
Silverchair - Diorama
Atlantic / EastwestVÖ: 29.07.2002
Kaleidoscope eyes
Was wurde nicht schon an seinem Grabstein gemeißelt. Mit jedem neuen Silverchair-Album krochen die Hobby- und Tiefenpsychologen hinter ihren Büschen hervor, rückten ihre Brillen zurecht, warfen kritische Blicke auf Daniel Johns\' Lyrics und faselten irgendetwas von einer äußerst kurzen Restlebensdauer. Auch die Journaille feilte fleißig mit, indem sie immer und immer wieder die Parallelen zu Kurt Cobain bemühte und die einstige Teen-Sensation wenig ernstzunehmen schien. Und was machte Daniel Johns? Sang weiter über psychische Krisen, Magersucht, psychische Krisen, Selbstmord und psychische Krisen. Und gab all den bösen Zungen nur noch mehr Nahrung.
Doch damit soll jetzt Schluß sein. Mit der Vorabsingle \"The greatest view\" teilt Daniel Johns eine angemessene Breitseite aus - nach seiner ganz eigenen Art, versteht sich: \"You\'re the analyst / The fungus in my milk\" macht er seinem Ärger Luft und wirft schließlich denselben abschätzigen Blick zurück, den er selbst jahrelang ertragen mußte: \"I\'m watching you watch / Over me and I\'ve got / The greatest view from here\" Dieser Junge ist nicht nur gefestigter denn je, sondern fühlt sich auch endgültig zu höherem berufen, als nur alte Grunge-Klischees nachzuplappern und ein Kurtchen zweiter Klasse abzugeben.
Spätestens jedenfalls, als Silverchair für ihr meisterhaftes Vorgängeralbum \"Neon Ballroom\" mit dem Pianisten David Helfgott das sechsminütige Epos \"Emotion sickness\" eingespielt haben, muß es irgendwo in ihren Köpfen \"klick\" gemacht haben. Anders ist es nicht zu erklären, daß \"Diorama\" sich himmelweit von all dem unterscheidet, was die Australier zu ihren Anfangstagen zusammengeschustert haben. Nur noch in \"The lever\" und \"One way mule\" dürfen die Gitarren und Johns\' Stimme aufheulen und überlassen den Krach ansonsten dem Orchester.
Gegen das, was Silverchair auf \"Diorama\" inszenieren, wirkt Metallicas Klassik-Kreuzüber \"S&M\" wie ein Kindergeburtstag. Mit Hilfe des legendären Van Dyke Parks langen Silverchair ganz tief in den orchestralen Tuschekasten und beginnen zu klotzen, statt nur zu kleckern. Im Opener \"Across the night\" blöken die Hörner, zirpen die Klarinetten, zwitschern die Celli, und Silverchair tauchen in eine Rock-Oper ein, wie sie Queen bombastischer nicht hätten arrangieren können. \"I fell tired / Asleep in a golden ocean\" säuselt Johns mit tonnenweise Kreide in der Stimme. Man glaubt Silverchair förmlich baden zu sehen in einem unwirklichen Meer, das der Mond in den schönsten Farben erstrahlen läßt. Und mit ihren Händen greifen sie nach den Sternen.
Scheinbar schwerelos lassen sich die Australier durch das Album treiben, den Blick ans Firmament gerichtet, und fragen nicht nach dem kleinen Unterschied zwischen beladen und überladen oder imposant und penetrant. Wenn sich auch die leuchtenden Himmelskörper ab und an wie in \"My favourite thing\" als riesengroße Seifenblasen entpuppen, denen man nicht zu nahe kommen darf, ist man unausweichlich gefangen von der faszinierend bunten Zauberwelt, die Silverchair mit \"Diorama\" erschaffen haben. Die Tür dorthin steht offen, man muß sich nur einlassen. Augen zu und durch.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Across the night
- Without you
- Tuna in the brine
Tracklist
- Across the night
- The greatest view
- Without you
- World upon your shoulders
- One way mule
- Tuna in the brine
- Too much of not enough
- Luv your life
- The lever
- My favourite thing
- After all these years
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fuzzmyass
2021-11-05 12:34:13
Der Vergleich mit Emotion Sickness ist auch ganz gut, das ist abmischungstechnisch eine andere Liga und viel opulenter und satter
fuzzmyass
2021-11-05 12:31:38
Ja, dann bin ich nicht der einzige mit dieser Empfindung.... hatte auch den Eindruck, dass das Ganze gerade in den ersten Songs auffallend wenig Tiefe und Sattheit hat, während es im weiteren Verlauf des Albums besser wird
Hoschi
2021-11-05 12:25:23
Ne, das stimmt schon.
Ich hab's etwas weiter oben ja schon kritisiert.
Das Orchester ist wirklich etwas dünn.
Allerdings, und wie oben auch schon geschildert, ist das nicht nur aufs Orchester zurückzuführen.
Auch der Rest der Band klingt, in den ersten beiden Songs, irgendwie dünn, speziell die Gitarren.
Ist komisch zu beschreiben aber mein subjektiver Eindruck vermittelt mir, dass da irgendwas nicht stimmt.
Wenn man mal direkt Emotion Sickness als Vergleich hinzu zieht, was ja Song mäßig ganz gut passt, dann ist das im A/B Vergleich ein Unterschied wie Tag und Nacht mit Songs wie across the night oder the greatest View.
Zur Albummitte wird's dann besser.
Zur Frage von Dan.
Also spontan fallen mir da folgende Songs ein:
Team Me - F is for faker(explizit der Endteil drückt ordentlich)
Biffy Clyro - the golden rule(siehe Team me)
Silversum Pickups - The royal we
In allen 3 von mir genannten Beispielen wirkt das ganze Gebilde einfach homogen, während ich bei Diorama immer irgendwas als störend empfinde ohne es benennen zu können.
fuzzmyass
2021-11-05 11:27:42
Hmmmm, gute Frage, ich glaube nicht so aus dem Stegreif :) Evtl. bei der ersten S&M von Metallica z.B.
Ich habe Diorama sowie besagte S&M aber mittlerweile auch etwas länger nicht gehört, deswegen kann ich auch nicht genau die Stellen oder Spezifika benennen... kann auch sein, dass es nur ein subjektives Gefühl war - ich meinte auch eher etwas die Abmischung in Relation zu den restlichen Instrumenten (Gitarre, Bas, Drums)
Dan
2021-11-05 11:14:44
Hast du ein Beispiel, wo ein Orchester fetter abgemischt klingt? Nur, um das mal zu vergleichen. Finde die klare Produktion von Bottrill eigentlich ziemlich gut.
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