Real Estate - Atlas

Domino / GoodToGo
VÖ: 28.02.2014
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

So finster der Tag

Manchmal ist es, als wäre man in einem ewig gleichen, ewig öden Trott gefangen. Morgens aufstehen, sich ins Büro quälen, dort von den höhergestellten Kollegen rumschubsen lassen, kurz vor Feierabend noch eine Mail bekommen, in deren Betreff das Wort "Dringend" mit fünf Ausrufezeichen versehen ist. Wieder Überstunden schieben, sich durch den Berufsverkehr nach Hause schleppen, ein Fertiggericht in sich reinschaufeln, den Mist in der Glotze suchen, den man aufgrund einer im Vergleich nicht ganz so verstörend hohen Anzahl von Wiederholungen auswendig kennt. Ab ins Bett, sich zwei, drei Mal hin- und herwerfen, bis der Wecker plötzlich klingelt und das täglich grüßende Murmeltier zum Teufel jagen. Gut, dass diese Phasen auch irgendwann wieder vorbei sind. Und noch besser, dass es eine Band wie Real Estate gibt, die einem mit ihrer unbeschwerten und lockeren Art die Schwermut aus dem Herzen spielt.

Nach dem selbstbetitelten Debüt von 2009 und dem zwei Jahre später veröffentlichten "Days" stellt sich das Quintett aus New Jersey mit "Atlas" nun an die vorderste Front, um ihrer Hörerschaft den Tag zu versüßen. Doch der Schein trügt, wie so oft, wenn man nur ein wenig an der Oberfläche kratzt: Hinter der Leichtigkeit und den sonnigen Melodien klingen die Songs oft auf eine besondere Art melancholisch, ohne dabei zu überladen zu wirken. Während man etwa im komplett instrumental gehaltenen "April's song" bis zum Schluss darauf wartet, dass der Gesang endlich einsetzt, schunkelt das countryeske "How might I live" wie einst Neil Young zu "Harvest"-Zeiten an lauen Sommerabenden am knisternden Lagerfeuer und weckt dabei Erinnerungen, die man längst verdrängt, aber nie ganz vergessen hat. Bassist Alex Bleeker, der dem Stück seine Stimme leiht, kostet das nicht mal besonders viel Aufwand, wie es scheint.

Besonders viel verändert hat sich da seit ihren Anfangstagen nicht wirklich. Muss ja auch nicht, wenn es denn so gut funktioniert wie hier. Der Opener "Had to hear" mit seiner schillernd-glänzenden Melodie hätte somit auch wunderbar auf das Debüt gepasst, die, pardon, hipstermäßige Single "Talking backwards" dank ordentlich Pop-Appeal bestens auf "Days". Warum es da ein drittes Album wie "Atlas" braucht, wenn man alle Songs auch schon in ähnlicher Form auf den Vorgängern gehört hat? Weil die finsteren Tage noch lange nicht gezählt sind und ein Stück wie "Crime" bei noch so viel Regen wie ein schützender Regenschirm wirkt: "I don't wanna die / Lonely and uptight / Stay with me / All will be revealed."

Zum Schluss erfinden sich Real Estate zwar nicht neu, stellen aber mindestens beeindruckend unter Beweis, welche Entwicklung sie in den letzten fünf Jahren durchgemacht haben. Mit dem sorglos jangligen Indie-Pop von "Horizon" lassen sich nicht nur frühere stundenlange Autofahrten in der warmen Abenddämmerung zurück ins Gedächtnis rufen, sondern auch den kommenden Sommer herbeisehnen, um die nächste Reise entsprechend musikalisch zu untermalen. Und wer sich selbst noch immer nicht wiedergefunden hat in diesem Hamsterrad namens Leben, der darf sich in "Navigator" dreieinhalb Minuten lang mit voller Absicht und ausgiebig verlieren: "The day is young / But I'm already spent / I have no idea where the time went" – und der nächste sonnige Tag kommt sowieso. Ganz bestimmt.

(Jennifer Depner)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Had to hear
  • Crime
  • Horizon
  • Navigator

Tracklist

  1. Had to hear
  2. Past lives
  3. Talking backwards
  4. April's song
  5. The bend
  6. Crime
  7. Primitive
  8. How might I live
  9. Horizon
  10. Navigator
Gesamtspielzeit: 38:03 min

Im Forum kommentieren

Gordon Fraser

2016-05-25 18:18:01

Exit Matt Mondanile, der sich auf Ducktails konzentrieren will. Mmmh...

koekoe

2014-09-21 21:18:08

Bist du es, Hartmut?

Plattenbeau

2014-09-21 19:33:54

"Days" hat mich bisher eher kalt gelassen. Kommt öfter vor, wenn ich Alben verpasse und erst später einsteige. Manchmal hilft es noch einmal genauer hinzuhören, aber dennoch misst man das alte Album immer am neueren und nicht umgekehrt, wie es eigentlich sein sollte.

saihttam

2014-09-19 14:45:10

Ich finde Days auch schon noch ein Stückchen besser.

Gordon Fraser

2014-09-18 19:35:28

"Days" ist 'ne 9/10, das hier eher eine sehr gute 7/10.

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