "World Peace..."

mispel

2014-10-12 18:53:38

Bin ich also nicht der einzige, der Years of Refusal besser findet. Vom aktuellen Album ist bisher jedenfalls nichts hängengeblieben. Das ist mir alles zu ruhig.

Frank Shankly

2014-10-10 12:01:50

Finde das Album richtig schwach.
Bonzo pickt mit Staircase und Kiss me Alot auch meine Highlights raus, aber manche Sachen sind denkbar uninteressant.
Bin relativ schnell wieder bei Years of Refusal gelandet stattdessen

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