Egotronic - Die Natur ist Dein Feind

Audiolith / Broken Silence
VÖ: 14.03.2014
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Armer Körper

Torsun Burkhardt hat zu Recht von vielem die Schnauze voll. Vor allem von Deutschtümelei, Leitkultur-Gebrabbel oder Bürgerinitiativen gegen Flüchtlingsheime – ein Blatt hat er mit seiner Band Egotronic noch nie vor den Mund genommen. Weder bei an The Clash oder an das Gladbecker Geiseldrama angelehnten Artworks, noch in seinen Songs, die Parolen wie "Wir haben Euch was mitgebracht: Bass, Bass, Bass" oder "Denk ich an die Normalität hier, muss ich kotzen" ausgaben. "Raven gegen Deutschland" taugte sogar zum antinationalistischen Schlachtruf, und der Feind hatte nichts zu lachen. Momentan ist Burkhardts ärgster Widersacher jedoch sein Körper, der ihn mit rheumatischer Arthritis plagt. Oder wie er es selbst ausdrückt: "Plötzlich ist man kaputtbar." Und der Ruf der Natur furchteinflößend.

Auch Burkhardt kann also nicht alles kaputtmachen, was ihn kaputtmacht – wie das Titelstück des sechsten Egotronic-Albums direkt feststellt, während es fatalistisch zu Blip-blop-Keyboards und Vogelgezwitscher mit dem Schwanz wedelt. Doch der Wahlberliner kann noch so sehr über die Stagnation des deutschsprachigen Elektro-Punk meckern: "Macht keinen Lärm", so der Titel des Vorgängers, ist nach wie vor keine Option. Stattdessen stockt er die Band mit Gitarristen und Schlagzeuger zum Quartett auf und zieht den naheliegenden Schluss: zurück zum Beton, bei dem maximal drei Akkorde zum guten Ton gehören. Genau das Richtige angesichts von Songs wie "Nicht dazu gehör'n", "Pop stinkt!" oder "Neurosen im Garten", die Rassismus, Konformismus und immerwährendem Funktionierenmüssen ein entschlossenes "So nicht!" vor den Latz knallen.

Schließlich heißt heute die Devise "Mehr Punkrock wagen". Gewagt, getan. Etwa beim hyperaktiv zwirbelnden Riffing von "Ich will nicht rein", das Ausgrenzung jeder Art mit dem ausgestrecktem Mittelfinger begegnet, oder dem Uptempo von "Oh oh", das immer wieder von Drum-Breaks aufgebrochen wird. Zu einfach will das Quartett es allen Mitgrölbereiten nämlich auch nicht machen. Zumindest nicht immer: Wenn die Single "Noch nicht vorbei" mit dynamischem Basslauf und behende umherspringender Sequenz druckvoll den ruinösen Segen durchwachter Clubnächte feiert, nicken stattdessen die Hipster an der Frittenbude sowie alle die mit dem Kopf, die Deichkind selbst in ihren gesetzteren Momenten leider geil finden. Denn: "Es wird weitergehn heut Nacht / Ist der Kopf auch leer und die Beine schwer." Egal, was der Körper sagt.

Für alle anderen bleibt immer noch genug übrig, sofern zuweilen arg eindimensionale Gitarrenschläge und einige eher simpel gestrickte Stücke nicht stören. Immerhin gibt es andere tolle Sachen: ein Duett mit dem alten Weggefährten und Entschwörungsschriftsteller Daniel Kulla, einen Gastauftritt von Jennifer-Rostock-Bassist Christough! und sogar die ausnahmsweise geschmackssicheren The Toten Crackhuren Im Kofferraum, die beim Song gegen eine indiskutable Südtiroler Band mittun, damit diese demnächst hoffentlich nicht mehr für den Echo nominiert wird. Die launige Dackelblut-Coverversion "Edwin van der Sar" droht sogar mit einer 0:8-Niederlage gegen Holland, auf dass auch Deutschland richtig die Schnauze voll hat und Burkhardt sich ins geballte Fäustchen lacht. Und so bleiben wenigstens Egotronic unkaputtbar – wenn auch etwas berechenbar.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Die Natur ist Dein Feind
  • Ich will nicht rein
  • Noch nicht vorbei
  • Neurosen im Garten

Tracklist

  1. Intro
  2. Die Natur ist Dein Feind
  3. Glücksversprechen
  4. Ich will nicht rein
  5. Nicht dazu gehör'n
  6. Krümel (feat. Kulla)
  7. Noch nicht vorbei
  8. Oh oh
  9. Neurosen im Garten
  10. Pop stinkt!
  11. Wie lange?
  12. Raubzüge (feat. Christough!)
  13. Die Band der Vollidioten (feat. Crackhuren-Chor)
  14. Edwin van der Sar
  15. Outro
Gesamtspielzeit: 48:24 min

Im Forum kommentieren

Roger4all

2014-03-24 10:43:29

Hochvirtuos, sehr innovativ von der musikalischen Herangehensweise her. Dazu kommt die politisch-conziente Attitüde und solide Haltung. Manifest der Welt in Geld. Wahn. Sinn. 9/10

Desare Nezitic

2014-03-24 01:39:19

Das geht ja richtig drauf auf diesen bedenklichen Kult. Distelmeyer und Torsun - naja, das ist generell eine unterschiedliche Gewichtsklasse.
Zeigt sich halt, wieviel nationaler (nicht Volks-)Faschismus noch im Menschen steckt.
Naja, "Capture the Flag" ist ein immer spaßiges Sommerspiel =)

@Desare Nezitic

2014-03-24 01:27:31

Hauptsache jubeln und bei dem großen Ding mitmachen.

Jochen Distelmeyer hat das weitaus filigraner als diese antitoitsche Dorfdissen-Combo ausdrücken können:

Deutschland der Deutschen

Desare Nezitic

2014-03-24 01:19:05

Das erste Egotonic-Album, welches hier rezensiert wird. Frage mich echt, warum das hier nie ei großes Thema war.

Knappe 7/10. Klingen mittlerweile wie eine Indie Rock-Band mit Electroeinschlag. Opener und der Vorabsong "Noch nicht vorbei" sind richtig klasse, auch wenn die Parole "Die Natur ist dein Feind" so an typische Klischees erinnert^^ ("Der toitsche Wald!").
"Die Band der Vollidioten" ist zwar eigentlich ein Anti-Frei.Wild-Song, lässt sich in der zweiten Strophe aber auch als schöner WM-Song lesen:

"Fahne schwenken für die Heimat
Tradition, als Ideal das Volk
Ihr sprecht deutsch und hasst Italien
Euer Traum heißt schwarz-rot-gold
Das klingt stark nach Inzest
Glaubt mir ruhig, denn ihr habt drauf gepocht
Ihr seid so neutral
Selbst der Führer hätte euch gemocht"


Gerade die letzte Zeile kommt einem auf den Fanmeilen immer wieder in den Sinn. Hauptsache jubeln und bei dem großen Ding mitmachen.

Pizzerien zerstören und gleichzeitig tolerant sowie gastfreundlich sein wollen - das wünsche ich mir nach 2006 und 2012 auch für diesen Sommer im Halbfinale :)

mieser Sänger

2014-03-21 00:31:38

http://www.laut.de/Egotronic/Alben/Die-Natur-Ist-Dein-Feind-92748

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